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Nur kein neues Unrecht!

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Eine groß angelegte, von den sta - linistischen Sowjetbehörden der Nachkriegszeit durchgeführte Kampagne entzog 1946 der Ukrai- nischen Unierten Kirche das Exi- stenzrecht. Jahrzehntelang ver- suchten in der Folge die Behörden, mit unzähligen Verhaftungen, Ver- hören, Mißhandlungen, Polizeistra- fen, Prozessen, Verbannungen und Deportationen zu erzwingen, daß alle unierten Katholiken der Ukrai- ne sich beugten und sich in die Orthodoxie eingliedern ließen. Doch vergebens. Die Zwangsmaßnahmen brachten zwar ungeheures Leid über das Land, aber sie brachen den Widerstandswillen nicht, son- dern bestärkten ihn. Das Leben der Ukrainischen Unierten Kirche ging im Untergrund weiter. Neue Prie- ster und Bischöfe wurden geweiht. Die verbotenen Ordensgemein- schaften nahmen neue Mitglieder auf.

Da aber alles in Illegalität vor sich ging, wäre die Bekanntgabe von Details auf Denuntiation an die Behörden hinausgelaufen. Nur dann brauchte dies nicht befürch- tet zu werden, wenn es um Todes- fälle ging oder um Polizeimaßnah- men, Verhaftungen und Verurtei- lungen. Also wurde das, was ge- schah, nur in sehr einseitiger Aus- wahl bekannt gemacht. Doch aus den Tatsachen, die man erfuhr, und wegen des Umstands, daß sie die ganze Zeit von 1946 bis in die Ge- genwart abdecken, kann die Inten- sität des illegalen Kirchenlebens einigermaßen erahnt werden.

Wenn gegenwärtig Rechte für die Unierten in der Ukraine gefordert werden, geht es also nicht darum, eine unierte Kirche neu aufleben zu lassen. Das Lebender Ukrainischen Unierten Kirche ist nie erloschen. Es geht um das Recht auf freie Religionsausübung für Gläubige, die in der Illegalität lebten, weil ihnen das fundamentale Menschen- recht auf Gewissensfreiheit über 40 Jahre lang verwehrt war.

Der „Rat für religiöse Angele- genheiten beim Ministerrat der Ukrainischen SSR" räumte in ei- ner Bekanntmachung anläßlich der Romreise Michail Gorbatschows offen ein, daß den unierten Gläubi- gen in der Vergangenheit nicht einmal jene minimalen religiösen Rechte zugestanden wurden, die vom Sowjetstaat anderen Konfes- sionen gegenüber noch geduldet waren, daß die Unierten vielmehr die von den Gesetzen der Sowjet- union eigentlich allen Gläubigen zugesicherten Rechte erst noch erhalten müssen.

Bezogen auf die Zukunft heißt es in der Bekanntmachung: „Der Rat für Religiöse Angelegenheiten er- klärt offiziell, daß griechisch-ka- tholische Gläubige von allen Rech- ten Vorteile erhalten können, die vom Gesetz über religiöse Vereini- gungen in der Ukrainischen SSR vorgesehen sind." (Ukrainischer Pressedienst, November 1989)

Doch es ist eine sehr heikle Frage, wie man das Unrecht, das an der unierten Kirche geschah, in einer Weise beenden kann, die kein neues Unrecht heraufbeschwört. Denn es käme zu schweren neuen Konflik- ten, wenn man, wie manche es sich in Unkenntnis der wirklichen Umstände vereinfacht vorstellen, für die unierten Christen die Reli- gionsfreiheit dadurch wiederher- stellen wollte, daß man kurzerhand für ungültig erklärt, was nach Kriegsende geschah. Wenn man sozusagen versuchen wollte, die Geschichte zurückzudrehen und der unierten Kirche pauschal wieder zuzuerkennen, was ihr damals genommen wurde.

Man muß Tatsachen und Ent- wicklungen in der Westukraine, den Wandel im theologischen Denken seit dem II. Vatikanischen Konzil, sowie manche Auswirkungen der menschlichen Psyche auf das kirch- liche Leben bedenken, wenn man nach einer echten Lösung sucht.

Darauf ist Bedacht zu nehmen, daß eine uns unbekannte Zahl von Christen der Konversion zur Or- thodoxie schon von Anfang an im Gewissen beipflichtete. Auch der Wechsel in den Wohnsitzen ist zu beachten, denn innersowjetische Bevölkerungsbewegungen, darun- ter auch Deportationen unierter Christen in der Stalinzeit, führten dazu, daß Orthodoxe in die West- ukraine und viele Unierte weit nach Osten, bis nach Sibirien, kamen.

Zudem ist zu bedenken, daß nun schon die zweite Generation von Gläubigen heranwächst, die nicht mehr in unierten Gotteshäusern getauft werden konnten, weil es solche Gotteshäuser nicht gab. Nur ein Teil der Taufen konnte im ge- heimen von unierten Priestern ge- spendet werden. Die Mehrzahl der Taufen wurde in orthodoxen Got- teshäusern vollzogen. Viele von denen, die ins orthodoxe Gottes- haus gingen, taten dies nur wegen der Zwangslage und verstanden sich trotzdem als unierte Christen.

Aber zweifellos wuchsen manche in den mehr als 40 Jahren echt in die orthodoxe Kirche hinein. Auch über ihre Zahl vermag niemand etwas Sicheres zu sagen. Vermut- lich haben wir sogar zahlreiche Fälle, in denen nahe Verwandte oder gute Freunde diesbezüglich unter- schiedlich empfinden. Die ortho- doxen und die unierten Gläubigen leben also heute in viel stärkerem Ausmaß untereinander vermischt, als dies vor 1946 der Fall war. Es wäre fatal, wenn man dies bei der' Bereinigung der Rechtslage über- sähe.

Viel Leid brächte die Legalisie- rung der unierten Kirche, wenn Orthodoxe und Unierte einander wieder ebenso streng die Euchari- stie verweigern, wie dies vor 1946 der Fall war. Denn dann dürften in vielen Fällen Familienangehörige nicht mehr miteinander zu den heiligen Sakramenten gehen. Be- denken wir noch, daß ein sehr ho- her Anteil der Priester, die die Russische Orthodoxe Kirche in den letzten Jahrzehnten weihen konn- te, von ehemals unierten Eltern beziehungsweise Großeltern ab- stammt. Sie tun Dienst in orthodo- xen Diözesen und Pfarreien in vie- len Teilen der Sowjetunion.

Werden sie für den Fall, daß es wieder zu einem scharfen Gegen- satz zwischen unierter und ortho- doxer Kirche kommt, ihre Gemein- den verlassen, um mit ihren Ange- hörigen wieder Unierte zu sein? Oder werden sie ihren nahen Ange- hörigen den Schmerz bereiten, daß sie Amtsträger auf der anderen Seite der Kirchenspaltung bleiben?

Probleme ergäben sich auch, falls in größerer Zahl orthodoxe Chri- sten der Union beitreten wollten, weil sie enttäuscht sind von der Nachgiebigkeit gewisser orthodo- xer Hierarchen gegenüber dem atheistischen Staat in den vergan- genen Jahrzehnten, und weil des- wegen die unierte Kirche, die das Kreuz der Verfolgung trug, bei ihnen umso höher in der Achtung steht. Einerseits wäre in diesem Fall zu fragen, ob zurückgewiesen wer- den darf, wer um Aufnahme in die katholische Kirche bittet. Anderer- seits muß man auch fragen, ob alle Ansuchenden aufgenommen wer- den dürfen, weil dadurch nämlich die orthodoxe Kirche, die ebenfalls schwer verfolgt war, in der Zeit anbrechender Freiheit weiter ge- schwächt würde.

Könnte die ökumenische Annä- herung zwischen der katholischen und der orthodoxen Kirche vieles ersparen? Aber ist die ökumenische Neubesinnung tatsächlich schon so weit ins Volk gedrungen, daß dar- aus echte Konsequenzen nicht nur gedanklich gezogen, sondern auch praktisch gelebt werden können? Viele fragen sogar: Wenn die ortho- doxe und die abendländische Kir- che, wie im Ökumenismusdekret des II. Vatikanischen Konzils dargelegt, Schwesterkirchen sind, muß es dann zwischen ihnen noch eine unierte Kirche geben?

In der Tat ergibt sich aus der Kirchenlehre des II. Vatikanischen Konzils, daß sogenannte Teilunio- nen (das sind Unionen, die einen Teil der orthodoxen Gläubigen von der gesamten orthodoxen Kirche abspalten, um diesen dann als eine gesonderte unierte Gemeinschaft mit der katholischen Kirche zu verbinden, wie das bei den Ostsla- wen geschah, als nur ein Teil von ihnen die Brester Union mit der katholischen Kirche annahm) ein Irrtum sind.

Wer den Dekreten des II. Vatika- nischen Konzils zustimmt, darf nach keinen neuen Teilunionen streben. Denn jede Teilunion spal- tet die Kirche Christi neuerdings. Manche orthodoxe Theologen mei- nen deshalb, der Ökumenismus mache es ratsam, auf eine unierte Kirche in der Ukraine zu verzich- ten und überhaupt die Existenz aller unierten Kirchen zu beenden. Auch manche Kirchendiplomaten unter den Katholiken fänden es beque- mer, wenn es keine unierten Kir- chen mehr gäbe.

Doch geht es in der Ukraine, wie gesagt, nicht um eine neue Teiluni- on, vielmehr um das Lebensrecht für eine 400 Jahre alte Kirche. Dort wie in allen Ländern, wo es unierte Kirchen gibt, stehen wir vor der Tatsache, daß wegen gewisser Feh- ler, die geschahen, ehe der Ökume- nismus der Gegenwart neue Ein- sichten erwarb, Kirchen entstan- den, die der heutigen Theologie Probleme bereiten. Die unierten Kirchen, die entstanden sind, weil beim Streben nach Einsicht Fehler geschahen, bestehen. Sie leben, weil Gott mit unseren Fehlern gnädig ist und seine Gnade trotz unseren Spaltungen fortgewährt, Wie dürf- ten da Menschen nach dem eiser- nen Besen rufen, um die Auswir- kungen der Fehler auf schnellem Weg zu beseitigen?

Der Ökumenismus will die Spal- tungen überwinden. Solange eine Spaltung aber als Glaubensspal- tung gilt, ist den Ökumenikern Zurückhaltunggeboten, auch wenn sie selbst schon zu einer tieferen Einsicht fanden. Solange die Mehr- heit der Christen zwischen der katholischen und der orthodoxen Kirche weiterhin eine Glaubens- spaltung vermutet, geht es nicht an, einen Konfessionswechsel zu ver- langen. Vielmehr bedarf es um der Gewissen willen des Rechtsschut- zes für die unierten Kirchen. Doch um der durch das II. Vatikanische Konzil uns Katholiken auferlegten Ehrfurcht vor der orthodoxen Schwesterkirche willen bedarf es zugleich großer Diskretion, wenn wir nach der Gewährung eines sol- chen Rechtsschutzes verlangen.

Es bedarf also der Rücksichtnah- me nach zwei Seiten, und diese fällt nicht leicht. Im konkreten Fall dürfte sie deswegen auf besondere Schwierigkeiten stoßen, weil den unierten Ukrainern wegen ihrer langen Isolation vieles von dem, was das II. Vatikanische Konzil lehrt, noch nicht einmal bekannt ist. Ihre in der Illegalität geweihten Prie- ster und Bischöfe entbehren ver- ständlicherweise der theologischen Studien. Was sie im Untergrund an Rudimenten einer Ausbildung er- langten, beruht im wesentlichen zwangsläufig auf dem, was die sie unterweisenden Vorgänger aus der Theologie der Vorkriegszeit in Er- innerung hatten.

Denn in der Illegalität waren die Unierten vom Informationsfluß mit den Glaubensbrüdern im Westen noch radikaler abgeschnitten als die ebenfalls verfolgten, aber we- nigstens nicht völlig verbotenen lateinischen Katholiken der Sowjet- union. Sie werden es daher jetzt überaus schwer haben, in vollen Gedankenaustausch mit der Welt- kirche einzutreten und zu einer dem Ökumenismusdekret des II. Vati- kanischen Konzils gemäßen Hal- tung der orthodoxen Kirche gegen- über zu finden. Dies auch deswe- gen, weil auch bei vielen orthodo- xen Bischöfen und Priestern die Umstände Mängel in der theologi- schen Ausbildung verursachten.

Auch viele Eigentumsfragen be- züglich der Gotteshäuser werden aufbrechen. Wie jüngste Nachrich- ten belegen, werden dabei Emotio- nen freigesetzt. Und das ist psycho- logisch verständlich, denn die Er- innerung an jahrzehntelang erlit- tenes Unrecht hat viel Verbitterung geschaffen. So kann die Freude über endlich wiedererlangte Freiheit zu Aufbrüchen führen, die einer christ- lichen Gemeinde nicht würdig sind. Und sehr wahrscheinlich werden Kirchenfeinde als Provokateure auftreten, um die Gläubigen zu Ge- waltausbrüchen zu reizen, damit die Christen unglaubwürdig wer- den.

Vielerlei Gründe könnten also neues Unrecht verursachen, wenn den Unierten Recht geschaffen wird. Doch dürfen wir darauf ver- trauen, daß der Herr, der die unier- te Kirche durch die Verfolgung geleitete, ihr auch beim Eintritt in die Freiheit zur Seite stehen wird.

Der Autor ist Ordinarius für Ostkirchenkun- de an der Universität Wien.

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