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Generalstab ohne Soldaten

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Eine unscheinbare Notiz im Zentralorgan der tschechischen KP, im „Rude pravo”, berichtete davon, daß der Präsident der Tschechoslowakei dem „früheren” Oberhaupt der autokephalen Orthodoxen Kirche der Tschechoslowakei, dem Metropoliten Jeleferij, den „Orden der Republik” verliehen hat und daß ihm in der tschechoslowakischen Gesandtschaft in Moskau als Abschiedsgeschenk der Prager Regierung ein Gemälde von Prag überreicht wurde.

So wie Jeleferij-Eleutherius (Woronzow), einst Bischof von Rostow und Taganrog, nach Prag versetzt und hier erster orhodoxer Erzbischof, später Leiter des Exarchats und Metropolit geworden war, so versetzte man ihn eben — auch nachdem die tschechoslowakische Orthodoxe Kirche auf dem Papier die Auto- kephalie, also die Selbständigkeit, erreicht hatte — ganz einfach nach Rußland zurück, um ihn zum Metropoliten von Leningrad und Nowgorod zu machen.

Was aber macht die Orthodoxe Kirche der Tschechoslowakei heute, nachdem sie durch zehn Jahre — und zwar in den entscheidenden Jahren zwischen 1946 und 1956 — von dem sowjetischen Staatsbürger Jeleferij, dem heutigen Leningrader Metropoliten”; geführt,” praktisch erst überhaupt aufgebaut und natürlich entscheidend beeinflußt worden ist? Gewiß, optisch unterscheidet sich die heutige Orthodoxie in den Ländern Böhmen und Mähren sowie in der Slowakei sehr wesentlich von der Orthodoxen Kirche dieser Länder in den hundert Jahren vorher, die damals praktisch nur dahinvegetierte, kaum neue Mitglieder zu gewinnen vermochte, auf Priesternachschub aus Rußland angewiesen war und eigentlich nur Tiefpunkte aufzuweisen hatte, etwa als inmitten des ersten Weltkrieges, 1917, der Leiter der Prager orthodoxen Gemeinde, der (russische) Priester Nikolaus Ryzkov, wegen Hochverrats hingerichtet wurde oder als inmitten des zweiten Weltkrieges der tschechische orthodoxe Bischof Gorazd — es bestand daneben eine andere kleine Gruppe von Orthodoxen unter Bischof Sergij, vorwiegend aus Russen und russischen Emigranten bestehend, die unangetastet blieb — 1942 hingerichtet wurde, nachdem die Heydrich-Atten- täter in der Krypta der Bischofskirche, der herrlichen Cyrill-und-Method-Kirche gefunden wurden und hier auch ein Geheimsender untergebracht war.

Verglichen mit der Entwicklung bis 1942 ist alles, was später kommen sollte, einfach überragend: der taktischen Kehrtwendung von Belgrad — dessen Patriarchen sich die Orthodoxe Kirche der Ersten Republik unterstellt hatte — nach Moskau folgt Erfolg auf Erfolg: schon ein Monat nach der Unterstellung unter Moskau erhebt der Moskauer Patriarch Alexej das Prager orthodoxe Bistum (eine Eparchie war es seit 1929) in den Rang eines Erzbistums. Ein Exarchat für das gesamte Gebiet der Tschechoslowakei wird errichtet und schon 1948 erreicht der Ausbau der Orthodoxen Kirche mit der Erhebung von Prag in den Rang einer Metropolie ihren Höhepunkt: Prag ist damit kirchenrechtlich Moskau, Kiew und, Leningrad gleichgestellt. “‘TČb er auch der innere Ausbau wird fortgesetzt: neben Prag entsteht in Mähren die orthodoxe Diözese Olmütz-Brünn; in Böhmen führt der nachmalige Erzbischof Jan Kuchta als Hilfsbischof den Titel „Bischof von Saaz” (Zatec) — dabei deutlich an hussitische Traditionen anknüpfend. In der Slowakei steht neben der neugegründeten orthodoxen Diözese Michalovci auch die Diözese Prešov zur Verfügung. Hier aber schafft man erstmalig nichts Neues: in brutalem Zupacken hatte man die blühende unierte (griechisch-katholische) Diözese Prešov liquidiert, ihren Bischof, Msgr. Gojdič, verhaftet und die unierte Bevölkerung ganz einfach als orthodox weitergeführt. Vorausgegangen war dieser Maßnahme am 28. April 1950 ein „Sabor”, der trotz der angewandten Zwangsmittel nur ein klägliches Ergebnis gezeitigt hatte: nur 106 der 311 griechisch-katholischen Priester, also nur ein Drittel, war zur Orthodoxen Kirche übergetreten, zwei davon allerdings sofort in den Rang von Bischöfen avanciert. Die anderen konnten — da die unierte Kirche nicht mehr anerkannt ist — nicht mehr Priester bleiben und ergriffen andere Berufe.

Einen neuen Höhepunkt für die Entwicklung der Orthodoxen Kirche der Tschechoslowakei bringt der Dezember 1951, als das bisher Moskau unterstehende Exarchat autokephal, also selbständig wird.

Diesem rasanten organisatorischen Aufbau entspricht aber keineswegs eine Ausweitung des Kreises orthodoxer Gläubigen — ganz ähnlich übrigens, wie die verspätete Los-von-Rom-Be- wegung nach 1918 eher zu einer Wiederbelebung hussitischer Traditionen durch die damals gegründete tschechoslowakische Kirche führte, keineswegs aber zu einer Stärkung der Orthodoxie. Lediglich in der Karpaten-Ukraine war die Zahl der Mitglieder der Orthodoxen Kirche unmittelbar nach Ende des ersten Weltkrieges von 600 auf 60.000 gestiegen (für die anfänglich allerdings ein einziger Priester zur Verfügung stand) und erreichte rasch 10 Prozent der Bevölkerung, während ihr Anteil in Böhmen und Mähren nie die Zweiprozentgrenze überschritt. Aber auch noch 1930 standen in der Karpaten- Ukraine 112.000 Orthodoxen (15,5 Prozent) 3 59.000 unierte Christen (49,5 Prozent) gegenüber.

Durch den Verlust der Karpaten-Ukraine, die 1945 nicht mehr der Tschechoslowakei angegliedert wird, sondern von der Sowjetunion der Sowjetrepublik Ukraine angeschlossen wurde, verliert die Orthodoxe Kirche der Tschechoslowakei schlagartig zwei Drittel ihrer Gläubigen, ein Verlust, den man auch dadurch nicht wettmachen kann, daß man seit 1950 die linierten Christen einfach als orthodoxe weiterführt. Auch die Massenausweisungen der Deutschen und Ungarn bringen für die Orthodoxe Kirche wohl einen „optischen” Lichtblick, nämlich einen größeren Anteil an der Gesamt- bevölkerung, ohne daß dies ein Anwachsen der Zahl der Gläubigen zur Ursache gehabt hätte. Der einzige tatsächliche Gewinn ist die zahlenmäßig allerdings keineswegs bedeutende Grupp der Wolhynientschechen, die nach 1945 aus der Sowjetunion in die Tschechoslowakei zurückgeführt wird. So ähnelt trotz größter Bemühungen auch heute die Orthodoxe Kirche der Tschechoslowakei einem Generalstab ohne Soldaten.

Aber auch die Zukunftsaussichten der Orthodoxen Kirche in Böhmen, Mähren und in der Slowakei sind nicht rosig. Das, was ursprünglich ihre Chance war, die Wendung zu und die Verbindung mit -Moskau, ist heute etwas Negatives, ja, Abstoßendes geworden. Das ständige Herausstellen russischer Dichter, Forscher, Musiker und Wissenschaftler hat die Tschechen, das intelligenteste und begabteste der westslawischen Völker, an einer empfindlichen Stelle getroffen und die latente Aufgeschlossenheit für pan- slawistische Ideen stark abkühlen lassen. Die Propagandawalze, „die Orthodoxie hat nie den Feinden der Tschechen und Slowaken gedient, was keine andere historische Kirche von sich behaupten kann”, ist wirkungslos geworden. Und das, was man der katholischen Kirche als Hauptvorwurf anzukreiden versucht — sie sei dem Westen zugewendet —, vermag man heute keineswegs mehr als etwas Negatives auszumünzen.

Das Betrübliche der heutigen Situation aber ist, daß zwischen beiden christlichen Kirchen, der katholischen und der Orthodoxen — und die Orthodoxe Kirche ist, ganz im Gegensatz etwa zur tschechoslowakischen Kirche, die sich schon in der Ersten Republik sehr weit vom historischen Christentum entfernte, tatsächlich eine christliche Kirche —, außerordentlich kühle Beziehungen bestehen, die vor allem in der Liquidierung der unierten Kirche ihre Ursache haben.

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