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Die Ökumene ist ein „heiliges Ziel"

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Die größten Gefahren für das Christentum, für das Eintreten einer „nachchristlichen" Epoche kommen von innen, meint das Ehrenoberhaupt der Orthodoxen, Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel.

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Die größten Gefahren für das Christentum, für das Eintreten einer „nachchristlichen" Epoche kommen von innen, meint das Ehrenoberhaupt der Orthodoxen, Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel.

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FURCHE: Seit der Besetzung des Patriarchats im September 1991 hat sich das Verhältnis des türkischen Staates zu Ihrer Gemeinde stark verbessert. Ein erster Schritt - vielleicht symbolischer Natur - war der Verzicht auf die Streichung eines Kandidaten bei der letzten Patriarchenwahl. Vermissen Sie weitere Schritte?

PATRIARCH BARTHOLOMAIOS: Um gerecht und genau zu sein, die Verbesserung der Beziehungen der türkischen Regierung zum Ökumenischen Patriarchat hat schon in der Amtszeit unseres unvergeßlichen Vorgängers, Patriarch Dimitrios, begonnen. Unter dem Ministerpräsidenten und späteren Staatspräsidenten Turgut Özal haben bestimmte Gesten guten Willens stattgefunden, die die Kirche nicht nur geschätzt und mit großer Dankbarkeit zugegeben hat, sondern auch niemals vergessen wird.

An der Spitze dieser Gesten steht die Erlaubnis für den Wiederaufbau des vor fast 50 Jahren abgebrannten Patriarchatsgebäudes, verbunden mit anderen Freigebigkeiten, betreffend die Reisen von Priestern und Laien zum und vom Patriarchat. Im Rahmen dieses sozialpolitischen „Kontextes", der sicherlich einen positiven und liberalen Geist bezeugt, wäre es ungerecht und abwertend, wenn man die Nicht-Streichung eines der Kandidaten als einzigen positiven Schritt ansehen würde. Daher glauben wir, daß diese Geste ein zusätzlicher Ausdruck von Vertrauen und gutem Willen ist. Und weil sich seitens des Patriarchates bezüglich unserer Aufrichtigkeit und anständigen Ausübung unserer Aufgaben, die von rein spiritueller Natur sind, nichts geändert hat, sehen wir nicht ein, warum wir nicht eine hindernisfreie Fortsetzung eines solchen Vertrauens zu erwarten haben.

FURCHE: Sie sitzen hier an der Nahtstelle oder Grenzlinie des Christentums zum Islam. Das Christentum verliert durch Unterdrückung, Auswanderung und den „Lockruf des westlichen Goldes", die Moslems werden schon allein aus demographischen Gründen immer mehr. Wie sehen Sie den Aufstieg des Islam?

BARTHOLOMAIOS: Das, was Sie als „Grenzlinie" bezeichnen, wollen wir „Nachbarschaft" oder „Zusammenleben" nennen, weil der Begriff „Grenzlinie" das Wort „Grenze" einschließt, das negativ und nicht geeignet wäre, Beziehungen und gegenseitige Leistungen zwischen Menschen treffend zu bezeichnen, die als Bürger desselben Staates zusammenleben. Auf religiösem Boden kann die Gegenüberstellung Chance zum Dialog und muß nicht unbedingt Konkurrenz oder gegenseitige Abstoßung bedeuten.

Die Kirche von Konstantinopel, die nach den Worten von Paulus „in jedes und alles, in Überfluß und Entbehrung, eingeweiht ist" (vergleiche Phil. 4,12), beschäftigt sich nicht in erster Linie mit der zahlenmäßigen Zunahme von Anhängern anderer Religionen, sondern mit dem Glauben und der Treue ihrer Glieder an den Geist des Evangeliums.

Wir müssen uns bewußt werden, daß die größeren Gefahren für das historische Christentum immer die inneren Veränderungen und Entäußerungen und nicht die Unterdrückung von außen, Widrigkeiten und Konkurrenzen gewesen sind. Es ist nicht ohne Bedeutung, daß mehrere christliche Intellektuelle der Gegenwart in Verzweiflung schon eine„nach-christ-liche" Geistesrichtung und Einstellung innerhalb der rein christlichen Gesellschaften des Westens anklagen, indem sie offen über eine „nach-christ-liche Epoche" sprechen.

FURCHE: Vor dem Zusammenbruch des Sozialismus gab es einen gemeinsamen Gegner für die Christen. Die miteinander und nebeneinander erlittene Verfolgung ließ, trotz aller Probleme ein positives Bild der Christenheit von der Einheit in der

Vielfalt entstehen. Die neuesten Entwicklungen haben allerdings zu großer Spannung in der ökumenischen Bewegung geführt. Wie sehen Sie die Zukunft der Ökumene in Europa?

BARTHOLOMAIOS: Es ist enttäuschend, daß in Zeiten des Leidens und der gemeinsamen Prüfung unter dem atheistischen Regime die Kirchen nach Möglichkeit näher zu einander waren und sich gegenseitig gestützt hatten, während sie nach der Wiedereinsetzung der politischen Freiheit sich nicht im selben Maß reif erwiesen haben beziehungsweise imstande sind, ein überzeugendes Beispiel vom wiedergeborenen Menschen zu geben. Das bedeutet, daß die politische Freiheit selbst nicht imstande ist, die Instinkte der nicht-freien und eigennützigen Menschen zu überwinden, wenn sie nicht von einer tiefen geistigen Freiheit begleitet wird.

Jedenfalls stellt die ökumenische Bewegung ein heiliges Ziel dar, als Ausdruck des aufrichtigen Wunsches aller Christen nach Annäherung, Zusammenarbeit und Verständigung, trotz der zeitweiligen Schwierigkeiten und Abweichungen von diesem ihrem Hauptziel, welches die Wiederherstellung der Einheit in Christus ist. Diesbezüglich ist sehr ausdrucksvoll das Thema der kommenden V. Weltkonferenz der Kommission für Glaube und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen, in Spanien, im August 1993, unter dem Motto „Zur Gemeinschaft im Glauben, Leben und Zeugnis". Wir wollen anmerken, daß das Ökumenische Patriarchat an dieser bedeutungsvollen Konferenz mit einer Delegation aus acht Mitgliedern teilnehmen wird. Das Interview führte Klaus Tner.

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