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Was kommt nach Athenagoras?

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Die türkische Regierung hat die endgültige Schließung der Theologischen Hochschule des Patriarchats von Konstantinopel angeordnet, nachdem sie sich die juristische Grundlage für ihre Maßnahme durch ein Gesetz verschafft hatte, das die Existenz nichtstaatlicher Hochschulen aller Art in der Türkei untersagt. Mit diesem jüngsten Schritt gegen den Phanar wird der offenkundige Zweck verfolgt, durch ein Abschneiden des Priesternachwuchses die orthodoxe Kirche in der Türkei langsam zum Absterben zu bringen. Zwar lag eine Schließung der Hochschule auf der Prinzeninsel Chalki seit der erneuerten Verschärfung des Konflikts zwischen Regierung und türkischer Minderheit auf der Insel Zypern in der Luft, aber man hatte doch gehofft, daß die als modern und betont laizistisch geltende Regierung Erim nicht einen Schritt tun würde, der in der christlichen Welt Aufsehen erregen mußte und sich zwangsläufig als eine Schützenhilfe für die Bestrebungen der Allrussischen Kirche erweisen mußte, den Phanar von seinem überlieferten Platz zu verdrängen und selbst die Führung in der Orthodoxie zu übernehmen.

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Die türkische Regierung hat die endgültige Schließung der Theologischen Hochschule des Patriarchats von Konstantinopel angeordnet, nachdem sie sich die juristische Grundlage für ihre Maßnahme durch ein Gesetz verschafft hatte, das die Existenz nichtstaatlicher Hochschulen aller Art in der Türkei untersagt. Mit diesem jüngsten Schritt gegen den Phanar wird der offenkundige Zweck verfolgt, durch ein Abschneiden des Priesternachwuchses die orthodoxe Kirche in der Türkei langsam zum Absterben zu bringen. Zwar lag eine Schließung der Hochschule auf der Prinzeninsel Chalki seit der erneuerten Verschärfung des Konflikts zwischen Regierung und türkischer Minderheit auf der Insel Zypern in der Luft, aber man hatte doch gehofft, daß die als modern und betont laizistisch geltende Regierung Erim nicht einen Schritt tun würde, der in der christlichen Welt Aufsehen erregen mußte und sich zwangsläufig als eine Schützenhilfe für die Bestrebungen der Allrussischen Kirche erweisen mußte, den Phanar von seinem überlieferten Platz zu verdrängen und selbst die Führung in der Orthodoxie zu übernehmen.

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„Phanar“ heißt eigentlich der Stadtteil nach dem türkischen Wort Fener: Leuchtturm am Nordzipfel des alten Stadtdreiecks zwischen dem Goldenen Horn, dem Marmara-meer und der alten Landmajuer mit ihren 96 Türmen und dreifach gestaffelten Wällen, die der Kaiser Theodosius II. mit dem Speer absteckte, als „die Sonne im Zeichen des Schützen stand und der Krebs die Stunde regierte“. Hierhin waren die Griechen nach der Eroberung der Stadt im Jahr 1453 verdrängt worden: von der Hagia Sophia nach St. Aposteln, nach Paimmakarise\ nach St. Johannes in Trullo und schließlich nach St. Georg im Phanar. Der Weg war beschwerlich und voll Enttäuschungen. Die Griechen waren zu der unterworfenen Nachhut einer alten Geschichte geworden, und wenn der Sultan in seinen Fer-manen den griechischen Metropoliten auch die Funktion einer Obrigkeit über ihre Gläubigen verlieh und ihren Entscheidungen und Bannsprüchen die Wirkungskraft zusicherte, bezeichnete er doch ausdrücklich stets ihren Glauben als nichtig.

Die Patriarchen von Konstantinopel waren im Byzantinischen Reich Hofbischöfe und große Herren gewesen. Eine letzte Erinnerung daran ist die Fahne des Patriarchen: ein goldenes Balkenkreuz auf violettbraunem Grund mit goldenen Buchstaben in den Feldern.

An Macht ist dem ökumenischen Patriarchen nichts geblieben. Der geistige Mittelpunkt, die Hagia Sophia, war bei der Eroberung verlorengegangen, und die anfänglich noch vorhandene geistliche und politische Führungsstellung über den nichtmuselmanischen türkischen Bevölkerungsteil schwand mit dem Verfall des Ottomandschen Reiches und der Gründung selbständiger Volkskirchen auf dem Balkan. Seine Autorität als Primas der orthodoxen Kirche stützt sich auf keinen Rechtstitel. Alle Kirchen sind unabhängig, höchste kirchliche Entscheidungen von bindender Kraft sind unbekannt.

Zwar wird dem Patriarchen von Konstantinopel eine Ehrenstellung zuerkannt, aber sie stützt sich allein auf dae Tradition.

Dem entsprechen die Bescheidenheit und die Schmucklosigkeit dieses geistlichen Regierungssitzes. Kaum etwas hebt ihn aus den nachbarlichen Holzhäusern heraus, von denen die meisten verlassen sind oder nur noch als Lagerräume benutzt werden. Das Haupttor ist verschlossen, seit an seinem Mittelbalken im Jahr 1821 der Patriarch Gregor V. aufgehängt wurde: ein Sündenbock für den griechischen Aufstand gegen die türkische Herrschaft. Kleine Rosenbeete zwischen unscheinbaren Gebäuden, links die kleine Kirche Sankt Georg, rechts das dreistöckige, gelbe Verwaltungsgebäude.

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Unter den jetzigen Umständen stellt sich zwangsläufig die Frage nach der Stellung des ökumenischen Patriarchen gemäß türkischem und internationalem Recht. Er besitzt, wie die Mitglieder der Heiligen Synode und die Metropoliten der fünf türkischen Bistümer, die türkische Staatsbürgerschaft. Wie sie, hat er den Gesetzen Ankaras zu gehorchen; wie von ihnen, wird von ihm die strikte Erfüllung aller staatsbürgerlichen Pflichten erwartet. Ihm steht, wie dem Oberrabbdner und dem Mufti, das Recht zu, in der Öffentlichkeit seine Amtstracht zu tragen, von dem er jedoch nur sehr selten Gebrauch gemacht hat. Ihm ist die freie Ausübung der Religion durch die Verfassung gewährleistet, die allerdings das Patriarchat ebensowenig erwähnt wie der Friedensvertrag von Lausanne aus dem Jahr 1923, in dessen Verhandliuingsproto-koll es lediglich heißt, die türkische Delegation habe „die feierlichen Versicherungen der alliierten und griechischen Delegationen zur Kenntnis genommen, das Patriarchat werde sich in Zukunft in keiner Weise mit politischen Angelegenheiten beschäftigen und sich ausschließlich auf den religiösen Bereich beschränken“.

Zwar erklärte im Sommer 1964 der türkische Außenminister, dieses Protokoll sei als ein integrierender Bestandteil des Vertragswerkes anzusehen. Aber in türkischen Kreisen ist doch stets zu hören gewesen, der eigentliche Vertrag nähme mit keinem Wort Bezug auf die Stellung des Patriarchen, und lediglich die Anlagen enthielten Andeutungen über verschiedene mündliche Vereinbarungen. Gewiß habe der Ministerpräsident Menderes dem Patriarchat einige Privilegien eingeräumt, aber sie könnten keineswegs als verbindlich angesehen werden und entsprächen im übrigen auch nicht mehr den heute gültigen Auffassungen. Die Türkei sei für ihre religiöse Toleranz bekannt. Sie habe nichts gegen einen Patriarchen für die türkischen christlichen Gemeinden einzuwenden, aber wenig Verständnis dafür, daß gerade Istanbul dem Oberhaupt der orthodoxen Kirche als Residenz dienen müsse.

Nichts hindere Griechenland daran, dem Patriarchen einen Gebietsstreifen auf dem Berg Athos zur Verfügung zu stellen, auf dem er seine Residenz aufschlagen könne. In Äußerungen dieser Art drückt sich unüberhörbar der zwar nicht öffentlieh ausgesprochene, aber deshalb nicht weniger starke türirische Wunsch aus, das ökumenische Patriarchat zu einer großen Pfarre zu machen, in der dem Patriarchen die Rolle des Metropoliten zufallen würde.

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Für diese Haltung können zwei Gründe herangezogen werden: Einmal sind viele Türken darüber verstimmt, daß seit der Abschaffung des Kalifats durch Atatürk ihnen ein religiöses Oberhaupt vorenthalten bleibt, der griechischen Minderheit aber zugestanden ist. Diese Mißbilligung einer, wie geglaubt wird, unangebrachten Toleranz hat sich seit den von den konservativen Kreisen geförderten Bemühungen um eine Wiederbelebung des religiösen Lebens und dem Zypernkonflikt erheblich vergrößert. Hinzu kommt, daß die der türkischen Kontrolle weitgehend entzogenen Beziehungen des Phanars zum Ausland den amtlichen Stellen mißfallen, mag es sich bei den ausländischen Partnern des Phanars auch ausschließlich um Kirchen handeln. Man sieht die Besuche hoher ausländischer Prälaten im Phanar höchst ungern und ist schok-kiert von der Aussicht, das Patriarchat in Istanbul könnte wieder zu einem Mittelpunkt der christlichen Welt werden.

Gewiß ist es seit der Revolution der Militärs im Jahr 1960 nicht mehr zu offenen Ausschreitungen gegen den Phanar gekommen. Aber die Kirche spürt doch seit einiger Zeit eine Zunahme des Drucks, und heute muß man sich fragen, ob nach dem Tod des fünfundachtzigjährigen Patriarchen Athenagoras die türkische Regierung das Patriarchat nicht überhaupt schließen wird. Das Verbot, den Patriarchenthron neu zu besetzen, wäre dafür das einfachste Mittel. In orthodoxen Kreisen des Orients wird nicht daran gezweifelt, daß in diesem Fall der von dem IV. ökumenischen Konsul in Ephesos ausdrücklich anerkannte ökumenische Charakter des Patriarchats von Konstantinopel von der Allrussischen Kirche sofort bestritten und für das Moskauer Patriarchat in Anspruch genommen würde.

Ohnehin ist ja der Phanar seit der Ausweisung der noch in der Türkei lebenden Griechen, die im April 1965 wegen der Zuspitzung des Zypemkonflikts von der türkischen Regierung verfügt wurde, seiner natürlichen Grundlage, der Gläubigen, beraubt, und nach der Schließung seiner Theologischen Hochschule kann das Patriarchat für seinen Anspruch auf den Vorsitz in der Orthodoxie sich nur noch auf die Tradition und seine große Vergangenheit berufen. Dadurch aber wird seine Stellung in der harten Auseinandersetzung zwischen Griechen, Russen und Amerikanern um die Führung in der Orthodoxie außerordentlich geschwächt. Eine derartige Entwicklung kann besonders den Russen nur willkommen sein, die sehr wohl wissen, daß die griechische Orthodoxie politisch stets die Interessen des Westeais im östlichen MitteJmeergebiet vertreten hat und ihren Einfluß letzthin dem Patriarchat von Konstantinopel verdankte, das sich immer als eine Brücke zwischen dem Osten und dem Westen verstand. In Athen verfolgt man darum die russischen Bemühungen mit besonderer Aufmerksamkeit und hat deshalb auch im letzten Jahr alles getan, um die im Einverständnis mit Moskau betriebene Loslösung der nord- und südamerikanischen Kirchen aus der griechischen Abhängigkeit und ihren Zusammenschluß zu einer selbständigen, autokephalen Kirche zu verhindern. Damit ist aber nur eine Atempause gewonnen.

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Das Allrussische Patriarchat verfügt nicht nur über die meisten Gläubigen, die höchste Priesterzahl, sehr viel Geld und ausgezeichnete Beziehungen zu vielen anderen Patriarchaten, sondern auch über die Rückendeckung der sowjetischen Regierung. Die Kirche mag in der Sowjetunion ständig mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, aber die amtliche Hilfe ist ihr sicher bei ihren Bemühungen um eine Wiederaufnahme der alten russischen Schutzherrschaft über die orthodoxen Christen, denn zwischen den großrussischen Vorstellungen des sowjetischen Staates und denen der Allrussischen Kirche gibt es keinen Widerspruch. Der für die Außenpolitik der Allrussischen Kirche verantwortliche Metropolit Nikodiim — ein großer, stämmiger, selbstbewußter, streitbarer, aber sehr beweglicher Mann in der Mitte der Vierzigerjahre, der seine Stellung der Gunst des Kreml verdankt — treibt ebenso sowjetische Außenpolitik wie der Kreml selbst. Seit jeher hat sich ja die Allrussische Kirche als den verlängerten Arm der russischen Regierung betrachtet, und die heutigen Bemühungen sind nur eine Fortsetzung der zaristischen Politik, die aus Moskau das „Dritte Rom“ zu machen suchte.

Bei seinen Bemühungen, aus Moskau den Mittelpunkt der Orthodoxie zu machen oder aber wenigstens das Patriarchat von Konstantinopel unter russischen Einfluß zu bringen, kann das Moskauer Patriarchat auf die unbedingte Unterstützung der bulgarischen und der rumänischen Kirche rechnen. Aber auch andere slawische und balkandsche Kirchen sind heute eher geneigt, Moskau als ihren Mittelpunkt anzusehen. Schon vor der Wahl des jetzigen Patriarchen Athenagoras hatte das Moskauer Patriarchat geltend gemacht, die russischen Metropoliten seien sowohl Wähler als auch wählbar. Damals brachte erst die Entscheidung der türkischen Regierung, der Patriarch von Konstantinopel müsse Türke sein, Moskau zum Schweigen. Heute fragt es sich, ob Moskau mehr daran gelegen ist, den Phanar unter russischen Einfluß zu bringen oder aber den Platz Konstantinopels selbst einzunehmen. Das erste ließe sich durch die Wahl eines moskaufreundlichen Patriarchen ermöglichen. Das würden die Türken wahrscheinlich mit einer Schließung des Phanars beantworten. Die mit ihr zwangsläufig verbundene Verlegung des Patriarchats von Konstantinopel ließe sich dann wahrscheinlich leicht mit einer Vergößerung des russischen Einflusses koppeln.

Man mag dagegen einwenden, der Phanar sei längst zu einer Einrichtung von untergeordneter Bedeutung geworden und der Streit um ihn verdiene deshalb kaum Aufmerksamkeit. Nun, dieser Auffassung ist man in Moskau augenscheinlich nicht, das die Allrussische Kirche als ein Instrument schätzt, das manche amtlichen politischen Initiativen durchaus zu fördern vermag. Es läßt sich gut vorstellen, daß die Allrussische Kirche, die in den letzten Jahren sehr im sowjetischen Sinn in der Friedensbewegung tätig war, dazu ausersehen ist, die europäische Sicherheitskonferenz, die von der sowjetischen Regierung mit allen Mitteln angestrebt wird, den christlichen Kreisen Europas schmackhafter zu machen. Wenn aber dem Phanar keine politische Bedeutung zukommt, dann bleibt das türkische Vorgehen unverständlich, denn an eine Wiederherstellung von Byzanz denkt heute kein Grieche, kein orthodoxer Gläubiger mehr. Es ist bekannt, daß sich die Türkei über die Schwächung der Südostflanke sorgt. Desto mehr sollte ihr daran gelegen sein, sich nicht die orthodoxe Bevölkerung am östlichen Mittelmeer zu entfremden und nicht Moskauer Bestrebungen mittelbar Vorschub zu leisten, die sich früher oder später als politisch nachteilig erweisen dürften

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