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Tragödie einer Kirdie

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Fast unbeachtet von der Weltöffentlichkeit vollzieht sich heute in der Slowakei eine Tragödie: Das faktische Erlöschen der unierten Kirche, obwohl viele Beschränkungen und Verfolgungen^ die diesen Teil der katholischen Kirche bis zum Prager Frühling auferlegt wurden, nicht mehr bestehen. Diese Tragödie hat andere Ursachen.

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Fast unbeachtet von der Weltöffentlichkeit vollzieht sich heute in der Slowakei eine Tragödie: Das faktische Erlöschen der unierten Kirche, obwohl viele Beschränkungen und Verfolgungen^ die diesen Teil der katholischen Kirche bis zum Prager Frühling auferlegt wurden, nicht mehr bestehen. Diese Tragödie hat andere Ursachen.

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In der Tschechoslowakei gab es bis 1938 relativ viele Katholiken, die sich zum unierten Ritus bekannten. Rund 360.000 lebten in Karpato-Rußland und weitere 230.000 in der Ostslowakei. In Karpato-Rußland wurden die Unierten von zwei Bistümern, nämlich Mukacewo und Užhorod, betreut, während in der Slowakei das Bistum Prešov für die Unierten zuständig war. Das religiös-kirchliche Leben verlief in den übernommenen Bahnen; der Klerus war zahlenmäßig ausreichend und stand iii seiner theologischen Bildung den römischkatholischen Priestern der Slowakei nicht nach, wenn er auch das theologische Wissen zumeist westlicher, das heißt römisch-katholischer Literatur entnehmen mußte. Das Kirchenvolk war zu seinem allergrößten Teil tiefgläubig. Die Tragödie der unierten Katholiken in der Karpato-Ukraine begann nach der Eroberung des Landes durch sowjetische Truppen im Herbst 1944. Anfangs schien es, als ob durch ihre Anwesenheit nichts für das kirchliche Leben befürchtet werden müßte. Die ersten Schwierigkeiten kamen von den N.ational-ausschüssen, die sich in jedem Ort gebildet hatten und die der Unterstützung durch die Besatzj^ngsmacht sicher sein konnten. Unter diesem Schutz sahen die Orthodoxen ihre Zeit für gekommen. Sie vertrieben unierte Pfarrer und bemächtigten sich ihrer Kirchen und Pfarrgebäude.

Dies war der Anfang. Auf einer Generalversammlung drr Vertreter aller Nationalausschüsse des Landes, die am 26. November 1944 stattfand, wurde der Ansc’-’tiß des Landes an die Sowjetunion beschlossen und Stalin in einem Telegramm um die Aufnahme der Karpato-Ukraine in den sowjetrussischen Verband gebeteh. Die Prager Regierung kam dieser „Bitte" nach und trat am 24. Juni 1945 „freiwillig" dieses Gebiet an die Sowjetunion ab. Von diesem Augenblick an wurden die Orthodoxen in diesem Landesteil mehr und mehr von der sowjetrussischen Besatzungsmacht bevorzugt, und eine direkte Verfolgung der Unierten begann. Zunächst wurde das Bittgebet für den Papst in der Meßliturgie verboten. Ein Gesetz regelte den Ubertritt von der unierten Kirche zur Orthodoxen „ohne alle Formalitäten’ Eine andere Entschließung ermöa lichte die Beschlagnahmung der griechisch - katholischen Kirchengebäude dort, wo zwei Drittel der Gläubigen zur Orthodoxie übergetreten waren. Die religiöse Unterweisung an unierte Kinder und Jugendliche wurde verboten. Der Moskauer Patriarch ernannte schließlich einen orthodoxen Bischof für die bisher mit Rom verbundenen Bistümer Mukačevo und Prešov. Der unierte Bischof erlitt einen „Verkehrsunfall" und starb wenig später unter ungeldärten Umständen. 1949 wurde die unierte Kathedrale von Užhorod den Unierten entzogen. Dann wurden alle griechisch-katholischen Gotteshäuser geschlossen. Die unierten Priester wurden aufgefordert, zur Orthodoxen Kirche überzutreten. Aber fast keiner der unierten Priester folgte dieser „Aufforderung". Sie zogen es vor, ihr Leben als Arbeiter zu fristen.

Für die Unierten, die sich in der Slowakei befanden und die nach dem Krieg auf mehr als 300.000 angewachsen waren, begann ebenfalls bald eine Verfolgung. Der Diözesan-bischof von Prešov, P. Gojdič, wurde verhaftet und zu lebenslanger Haft verurteilt. Er starb 1960 im Gefängnis. Sein Weihbischof erhielt 25 Jahre Zuchthaus. 1950 wurde auf einer Versammlung teils willfähriger, teils gezwungener Laien und Priester aus der Diözese Prešov die Auflösung der Verbindung mit Rom und die Aufnahme in die orthodoxe Kirchengemeinschaft gefordert. Im Juli 1950 wählten 21 Geistliche und 238 Laien einen orthodoxen Bischof zum Oberhaupt der Diözese Prešov. Damit war die griechisch-katholische Kirche in der Slowakei faktisch liquidiert.

Aber die Hoffnung, daß sich die Priester und Gläubigen in überwiegender Anzahl der Orthodoxen Kirche anschließen würden, war trügerisch. De.- größte TP’1 der Priester und fast 100 Prozent der Laien blieben Rom treu. Auch harte Kerkerstrafen konnten viele Priester nicht zum Ül’Ttritt bewegen. Sie zogen es vor, ebenfalls als Arbeiter ihr Leben zu fristen. Und die Laien gingen nicht in die orthodoxen Kirchen, sondern in die römisch-katholischen Kirchen. Sie empfingen dort die Sakramente und nahmen am römisch-katholischen Leben teil.

Der Prager Frühling 1968 brachte auch den Unierten eine Verbesserung ilirer Lage. Viele Kirchen wurden den Unierten zurückgegeben. Unierte Priester, die aus den Kerkern entlassen worden waren oder als Arbeit«- ihr Leben verdienten, konnten wieder Ihre Tätigkeit aufnehmen. Aber die Kirchen blieben leer. Nicht, weil die Unierten vielleicht inzwischen glaubenslos geworden waren, sondern weil sie weiterhin in die römisch-katholischen Kirchen gingen und gehen. Fast 20 Jahre hatten sie am Leben der römisch-katholischen Kirche teilgenommen, hatten dort ihre Sakramente empfangen. Inzwischen war durch das Zweite Vaticanum in den römisch-katholischen Kirchen jeweils die Landessprache in der Meßliturgie eingeführt worden, und das Slowakische war den Unierten doch Wesentlich vertrauter als die altslawische Liturgiesprache. Der römische Ritus, der ohnedies immer kürzer war als der unierte, war durch das Zweite Vaticanum noch mehr verkürzt worden. Er wirkt modemer und entspricht mehr dem Stil des heutigen Menschen als die byzantinische Liturgie. Die jungen Katholiken des byzantinischen Ritus haben vielfach kein inneres Bedürfnis mehr nach der altslawischen Liturgie. Dazu kommt, daß es nur noch wenige unierte Priester gibt. 20 Jahre erhielt diese Kirche keinen Nachwuchs, so daß viele Priester alt und zum Teil noch in anderen Berufen tätig sind. So liquidierte sich die unierte Kirche langsam von selbst von innen heraus, und es wird vielleicht viele Jahre und Jahrzehnte einer ruhigen Entwicklung bedürfen, um hier wieder ein blühendes griechisch -uniertes Leben zu schaffen, wenn dies überhaupt noch möglich sein sollte.

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