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Deutsche Lesung und rumänische Fürbitten

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Ein buntes Gemisch von Volksgruppen bietet das heutige Rumänien. Minderheiten suchen Gemeinsames.

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Ein buntes Gemisch von Volksgruppen bietet das heutige Rumänien. Minderheiten suchen Gemeinsames.

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Rumänien sechs Jahre nach Ceausescu: Die Schlagzeilen sind verklungen, die Abwanderungswelle, die die Boulevardblätter in Österreich Alarm schreien ließ, ist abgeebbt. Nicht zuletzt dank der Hilfe von hier, vor allem aus der Steiermark, ist manches besser geworden. Weitere Hilfe ist nötig - um sie zu erbitten, kam Pfarrer Adalbert Jäger aus Temesvar nach Wien. Jäger, Jahrgang 1960, in Temesvar nach dem Studium in Alba Julia 1986 zum Priester geweiht, ist seit 1989 Pfarrer in Bocsa Montana (Deutsch Bocsa), 90 Kilometer von Temesvar entfernt.

Seine Pfarre erstreckt sich über sechs Gemeinden mit zusammen 2500 Katholiken - deutscher, ungarischer, rumänischer, slowakischer und bulgarischer Muttersprache. Jäger zelebriert in mehreren Sprachen: Lesungen und Fürbitten in deutsch, ungarisch und rumänisch. Nur: Die Jungen verstehen nur mehr rumänisch. Bocsa ist eine Kleinstadt mit 30.000 Einwohnern. Früher überwogen die Deutschen - heute dürften noch 400 bis 600 von ihnen geblieben sein, vorwiegend in Mischehen. Alle anderen sind abgewandert. Heute stellen die orthodoxen Rumänen die Mehrheit, daneben gibt es unierte Rumänen und reformierte Ungarn.

Wie geht es den Minderheiten in Rumänien? „Wir sprechen nicht gerne von Minderheiten”, wehrt Jäger ab. „Wir sind dort geboren!” Allein in. der Diözese Temesvar (Timisoara) gibt es acht verschiedene Volksgruppen katholischen Bekenntnisses.

Aber die Zuordnung zu dieser oder jener Volksgruppe ist problematisch -zu viele Faktoren beeinflussen das Bekenntnis. Auch Jäger, Träger eines deutschen Namens, unterschreibt seine Briefe an Freunde mit dem ungarischen „Bela” und spricht mit merkbar ungarischem Akzent. Die Madja-risierungspolitik vor dem Ersten Weltkrieg, als der Banat zu Ungarn gehörte, und die Bumänisierungspo-litik seit der Teilung des Banat 1919 haben ihre Spuren auch in der deutschen Volksgruppe hinterlassen.

Noch nach dem letzten Krieg gab es in Bumänien rund 380.000 Deutsche, vor allem die „Sachsen” in Siebenbürgen und die „Schwaben” im Banat. 1992 bekannten sich 120.000 Bürger bei der Volkszählung als Deutsche, seither sind viele ausgewandert - heute liegt die Zahl der Deutschen sicher unter 100.000.

Aus der Minderheitensituation ergibt sich eine solidarische Haltung der verschiedenen Volksgruppen gegenüber der rumänischen Mehrheit: Deutsche und Ungarn gegenüber Bumänen, Katholiken und Reformierte gegenüber den Orthodoxen.

Natürlich hat jede Minderheit Wünsche, die von der Mehrheit nur ungern erfüllt werden. Etwa im Schulbereich scheinen noch Fragen offen.

Im Westen gingen in den vergangenen Monaten Meldungen um, wonach der rumänische Staat katholische oder evangelische Kirchen beschlagnahmen würde, um sie den Orthodoxen zu übergeben. Jäger ist davon nichts bekannt.

I )ie orthodoxe Kirche, autokephal, autonom, war auch unter den Kommunisten auf den Staat fixiert, die unierte - mit Rom verbundene -rumänische Kirche des byzantinischen Ritus aufgelöst, verboten. Ihre Geistlichen sollten zur orthodoxen Kirche übertreten. Nur ein kleiner Teil des Klerus folgte diesem Befehl, alle unierten Bischöfe Rumäniens und viele Priester starben als Märtyrer im Gefängnis, Aber inzwischen sind alle unierten Bistümer wieder hergestellt. Es gibt deren heute fünf neberreieben römisch-katholischen in Bumänien. Die Bückgabe der von den Kommunisten beschlagnahmten Kirchen und Grundstücke ist im Gang -das 'Tempo hängt mitunter auch von persönlichen Faktoren ab.

In 'Temesvar etwa hat der orthodoxe Metropolit Nikolai das Bischofspalais, die Kathedrale und die Kirchen bereits voll zurückgegeben. Eine neue Generation von Priestern wächst heran. Sobald sie bereitsteht, werden neue unierte Gemeinden versorgt.

Aber wo durch die Abwanderung leere Dörfer, leere Kirchen zurückbleiben, wo dann Bumänen nachrücken, werden neue Kirchen für die Orthodoxen benötigt. Solange sie nicht gebaut sind, können vorhandene benützt werden. Bischof Sebastian Kräuter von 'Temesvar hat für seine Diözese ausdrücklich erlaubt, daß die Orthodoxen in den katholischen Kirchen Gottesdienst feiern.

Der frühere Druck seitens des Staates auf die Kirchen ist verschwunden. Früher mußte jede Versetzung eines Priesters, jede Ernennung im kirchlichen Bereich von der staatlichen Behörde genehmigt werden. Heute mischt sich der Staat nicht mehr ein.

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