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Die Wiener Gespräche lassen auf Einheit hoffen

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Als das Zweite Vatikanum den Rückstand der Katholiken in ökume-nischen Fragen aufholte und ein Um-denken vollzog, das in der nichtkatho-lischen Welt niemand erwartet hatte, zog unsere Kirche auch praktische Folgerungen aus dem neuen Denken. Diese erregten ebensolches Aufsehen wie die neue ökumenische Theologie selbst. Doch obgleich sie vor einem Jahrzehnt noch Schlagzeilen machten, erscheinen sie heute als normal; was bis vor kurzem die übliche Hal-tung war, gilt heute als anachroni-stisch. Daß das sensationell Neue schnellstens alltäglich wurde, erweist den Fortschritt der ökumene; daran zeigt sich, daß mit den Fachleuten und Kirchenfuhrern auch das Kirchenvolk die neue Haltung bejaht.

Weristüberrascht, Wenner liest, daß Papst Paul VI, als er 1967 den ökume-nischen Patriarchen Athenagoras I. besuchte, feststellte, die katholische und die orthodoxe Kirche wären daran, einander wieder als Schwesterkir-chen, als Gottes gleichrangige Heils-zeichen ftir die Menschen anzuerken-nen? Und doch ist die katholische Kirche erst auf dem Zweiten Vatikanum von der Auffassung abgerückt, daß nur sie die wahre Kirche Christi sein könne.

Erst das Kirchendekret des Konzils sprach unseren Glauben, daß wir in der römisch-katholischen Kirche die wahre Kirche Christi finden, in einer Weise aus, die keine negativen Schlußfolgerungen über die anderen Kirchen mehr zuläßt. Wer vor dem Zweiten Vatikanum die theologische Diskussion verfolgte, weiß, mit welcher Umsicht sich ausdrücken mußte, wer damals schon die anderen Kirchen gelten ließ. Als die neue Einsicht errungen war und man erste Konklusionen für das zwischenkirchliche Verhalten aus ihr zog, horchte die Welt auf. Nun geht es darum, die Fülle der notwendigen Konsequenzen zu überdenken und in Angriff zu nehmen.

Zur Zeit des Zweiten Vatikanums hatten jene Ostkirchen, die sieben ökumenische Konzilien anerkennen und die meist gemeint sind, wenn von „Orthodoxie” die Rede ist, im Kon- stantinopeler Patriarchen Athenagoras I. einen überragenden Kirchenführer. Als Charismatiker besaß er die Gabe der Unterscheidung der Geister und erkannte, daß in der katholischen Kirche wirklich ein Aufbruch erfolgte. Wäre es nach ihm gegangen, wäre anläßlich der Begegnung zwischen ihm und Papst Paul VI. in Konstantinopel und Rom wieder die Kirchengemeinschaft zwischen Orthodoxie und Katholizismus aufgenommen worden.

Aber die Vergangenheit stand noch im Weg. Manch einflußreicher orthodoxer Theologe oder Kirchenführer wähnte, die römische Kirche strebe mit den neuen Verlautbarungen auf nur noch wirkungsvollere Weise nach ihrem alten Ziel, die übrigen Christen durch weltweiten Proselytismus zu absorbieren. Zwar konnten sie nicht die gesamte Orthodoxie überzeugen, doch sie erreichten, daß die Dritte Panorthodoxe Konferenz 1964 ablehnte, den vom Papst und dem Zweiten Vatikanum angebotenen theologischen Dialog anzunehmen.

Also begann man mit kleinen Schritten, die helfen sollten, das Mißtrauen abzubauen. Einige davon, wie die Rückgabe von Reliquien, machten Schlagzeilen. | Andere, auf die Dauer wirkungsvollere Initiativen hatten weniger Publizität. Zu ihnen zählen theologische Begegnungen, wie die Regensburger ökumenischen Symposien. Ohne Verbindlichkeiten einzugehen, konnten die orthodoxen Vertreter sondieren, ob mehr Gründe für eine wohlwollende oder für eine vorsichtige Interpretation der nachkonzi- liaren Haltung von uns Katholiken sprächen. Die Symposien erwiesen sich als sehr nützlich. Die Publikation eines Teils der Arbeiten tat ein übriges. (Drei Broschüren liegen vor mit den Titeln „Eucharistie - Zeichen der Einheit”, „Taufe und Firmung”, „Buße und Beichte”, Regensburg 1970-1972.)

Schließlich konnte im April 1974 auf Initiative des Wiener Stiftungsfonds „Pro Oriente” ein Treffen stattfinden, das zwar auch inoffiziell blieb, aber nach Art seiner Durchführung einem offiziellen Dialogtreffen fast schon zum Verwechseln ähnelte. (Publikation: Pro Oriente, Auf dem Weg zur Einheit des Glaubens^ Innsbruck, 1976.) Bei der zehnten Wiederkehr der Aufhebung der Bannsprüche zwischen Rom und Konstantinopel, im Dezember 1975, wurde sodann die Gründung der Vorbereitungskommissionen für jenen offiziellen Dialog angekündigt, der 1964 unmöglich zu sein schien.

Grundlegend änderte sich das Verhältnis von uns Katholiken zu den meisten „monophysitisch” genannten Kirchen der Kopten, Syrer, Armenier, Äthiopier und der Thomas-Christen Südindiens, von denen wir seit etwa anderthalb Jahrtausenden getrennt sind. Seit 1971 finden mit ihnen auf Einladung des Stiftungsfonds „Pro Oriente” in Wien inoffizielle Theologengespräche statt. Drei Gesprächsrunden sind vorüber, die vierte wurde für den Spätsommer 1978 vorbereitet. (Die beiden ersten Gespräche sind in Beiheften zur Zeitschrift „Wort und Wahrheit”, Wien, 1972-1974, bereits publiziert.)

Es ergab sich, daß diese Kirchen nie die monophysitische Irrlehre annah- men. Das aber heißt, daß wir uns gegenseitig Jahrhunderte hindurch buchstäblich grundlos, nur wegen eines Mißverständnisses und wegen historischer Rivalitäten, als irrgläubig verdammten. Die erfreuliche und zugleich beschämende Einsicht erwies sich als gut begründet; es gibt in keiner christlichen Kirche mehr Theologen, die sie ernsthaft bestreiten.

Die Oberhäupter der übrigen beteiligten Kirchen gaben bei verschiedenen Anlässen zu verstehen, daß auch sie und ihre Synoden sie für gesichert halten. Nun haben die Theologen in weiteren Gesprächsrunden Vorschläge zu erarbeiten, wie man die Kirchen, die sich nach der langen unbegründeten Spaltung in nahezu allen Eiftzelheiten des kirchlichen Lebens fremdartig gegenüberstehen, aufeinander zuführen kann.

Bewußtseinsbüdung tut heute not, damit das Mühen um Einheit zwischen Katholiken und Orthodoxen nicht doch noch stagniere. Den lebendigen Schichten des Kirchenvolkes müssen die Folgerungen vertraut werden, die sich bei näherer Prüfung zwangsläufig aus der vom Zweiten Vatikanum eingeleiteten und allgemein begrüßten neuen ökumenischen Haltung ergeben. Dann rückt die endgültige Aussöhnung zwischen Schwesterkirchen tatsächlich näher.

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