"Wichtiger als das Kleid der Buhlschaft ..."

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Salzburgs "Ouverture spirituelle" begeisterte mit Sakralmusik des östlichen Christentums - und tiefen Einblicken in die Geistesund Glaubenswelt der Orthodoxie. Eine Intensivbegegnung mit der Vielfalt einer nahen und doch fremd gewordenen Kirche.

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Salzburgs "Ouverture spirituelle" begeisterte mit Sakralmusik des östlichen Christentums - und tiefen Einblicken in die Geistesund Glaubenswelt der Orthodoxie. Eine Intensivbegegnung mit der Vielfalt einer nahen und doch fremd gewordenen Kirche.

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Sie sangen und spielten zum Herzerweichen: die Chöre, Ensembles und Solisten der "Ouverture spirituelle", die dieser Tage die Klangwelt der Ostkirchen nach Salzburg brachten. Übervoll war allabendlich die Kollegienkirche - und begeistert tags darauf das mediale Echo.

Schon zum fünften Mal begannen die Salzburger Festspiele heuer mit einer tiefen Verbeugung vor der Sakralmusik: diesmal mit Hymnen, Psalmen und Chorälen des östlichen Christentums: armenisch und aramäisch, assyrisch und äthiopisch, koptisch und maronitisch, griechisch und russisch. Das Motto: "Ex oriente lux", Licht aus den Weiten der orthodoxen Welt.

Was dabei, trotz Publikumsansturms, kaum auf mediale Wahrnehmung stieß, waren - parallel dazu - die "Disputationes" unter dem Dach des Festspielhauses. Profunde Reflexionen zur Lage und zum Verständnis der Kirchen des Ostens, die uns Westeuropäern zugleich ganz nah im Glauben und doch seltsam fremd geblieben sind.

Eine Veranstaltungsreihe, für die auch heuer wieder das "Herbert-Batliner-Europainstitut" unter Erhard Busek und die Festspiel-Direktion verantwortlich zeichneten. Eigens dafür waren ein Patriarch und mehrere Metropoliten, Erzbischöfe und Bischöfe, Nonnen und Pilger, Wissenschaftler und Ikonen-Experten nach Salzburg gekommen.

Schätze und Gefahren

Bald schon war klar: Die Dimension des Themas "Orthodoxie" war in fünf dichten Tagen kaum auszumessen: Die verwirrende Vielfalt und Einheit ihrer Kirchen. Der Zauber ihrer Spiritualität und monastischen Traditionen. Die Mystik ihrer Ikonen, Hymnen und Gebete. Und das Ringen vieler Ostkirchen mit den Verlockungen und Gefahren des Nationalismus.

Die enorme Aktualität war offenkundig: Da waren das eben beendete, "verstümmelte" pan-orthodoxe Konzil auf Kreta und seine Folgen. Da waren der Besuch Wladimier Putins am Athos und seine Selbstinszenierung als Schutzherr der orthodoxen Welt. Und da waren die Emigration hunderttausender orthodoxer Gläubiger aus Osteuropa und Nahost -und die Auswirkungen auf ihre "Mutterkirchen". Und auch die Einbindung orthodoxer Länder in die EU.

Es war Salzburgs Erzbischof Franz Lackner, der daran erinnerte, dass uns Österreichern "aus einer satten Mehrheitsreligion heraus" sehr lange nicht genügend zum Verständnis anderer Religionen und Konfessionen abverlangt worden war. Um hinzuzufügen: "Heute aber steht das Entdecken vor dem Überzeugen!" Und Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler ließ keinen Zweifel, dass die bei den "Disputationes" aufgeworfenen Fragen "jedenfalls gewichtiger sind als das Kleid der neuen Buhlschaft".

Was die Salzburger Gespräche so spannend machte, war die Kompetenz und Offenheit der Referenten und Diskutanten in heiklen kirchenpolitischen, auch theologischen Fragen. Hier eine kleine Auswahl aus den Wortmeldungen:

Zum Verhältnis Kirche-Staat in der Orthodoxie: "Das Nationale ist kein orthodoxes Prinzip - auch wenn das oft von Innen nicht gesehen und von manchen Kirchen in den Vordergrund gerückt wird.

1872 hat ein orthodoxes Konzil den Nationalismus sogar als Häresie verurteilt. Es stimmt schon: Ohne Kooperation mit dem Staat geht es nicht, auch nicht in Österreich. Aber wie weit darf das gehen? Wann wird es gefährlich und untergräbt das Christliche? Wann versuchen andere Interessen, vom Glauben des Volkes zu profitieren? Fragen, die immer aktuell sind!"(Prof. Dr. Grigorios Larentzakis, Kreta)

"Dass Kirchen vom Staat vereinnahmt werden, das ist nicht typisch orthodox. Von Francos Spanien bis nach Polen kennen wir das auch in der katholischen Welt. Und selbst in Russland gibt es heute Menschen, die nicht die Linie des Patriarchats unterstützen und offen sagen: Wir wollen das nicht!" (Prof. Dr. Thomas Bremer, Münster)

Zur Rolle der Kirchen in den Kriegen am Balkan: "Es ist das Gebot der Stunde, die Religionen auf mögliche Gewaltpotenziale zu untersuchen. Religionen müssen sich unter das Recht stellen, müssen aus der Explosion von Gewalt herausgehalten werden. Das ist am Balkan oft nicht geschehen!"(Der serb.-orth. Bischof Andrej Cilerdzic)

Zum Verbot der "Tischgemeinschaft" christlicher Konfessionen: "Kirche ist dann Kirche, wenn sie am 'Brot des Lebens' teilnimmt. Das gemeinsame Abendmahl schenkt der Vielfalt erst Einheit ...

Wir können es in Zukunft nur dann besser machen, wenn wir allein auf den Kelch blicken und unsere Nationalismen, unsere latenten Konkurrenzen und Kleinkariertheiten beiseitelegen." (Prof. Dr. Assaad Elias Kattan, Münster)

"Die Schuld an der großen Trennung der Christenheit kann nicht durch den Dialog allein vergeben werden. Der ist notwendig, kann aber auch als Alibi benützt werden, um weiter nichts zu tun. Zur Vergebung sind unerlässlich: Einsicht, Bekenntnis, Akte der Buße, Bitte um Vergebung, Bereitschaft, selbst zu vergeben. Und schließlich der gemeinsame Vollzug der Eucharistie Die Eucharistie ist nicht nur Ziel des gemeinsamen Wegs, sondern auch Wegzehrung und Stärkung auf dem Pfad dorthin." (Prof. Dr. Philipp Harnoncourt)

Verhältnis Konstantinopel-Moskau

Zur Rangfolge ostkirchlicher Patriarchate (vor allem im Verhältnis zwischen Moskau und Konstantinopel):"Wenn jemand behauptet: 'Wir sind die Größten', dann ist das falsch. Nicht um Zahlen geht es - und nicht die Größe macht die Qualität, sondern umgekehrt! Wichtig ist auch nicht, ob beim Konzil alle anwesend sind (die russische Kirche und drei andere Patriarchate waren beim Konzil in Kreta nicht vertreten, d. Red.). Diejenigen, die gekommen sind, repräsentieren die ganze orthodoxe Kirche. Sie haben mit ihrer Unterschrift die Inhalte besiegelt - egal, ob alle da waren oder nicht!"(Prof. Larentzakis).

Zur Lage der syrischen Christen: "Keine andere christliche Kirche ist durch die Ereignisse in Nahost so getroffen wie die syrische. Sie kämpft um ihr Überleben. Wenn kein Wunder geschieht, werden unsere altsyrische Sprache, die Literatur und letztlich die Liturgie sterben. Und das in der Heimat Christi. Es gibt kein einziges geschlossenes Siedlungsgebiet mehr." (Prof. Dr. Aho Shemonkasho)

Zu Orthodoxie - und Ökumene - in Westeuropa: "Es kommen viele Christen aus Osteuropa und Nahost in den Westen. Ich frage mich: Müssen sie alle mit Strukturen ihrer 'Mutterkirche' betreut werden? Mit Hierarchien, die vorher nie da waren? Können nicht auch die Kirchen am Ort ein Zuhause für neu Zugezogene werden? Da entsteht so eine Art 'Konkurrenz'. Genügt nicht in jedem Land ein Bischof, der alle Orthodoxen betreut? Das ließe sich noch erweitern: Warum finden Christen - Katholiken, Orthodoxe usw. - nur einmal im Jahr in einer ökumenischen Stunde zusammen, statt das ganze Jahr über? Nur miteinander reden und freundlich sein - das ist zu wenig. Da muss sich strukturell etwas ändern!"(Prof. Larentzakis)

Die "Ouverture spirituelle 2016" in Salzburg: einmal mehr ein Ereignis, bei dem der Geist wehte.

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