kiew - © APA / Sergei Supinsky   -  Schneerämung im Höhlenkloster am Kiewer Rus

Schisma in der Orthodoxie

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Kirchen begehen ab 18. Jänner die Gebetswoche für die Einheit der Christen. Das ist heuer von besonderer Brisanz, denn die Spaltung der Weltorthodoxie beeinträchtigt auch die Ökumene mit den Ostkirchen massiv.

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Kirchen begehen ab 18. Jänner die Gebetswoche für die Einheit der Christen. Das ist heuer von besonderer Brisanz, denn die Spaltung der Weltorthodoxie beeinträchtigt auch die Ökumene mit den Ostkirchen massiv.

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Ausgerechnet zum Epiphaniefest am 6. Jänner, an dem die russische Kirche ihren Weihnachtsgottesdienst feiert, wurde die Orthodoxe Kirchengemeinschaft in eine ihrer größten Krisen der Gegenwart gestürzt. Gegen den massiven Protest des Patriarchats von Moskau erkannte der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., offiziell die volle Selbstständigkeit (Autokephalie) der orthodoxen Kirche in der Ukraine an.

Die Orthodoxie versteht sich als Bund gleichberechtigter selbstständiger Kirchen mit je eigenem Oberhaupt, die in voller sakramentaler Gemeinschaft leben. Dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel wird die Rolle eines Ersten unter Ranggleichen zuerkannt, d. h. er ist jener, der die orthodoxen Kirchen koordiniert und für sich auch das Recht in Anspruch nimmt, einer Kirche die Selbstständigkeit zu gewähren. Letzteres wird allerdings von einzelnen orthodoxen Kirchen unterschiedlich gesehen. Im konkreten Fall der Ukraine wird dieses Recht vom Moskauer Patriarchat sogar bestritten, denn die Gewährung der Autokephalie erfolge durch die Mutterkirche und die Ukraine gehöre zu ihrem kanonischen Territorium.

Einig ist man sich noch darin, dass die Kiewer Rus, jenes mittelalterliche Großreich, das als Vorläufer der heutigen Staaten Russland, Ukraine und Weißrussland gesehen wird, das Christentum im 10. Jahrhundert von Konstantinopel erhielt. Der Metropolit von Kiew, zumeist ein Grieche, wurde vom Patriarchen von Konstantinopel eingesetzt. 1240 wurde Kiew von den Mongolen zerstört und ein Großteil der Bevölkerung floh nach Norden, wo ab dem 14. Jahrhundert die Stadt Moskau an Bedeutung gewann. Bereits 1448 wählte die russische Kirche eigenmächtig einen Metropoliten, ohne Konstantinopel einzuschalten, aber erst 1589 gewährte das Ökumenische Patriarchat dem "Patriarchat von Moskau und der ganzen Rus" die Autokephalie. Während sich Konstantinopel nach wie vor als Mutterkirche sieht, betont die russische Kirche, dass sie nunmehr für das gesamte Territorium der ehemaligen Kiewer Rus zuständig sei.

Kiew: Zwei orthodoxe Kirchen

Die Situation verkomplizierte sich im 20. Jahrhundert durch die politische Situation, sodass drei orthodoxe Kirchen in der Ukraine entstanden. Schon 1920 wurde in der Ukraine die Bildung einer "Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche" forciert, die die Gesamtorthodoxie aber nicht anerkannte. Zugleich blieb die kanonische "Ukrainisch Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats" bestehen. Daraus löste sich 1992 eine "Ukrainisch Orthodoxe Kirche -Patriarchat von Kiew", die einen konsequent anti-russischen Kurs verfolgte, von der ukrainischen Staatsführung gefördert, aber von der Gesamtorthodoxie als schismatisch gesehen wurde.

Das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel meint nun, die Einheit der Orthodoxie in der Ukraine wiederherzustellen. Tatsächlich werden mit der Autokephalie-Erklärung aber nur die zwei bisher als irregulär angesehenen Kirchen zusammengeführt. Beim Vereinigungskonzil am 15. Dezember waren kaum Bischöfe der moskautreuen ukrainisch-orthodoxen Kirche anwesend, die bisher die einzige kanonische Kirche im Land war.

Kirchlich bildet wohl die Frage um den Ehrenprimat innerhalb der Gesamtorthodoxie den Hintergrund. Moskau als zahlenmäßig größte orthodoxe Kirche stellt Konstantinopel kontinuierlich in Frage. Für Moskau hat die Ukraine mit Kiew als Wiege der russischen Orthodoxie nicht nur hohen Symbolwert. Eine völlig geeinte autokephale ukrainische orthodoxe Kirche, die auch den noch moskautreuen Teil einbezöge, würde die russische Kirche entschieden schwächen, denn sie verlöre dadurch ein gutes Drittel ihrer Pfarreien und rund 200 Klöster. Wie sich diese in Zukunft erklären werden, ist noch nicht absehbar.

Befeuert wird der Konflikt durch die politische Situation: Die Annexion der Krim, der bewaffnete Konflikt in der Ostukraine, in der sich die moskautreue Ukrainisch Orthodoxe Kirche vor allem befindet, und zuletzt die Vorfälle in der Meerenge von Kertsch. Sowohl Präsident Wladimir Putin als auch der Moskauer Patriarch Kirill sprechen gerne von einer "Sinfonie von Kirche und Staat" in Russland. Dem entgegen war es ausgerechnet der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, der den Ökumenischen Patriarchen offiziell um die Selbständigkeit der ukrainischen Kirche als Akt der ukrainischen Sicherheit, Staatlichkeit und Einheit gebeten hatte. Poroschenko und Parlamentspräsident Andrij Parubij waren bei der Autokephalie-Erklärung in Istanbul anwesend.

Massiv verschüttetes Zeugnis

Der ökumenische Dialog mit der katholischen Kirche erfährt nun wohl eine herbe Beeinträchtigung. Allein die Frage nach dem (Ehren-)Primat ist von höchster Bedeutung. Von Seiten der Orthodoxie wurde wiederholt festgestellt, dass, bei einer Wiedervereinigung mit der Westkirche, der römische Papst Erster unter Ranggleichen wäre. Wie dies heute aussehen könnte, wurde in den ökumenischen Dialogen in den vergangenen Jahrzehnten vielfach und mühevoll bearbeitet. Durch den Konflikt zwischen Konstantinopel und Moskau wird das Zeugnis einer synodal funktionierenden orthodoxen Kirche mehr als verschüttet.

Die Aufkündigung der Gemeinschaft hat ebenso zur Folge, dass die russische Kirche im offiziellen orthodox/katholischen Dialog fehlen wird. Wer sich ihr noch anschließt und damit den Graben innerhalb der Orthodoxie vergrößert, ist noch nicht absehbar. Für die katholische Kirche ist aber nur ein Dialog mit der Gesamtorthodoxie sinnvoll. Sie kann in diesem innerorthodoxen Konflikt kaum für die eine oder andere Seite Position beziehen.

Auch die Ökumene in der sogenannten Diaspora wird zweifellos schwieriger, denn die orthodoxen Institutionen leben von der jeweiligen Bereitschaft zusammenzuarbeiten. So vertritt etwa die Orthodoxe Bischofskonferenz Österreichs die Kirche gegenüber dem Staat und seinen Behörden und ist für den Religionsunterricht, die Krankenhaus-und Militärseelsorge zuständig. Auch in Deutschland ist die Arbeit der orthodoxen Bischofskonferenz vielgefächert und umfasst ebenso Kontaktgespräche mit der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche. Unter welchen Bedingungen und in welcher Form die Zusammenarbeit der orthodoxen Kirche in der Diaspora und die diversen ökumenischen Dialoge durchgeführt werden sollen, ist derzeit völlig unklar. Momentan ist nur der tiefe Bruch und noch keine Perspektive aus der Krise zu sehen. Diese wird zweifelsohne lange andauern und wohl auch nur lösbar, wenn die politischen Konflikte zwischen Russland und der Ukraine beendet sind.

Der Autor ist Professor für Patristik und Kirchengeschichte an der Universität Salzburg.

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