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Ein Schritt zur alten Einheit

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Einmal mehr hat sich Wien als Forum des Dialogs zwischen Kirchen, die Jahrhunderte hindurch getrennte Wege gegangen waren,, bewährt. Bei der dritten „nichtoffiziellen“ Gesprächsrunde zwischen katholischen und altorientalischen Theologen, die „Pro Oriente“ in der Vorwoche in Wien veranstaltete, ist man jedenfalls dem Ziel der kleinen Schritte wieder ein wenig nähergekommen.

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Einmal mehr hat sich Wien als Forum des Dialogs zwischen Kirchen, die Jahrhunderte hindurch getrennte Wege gegangen waren,, bewährt. Bei der dritten „nichtoffiziellen“ Gesprächsrunde zwischen katholischen und altorientalischen Theologen, die „Pro Oriente“ in der Vorwoche in Wien veranstaltete, ist man jedenfalls dem Ziel der kleinen Schritte wieder ein wenig nähergekommen.

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Nicht umsonst heißt es dm offiziellen Abschlußkormtnunique, daß sich die nächste Gesprächsrunde vor allem mit zwei Themen befassen sollte: dem Primat des Papstes und der Frage der unierten Kirchen. Das heißt, die grundsätzMchen theologischen Meinungsverschiedenheiten und Mißverständnisse über die Person Christi, die Katholiken und Altorientalen So lange getrennt haben, scheinen halbwegs überwunden, jetzt kann man sich Fragen des praktischen Zusammenlebens zuwenden. „Pro Oriente“-Generalsekretär Alfred Stirnemann hatte in einem Interview zu Beginn der dritten Runde betont, es herrsche zwischen Katholiken und Altorientalen Übereinstimmung darüber,, daß die tatsächliche Einheit wiederhergestellt werden sollte „wie sie war“. Die Diskussion gehe jetzt darum, wie diese Einheit wiederhergestellt werden könne, welche Hindernisse und Hemmnisse es heute noch gebe und wie sie konkret in jeder einzelnen Frage zu überwinden seien.

Das heißt nicht, daß man im Dialog zwischen Katholiken und Altorientalen schon „über den Berg“ wäre. Im Gegenteil, je mehr die nichtoffiziellen Pro-Oriente-Gespräche sich dem kirchlichen Alltag nä-. hern, desto mehr psychologische Probleme stellen sich. Die Vergangenheit läßt sich nicht mit einem Federstrich wegwischen, vielmehr geht es darum, die Schuld der Vergangenheit, die beide Seiten auf sich geladen haben, „zu bekennen, zu bewältigen und aufzuarbeiten“, wie es der syro-iimidische Metropolit Paulus Mar Gregorius in seiner Predigt beim festlichen Abscblfußgottesdienst der Gesprächsrunde im Wiener Stephansdom formulierte.

Immerhin ist manches schon erreicht worden: Die beiden ersten von „Pro Oriente“ veranstalteten Gesprächsrunden zwischen katholischen und aitorientalisoben Theologen 1971 und 1973 haben zur „Chri-stologisohen Übereinstimmung von Wien“ geführt. Diese Übereinstimmung bildete die Grundlage jener gemeinsamen Erklärung Papst Pauls VI. und des koptischen Patriarchen Shenuda III., die 1973 bei einem Besuch des Oberhauptes der koptischen Kirche in Rom unterzeichnet wurde. Bekanntlich haben sich die altorientalischen Kirchen beim Konzil von Chalcedon, wo es um die Frage ging, wie Christus zugleich wahrer Gott und wahrer Mensch sein könne, von der katholischen Kirche getrennt. Jahrhunderte hindurch hielt sich das Mißverständnis, das die Altorientalen zu „Monophysiten“ stempelte, eine Bezeichnung, die heute sicher auch dank der Arbeit der „Pro Oriente“ aus dem theologisch-kirchlichen Sprachgebrauch versehwunden ist.

Dementsprechend betonte auch der vatikanische Beobachter bei der letzten Gesprächsrunde, Msgr. Moel-ler, die Bedeutung der „Christologi-schen Übereinkunft von Wien“ und erinnerte daran, daß die Einheit der Christen ohne theologische Arbeit nicht möglich sei. „Pro Oriente“ komme das Verdienst zu, im Hinblick auf die Altorientalen die notwendige wissenschaftliche Vorarbeit geleistet zu haben. Kardinal König, auf dessen Initiative die Gründung von „Pro Oriente“ vor zwölf Jahren zurückgeht, unterstrich die große Verantwortung der Theologen für die christliche Einheit. Aufgabe der Theologen sei es, Entscheidungen der Kirohenleitungen vorzubereiten. In diesem Zusammenhang meinte der Erzbischof von Wien, daß im Hinblick auf die „Cbristologische Ubereinkunft“ wichtige Entscheidungen noch ausstünden. In Wien scheinen also schon bei den ersten beiden Konsultationen ökumenische

Fäden besonders vielversprechender Art geknüpft worden zu sein.

Einer der katholischen Teilnehmer der letzten Gesprächsrunde, der

Wiener Ostkirchenexperte Ernst Suttner, hat in einem kathpress-Gespräch auf die Gefahr hingewiesen, daß diese traditionellen christo-logischen Fragestellungen in keiner der Kirchen von den Gläubigen mehr verstanden würden und theologische Übereinkünfte daher ohne Widerhall in der kirchlichen Basis bleiben würden. Und doch scheint gerade die Frage nach Christus — ob er nun, sehr vereinfacht ausgedrückt, nur der vorbildlichste der Menschen sei oder der Sohn Gottes und wie man diese „Sohnschaft“ zu verstehen habe — auch eine sehr moderne, von der zeitgenössischen westlichen Theologie brennend diskutierte zu sein. Daß manche Strömungen in dieser zeitgenössischen westlichen Theologie von den alt-orienitaiischen Theologen eher skeptisch verfolgt werden, zeigte sich in einer Wortmeldung des bereits zitierten indischen Metropoliten Paulus Mar Gregorius: „Das fromme Gerede von der Transparenz der Menschheit Christi gegenüber Gott läßt den Verdacht des Ariänismus in mir aufkeimen. Ich hoffe, daß diese Spielart der Obristologie, die in jüngster Zeit in der europäischen Tradition in Mode gekommen ist, nicht innerhalb der römisch-katholischen Theologie die Oberhand gewinnt.“ Auch einer der prominentesten Teilnehmer, der römische Jesuit und Kirdhenhistariker Wilhelm de Vries, äußerte sich ähnlich: „Von unserer Seite wurde auf die Gefahr hingewiesen, die mit der modernen Ohristologie gegeben zu sein scheint, die wahre Gottheit Christi nicht genügend klar zum Ausdruck zu bringen. Man kann so zwar eine rationale Lösung des Christus-Problems geben, aber auf die Gefahr einer Selbstzerstörung des Christentums hin.“

Das Gespräch zwischen Altorientalen und Katholiken umfaßte aber noch andere aktuelle Bezüge. Metropolit Paulus Mar Gregorius erinnerte in seiner Predigt dm Stephansdom daran, daß keine der fünf aitorienta-lischen Kirchen von einer Regierung gestützt werde, daß jede von ihnen praktisch nur „Rest“ eines einst viel

größeren Kirchengebietes sei, daß keine über Reichtum oder politische Macht verfüge, daß jede von äußerer Unterdrückung und Verfolgung bedroht sei. Keine der fünf Kirchen könne ihr Vertrauen in die eigene Kraft setzen, sondern sei „ausschließlich auf das Wort des Herrn“ angewiesen.

Das in Diskussionen gehegte und gepflegte Bilfl von der armen und machtlosen Kirche ist für die Alt-orienitalen bittere Wirklichkeit des Alltags, und dies nicht erst seit

heute, sondern seit Jahrhunderten, seit sich die ursprüngliche Toleranz des Islams in Repression verwandelt hat. Die Nachricht von der Mas-senflucht syrisch-orthodoxer Christen aus der Süditürkei nach Europa, weil sie den Schikanen und der Benachteiligung entkommen wollen, ist erst 14 Tage alt Im Irak hat die syrisch-orthodoxe Kirche im Verlaui des blutigen Bürgerkriegs in Kurdistan Verluste erlitten. Keine der füni

Kirchen verfügt über einen ruhigen und gesicherten Bestand. Die armenische Kirche trägt noch immer an den Wunden, die ihr der organisierte Völkermord der jungtürkischen Nationalisten im Ersten Weltkrieg und unimittelbar danach geschlagen hat. Ein großer Teil ihres Kirchengebietes steht heute unter sowjetischer Herrschaft. Sogar die äthiopische Kirche, die bis vor kurzem als Staatskirche relativ gesichert war, ist durch die Revolution vor eine völlig neue Situation gestellt Äußerungen

des äthiopisch-orthodoxen Delega-

tionsfühirers in Wien, Erzbischof Markos, zeigten, wie schwierig es ist, einen Kurs zwischen dem Verlangen des neuen Regimes nach totalem Bruch mit der Vergangenheit und Bewahrung der kirchlichen Kontinuität zu steuern.

Zwar sind alle diese politischen Aspekte aus den „Konsultationen“ von „Pro Oriente“ sorgfältig ausgeklammert, aber sie bestimmen doch

den Hintergrund der Entwicklung des ökumenischen Gesprächs mit diesen so lang in Vergessenheit geratenen Kirchen mit. Es ist vielleicht kein Zufall, daß sie, die „Reste“ einer vor der islamischen Eroberung und auch noch danach blühenden afrikanischen und asiatischen Christenheit, nach Jahrhunderten der wechselseitigen Beschuldigung als Häretiker oder gar des Schwei-gens, gerade in Wien wieder mit Theologen der römisch-katholischen Kirche ins Gespräch gekommen sind. Denn zumindest im kirchlichen Bereich hat sich Wien seine Offenheit gerade nach dem Nahen Osten bewahrt Die Gründung von „Pro Oriente“ durch Kardinal König hat aus einer nur im Alltag halbvergessenen Tradition heraus einen starken neuen Akzent in dieser Richtung gesetzt.

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