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Die Ökumene des Leidens

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Praktische Ökumene hängt wie jedes menschliche Tun von Men­schen ab und ist daher äußerst ge­fährdet. Im Kampf um Durchset­zung von Interessen unterscheiden sich die, die sich Christen nennen, wenig von den Kindern dieser Welt.

Fast ist man geneigt zu sagen, daß religiöses Bekenntnis Konfliktsi­tuationen nicht nur nicht entschärft, sondern im Gegenteil bestehende Spannungen sogar noch verstärkt. Beispiel gefällig? In Nordirland ist die ökumenische Komponente des Christentums längst verloren­gegangen. Die Konfession ist Aus­gangs- und Zielpunkt tödlichen Hasses.

Zur Zeit erleben wir das Auf flak­kern eines neuen Konflikts unter Christen. In der Westukraine ist nach Ermöglichung der Wiederzu­lassung der seit 1946 von Stalin verbotenen ukrainisch-katholi­schen Kirche ein widerlicher Streit um Gläubige, Kirchen und Kirchen­eigentum zwischen den Unierten und Russisch-Orthodoxen ent­brannt.

Aufgebrachte katholische Gläu­bige besetzen Kirchen, die den Unierten vor ihrer Zwangseinglie­derung ins Moskauer Patriarchat vor 44 Jahren gehörten. Lang nie-dergehaltener Haß auf alles Russi­sche - also auch auf die russisch­orthodoxe Kirche - hat zu Über­griffen geführt, die zu verstehen, kaum aber zu entschuldigen sind.

Historische Schuld spielt im Be­reich der Ökumene eine nicht unbe­deutende Rolle. Bei der Registrie­rung der unierten Gemeinden in der Ukraine geht es auch um tieferlie­gende geschichtliche Fragen. So wird etwa die Union von Brest 1596, die die Ukrainer mit der römischen Kirche verband, von der russischen Orthodoxie noch immer als ein Affront der lateinischen Kirche, und die Unionspraxis über­haupt als Hindernis des ökumeni­schen Dialogs bewertet.

Zu einer atmosphärischen Ver­besserung der Stimmung hat auch nicht die Frage des in Rom residie­renden Oberhaupts der ukraini­schen Unierten, des Kardinals Myroslav Lubachivsky, anläßlich der Millenniumsfeiern der Taufe Rußlands beigetragen, ob es denn „wirklich Rußland" gewesen sei, das 988 den christlichen Glauben an­genommen habe. Lubachivsky meinte, das Jubiläum „gehörte" eigentlich den Ukrainern.

Damals konnte der Papst den nominellen Großerzbischof von Lemberg zum Einlenken bewegen und in einer ökumenischen Geste von oben - indem er von „orthodo­xen und katholischen Erben der Taufe von Kiew" sprach - Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben wecken.

Vergangene Woche war das ge­störte Verhältnis von Unierten und Orthodoxen Thema eines Gipfelge­sprächs in Moskau. Eine vatikani­sche Delegation mit Kardinal Jan Willebrands und dessen Nachfol­ger als Präsident des Rates für die Einheit der Christen, Erzbischof Edward Cassidy, an der Spitze debattierte mit dem Moskauer Pa­triarchat über die Wiedererrichtung der ukrainisch-katholischen Kir­che. Sensation und positives Zei­chen: Zu dem Dialog wurden auch führende Vertreter der Unierten eingeladen. Ob die Ökumene von oben auch unten greift und Ressen­timents, „übereifrige Handlungen" und „vorschnelle Worte" - so der Apostolische Exarch der Unierten in Deutschland, Bischof Piaton Kor-nyljak - beseitigen hilft?

Der russisch-orthodoxe Aktivist Alexander Ogorodnikow plädiert für eine gemeinsame Nutzung der Kirchen in der Ukraine. Der lange wegen seines Glaubens Verfolgte und von seiner Kirche Verlassene empfindet viel Sympathie für die leidende Schwesterkirche. Viel­leicht führen die Jahre gemeinsamer Verfolgung im Sowjetstaat - Bischof Kornyljak spricht von einer „Öku­mene des Leidens" - zu einer Öku­mene von unten, die der Liste histo­rischen Leides kein neuerliches Leid mehr hinzufügt.

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