Hoffnungsvolle Zwischentöne aus Moskau

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Der neue Leiter des ökumenischen Sekretariats der russischen Orthodoxie, der kürzlich auch in Wien war, läßt - auch in für Ökumene schwierigen Zeiten - Perspektiven erkennen.

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Der neue Leiter des ökumenischen Sekretariats der russischen Orthodoxie, der kürzlich auch in Wien war, läßt - auch in für Ökumene schwierigen Zeiten - Perspektiven erkennen.

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Unter der Überschrift "Kann man den Ökumenismus als Häresie bezeichnen?" erschien im November des vergangenen Jahres in der Religionsbeilage der "Unabhängigen Zeitung" in Moskau ein Artikel, in dem der Mönchspriester Ilarion Alfejew, der Leiter des erst vor kurzem neugeschaffenen Sekretariats für zwischenchristliche Beziehungen im Außenamt des Moskauer Patriarchats, die offizielle Position der Russischen Orthodoxen Kirche (R.O.K.) zur ökumenischen Bewegung darstellt.

Beim Lesen des Aufsatzes muß man sich vor Augen halten, daß Alfejew für orthodoxe Gläubige in Rußland schreibt, die dem Ökumenismus zum Teil sehr skeptisch bis strikt ablehnend gegenüberstehen. Des öfteren kann man heute in Rußland auf neuere Publikationen stoßen, in denen jegliche Form des Ökumenismus als Häresie militant abgelehnt wird. In diesem Artikel geht es darum, einer breiteren orthodoxen Leserschaft einerseits die Position der R.O.K. klar von falschen Vorstellungen einer zukünftigen Einheit abzugrenzen, andererseits aber eindeutig für eine weitere Mitarbeit in der ökumenischen Bewegung einzutreten.

Während die russische Orthodoxie um die Jahrhundertwende in einem intensiven Gesprächsprozeß mit den Altkatholiken und den Anglikanern stand und das Landeskonzil von 1917/18 in einer Resolution für eine rasche Einigung mit diesen Kirchen eintrat (siehe Furche 33/1997), war es nach der Oktoberrevolution der Kirche zunächst überhaupt nicht möglich, an internationalen ökumenischen Tagungen teilzunehmen. Als die kommunistischen Machthaber es zuließen, daß auch Vertreter der R.O.K. an ökumenischen Tagungen im Ausland teilnehmen durften, war dies auch immer nur für einen ganz bestimmten Personenkreis und unter bestimmten Auflagen erlaubt. So gab es nur einige ökumenische "Professionalisten", die von Konferenz zu Konferenz fuhren, während die breite Mehrheit der russischen Gläubigen von diesen Vorgängen völlig unberührt blieb. Daraus läßt sich leicht erklären, warum heute, wo sich die Situation grundlegend geändert hat, in der russischen Orthodoxie eine so große Skepsis und Abneigung gegenüber der Ökumene besteht. Durch falsche Vorstellungen von der Einheit entstand der Eindruck, die Orthodoxie müßte um der Einheit willen ihre eigene Identität aufgeben. So stehen die Vertreter der orthodoxen Kirche, die an den ökumenischen Gesprächen teilnehmen, in einem paradoxen Spannungsverhältnis: einerseits werden sie von den "westlichen" Kirchen als die großen "Bremser" und "Verhinderer" von gemeinsamen Beschlüssen bezeichnet, weil sie den Vorlagen und Entwürfen nicht zustimmen, andererseits in ihren Heimatländern von vielen des Verrats der orthodoxen Interessen bezichtigt. Sicher ist es heute unbedingt notwendig, einen breiten Informations- und Diskussionsprozeß unter den interessierten Gläubigen der R.O.K. einzuleiten, damit die Ökumene ihren "pseudokryptischen" Charakter verliert und dadurch das Vertrauen in diese Vorgänge wachsen kann. Darin sieht der Autor auch eine wichtige Aufgabe des neugeschaffenen Sekretariats.

Ökumenische Häresie Der Begriff "ökumenische Häresie" stammt ursprünglich aus Kreisen der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland und ist auch bei den sogenannten "Altkalendariern", einer traditionalistischen Gruppe in der griechischen Kirche, gebräuchlich. Nach Meinung Ilarion Alfejews wird die Ökumene dort zur Häresie, wenn man - nach der sogenannten "Branch-Theorie", die sich nach der Jahrhundertwende in der anglikanischen Theologie in der sogenannten Oxforder Bewegung entwickelt hatte - die Aufspaltungen des Christentums in verschiedene Kirchen als normales Produkt der Geschichte ansieht und mit den verschiedenen Zweigen eines Baumes vergleicht. Die wahre Kirche Gottes auf Erden - das ist der gesamte Baum mit allen seinen Zweigen. Der gemeinsame Ursprung wird durch den einen Stamm des Baumes sichtbar. Für die Orthodoxie ist diese Theorie, die unterschiedslos alle Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften (ursprünglich wurden nur jene Kirchen einbezogen, die die apostolische Sukzession haben, später wurde die Theorie auch auf andere kirchliche Gemeinschaften ausgedehnt) nebeneinanderstellt, unannehmbar. Allein die Tatsache, daß die orthodoxe Kirche an den ökumenischen Konferenzen teilnimmt, kann aber nicht als Häresie bezeichnet werden, denn es geht ja immer darum, Zeugnis von der Wahrheit der Kirche und für die Einheit abzulegen, auch in scheinbar aussichtslosen Situationen. Für Ilarion Alfejew wäre es eine Häresie, aus einer Haltung der Überheblichkeit und Verachtung gegenüber den nichtorthodoxen Brüdern nicht an den gemeinsamen Gesprächen teilzunehmen und dabei den wichtigsten Aufruf des Herrn zur Liebe, Barmherzigkeit und Einheit zu vergessen. Verständlicherweise sind manche Kreise in der orthodoxen Bevölkerung über einige Themenkreise, die heute bei den internationalen Begegnungen sehr oft angesprochen werden (zum Beispiel Frauenpriestertum, moralische Normen, eine extensive Auslegung der Bibel ...) beunruhigt und äußern sich dementsprechend kritisch: "Schau, mit wem die Russische Orthodoxe Kirche verkehrt."

Spaltung nie normal Die R.O.K. hat die Spaltung der Christenheit nie als Normalzustand angesehen. Für sie war das Streben nach der Einheit nach den Gebetsworten des Herrn: "... damit sie eins sind ...", "... sie sollen in uns eins sein, damit die Welt glaubt", "... so sollen sie vollendet sein in der Einheit" (Joh 17,11.21.23) immer ein Auftrag. Dieser Auftrag wird in unserer Zeit durch das Vorrücken eines kämpferischen Islams im Nahen Osten und durch die globale Säkularisierung in praktisch allen Ländern umso drängender und ist ein Gebot der Stunde. Wir leben heute in einer nachchristlichen Epoche, in der die christlichen Werte immer mehr aus dem Leben der Gesellschaft verschwinden. Gewalt, Profitdenken und Gesetzlosigkeit werden mit Hilfe von Massenkulturen immer populärer. Dagegen sollte in Zukunft das Christentum als einheitliche Front auftreten. Dabei geht es aber nicht darum, eine künstliche "Überkirche" schaffen zu wollen. Denn auch das wäre für die Orthodoxie nicht akzeptabel und war auch nie offizielles Programm der ökumenischen Bewegung.

Sehr nüchtern und realistisch sieht der Autor die Grenzen und Möglichkeiten auf dem Weg zur Einheit: mit den Altorientalen ist trotz Übereinstimmung in den Fragen der Christologie noch keine Einigung in Sicht; bezüglich einer Einheit mit den Katholiken bestehen fundamentale Differenzen in der Ekklesiologie; mit den Protestanten scheint ihm eine Einheit überhaupt unmöglich. Deshalb tritt er dafür ein, sich von manchen Mythen in der Ökumene zu verabschieden und die Realität einer fruchtbaren Zusammenarbeit zu sehen: auf sozialem Gebiet, im theologischen Forschen und in der persönlichen Begegnung. Die Zusammenarbeit sollte aber nicht aus taktischen oder strategischen Gesichtspunkten geschehen, sondern immer auch ein ehrliches Eingeständnis der Schuld beinhalten: jede Spaltung ist immer ein Verstoß gegen den Willen des Herrn. Angesichts der sittlichen und moralischen Krise der russischen Gesellschaft wird heute vielen klar, daß die Christen verschiedener Traditionen in Rußland bei weitem mehr Gemeinsames verbindet, als man früher meinte.

Vom Ökumene-Sekretariat wurde ein neues Konzept bezüglich der Beziehungen zu den anderen christlichen Kirchen vorbereitet. Dieses Konzept soll eine eigene Absage an den sogenannten "Parade"-Ökumenismus mit seinen Deklarationen über die Einheit beinhalten, die oft die realen tiefen Abweichungen zudecken. Klar und deutlich sollen auch jene Punkte benannt werden, bei denen ein lehramtlicher Konsens anerkanntermaßen nicht möglich ist.

Abschließend betont Alfejew die Loyalität des neuen Sekretariats zur Leitung der R.O.K. Es dient nicht eigenen Interessen, sondern handelt immer in Übereinstimmung mit den Beschlüssen der offiziellen Kirchenleitung.

Zur Frage des Austritts der R.O.K. aus dem Weltkirchenrat, den die Bischofsversammlung im Februar 1997 mehrheitlich gefordert hat, meint Alfejew, daß ein solcher Schritt nur in Übereinstimmung mit allen orthodoxen Landeskirchen erfolgen könnte. Es gibt heute in den einzelnen orthodoxen Landeskirchen dazu unterschiedliche Positionen.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt, wo die Beziehungen der R.O.K. zum Patriarchat von Konstantinopel sehr gespannt und belastet sind, würde ein Austritt der R.O.K. aus dem Weltkirchenrat bedeuten, daß Konstantinopel in seinem Hegemonieanspruch bestärkt würde und eine Reihe wichtiger Instrumente auf internationaler Ebene in die Hand bekäme. Daß eine solche Entwicklung in der R.O.K. niemand will, ist verständlich. Es wird die Zukunft zeigen, inwieweit es dem neuen Sekretariat für zwischenchristliche Beziehungen mit seinem jungen Leiter Ilarion Alfejew gelingen wird, nicht nur im Ausland gute Kontakte zu den verschiedenen christlichen Kirchen zu pflegen, sondern auch im eigenen Land eine positive Stimmung für eine weitere Mitarbeit an ökumenischen Prozessen zu schaffen.

Der Autor arbeitet in Moskau an einer Habilitationsschrift aus Ostkirchenkunde. Er ist zur Zeit auch Seelsorger der deutschsprachigen Katholiken in Moskau.

Alfejew in Wien Auch in Wien ließ der Ökumene-Verantwortliche der russischen Orthodoxie aufhorchen: Bei einem "Pro Oriente"-Symposion Mitte Februar 1998 forderte Ilarion Alfejew, der in Oxford studiert hat, eine Radikalreform der theologischen Ausbildung in Rußland, denn die wäre noch auf dem Stand von 1917. Insbesondere würden neue Erkenntnisse - etwa die Ergebnisse der modernen Bibelkritik - vollkommen mißachtet. Die theologische Ausbildung, so Alfejew, folge scholastischen Schemata aus dem 19. Jahrhundert, die damals vom Westen nach Rußland kamen, in Westeuropa aber schon lange nicht mehr in Gebrauch sind. Auch die Ausbildung zum Predigen sei völlig veraltet: Gelehrt werde ausschließlich das Aufsagen eines schriftlich entwickelten Themas, die Studenten würden gezwungen, eine "künstliche, obsolete Sprache zu sprechen". Auch hierbei werden nach den Worten Alfejews, immer noch Lernhilfen aus dem 19. Jahrhundert verwendet. ofri/KAP

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