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Zuversicht und Glaube

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In der evangelischen Bartholomäus-Kirche von Kronstadt stecken mehr als ein Dutzend Kinderwünsche auf einer großen Tafel: „Ich wünsche, daß es den Menschen nicht weiter so schlecht geht, daß es wieder Zahnbürsten und andere notwendige Dinge zu kaufen gibt." „Was wir brauchen: Waschmittel, Strom, Glühbirnen." „Ich wünsche, daß es genug zu essen gibt und Socken, Seife und Schuhe nicht mehr knapp sind." Auf einem Zettel steht statt eines Wunsches ein stolzes Bekenntnis: „Trotz allem, Zuversicht und Glaube." Von dem Elend, das aus diesen Kinderwünschen spricht, bleibt der Tourist in den Ausländerhotels weitgehend verschont. Das Essen ist annehmbar, das Bettzeug sauber, es gibt Licht, wenn auch nicht in jeder Lampe eine Birne steckt.

Vor dem Hotel holt den Besucher die rumänische Wirklichkeit ein: Bettelnde Zigeuner, eine lange Menschenschlage wartet um sieben Uhr früh auf die Anlieferung von Milch und Brot, im „Magazin" gibt es Konserven und Alkoholika, nur wenig Fleisch und auch das ist für Einheimische viel zu teuer. Einer Vervierfachung der Löhne steht eine Verzehnfachung der Preise gegenüber. In Gesprächen mit Erwachsenen ist wenig Zuversicht zu spüren, eher Verzagtheit und Unmut.

Land der Fülle

Siebenbürgen ist ein herrliches Land, reich an Schönheiten und Schätzen, kulturell geprägt durch die Leistungen der von den ungarischen Königen vor 700 Jahren ins Land gerufenen Sachsen. Beeindruckt von der allseits sichtbaren Kulturleistung dichtete bei einem Besuch im vorigen Jahrhundert Graf Moltke: „Siebenbürgen, Land des Segens, Land der Fülle, Land der Kraft", ein Lied, das zur Nationalhymne geworden ist - und noch heute mit Wehmut von den Sachsen gesungen wird.

Allerdings ist die Zahl der Sänger klein geworden. Von den nach dem Krieg noch gezählten 250.000 Deutschen ist nur ein Bruchteil noch im Land. Der Auszug begann 1975 langsam, als die deutsche Regierung ein Kopfgeld erlegte, um die Deutschen aus dem kommunistischen Terrorregime zu befreien. Auch die aus Österreich stammenden „Landler" zog es nach Deutschland, weil, im Gegensatz zu Österreich, sie dort auf Wohnung, Arbeit und soziale Sicherheit rechnen konnten.

Nach dem Sturz Ceausescus schwoll die Zahl der Auswanderer zu einem Strom. In allen Orten brachen Woche für Woche 20 und mehr deutsche Familien auf, verkauften ihre Häuser oder behielten sie als Zweitwohnung oder für den Fall einer Rückkehr. So sind etwa in der Gemeinde Großau von den 2.500 Landlern nur noch 190 verblieben. Im nahen Neppendorf leben heute von einst 4.500 Landlem und Sachsen gezählte 515. Im 18. Jahrhundert wurden Lutheraner wegen ihres Glaubens aus dem Salzkammergut nach Siebenbürgen zwangsverschickt; im 20. Jahrhundert erlitten die späten Nachfahren das gleiche Schicksal: Als 1945 die Rote Armee Männer und Frauen zwischen 17 und 45 beziehungsweise 18 und 35 Jahre in die sowjetischen Kohlenbergwerke deportierte. In Neppendorf waren es 554, nur etwa die Hälfte sah die Heimat wieder.

Ähnlich ist die Entwicklung in allen Gemeinden verlaufen und auch heute warten viele auf die Einreiseerlaubnis nach Deutschland, auch Rumänen, die auf der Suche nach einer deutschen Großmutter in den Pfarrmatriken fündig geworden sind. Ausgewanderte schreiben ihren Eltern, nachzukommen, sie sollen auf die Kinder aufpassen. Anderseits sind Wohnungen in Deutschland rar und teuer und in Siebenbürgen haben die Eltern ein Dach über dem Kopf, ein bescheidenes Auskommen und die Anhänglichkeit an die schöne Heimat ist groß.

Die Not der Alten

Die zurück gebliebenen Alten leiden unter dem Zwiespalt. In die durch Auswanderung entstandenen Lücken strömen Zigeuner und Rumänen. Fragt man nach ihren Kindern, kommen manchem Deutschen die Tränen, ein Gefühl der Einsamkeit macht sich breit.

Die Pfarrersfrau von Kronstadt fand ein Mittel zur Linderung dieser Not. Sie lud ein zu einem Handarbeitskreis; bis zu 50 Frauen sticken, nähen und plaudern jede Woche im großen Pfarrsaal. Mit dem Verkauf bessern sie die kärglichen Renten auf. Die Alten und Kranken sind es auch, die den Pfarrer von Petersberg veranlaß-ten zu bleiben - und zu handeln. Als die Regierung die Rückgabe von bis zu zehn Hektar (von den einst 50 und mehr Hektar enteigneten) Boden anbot, wollten viele Deutsche nicht annehmen: Was sollten sie mit dem Grund in ihrem Alter, ohne Gerät, Maschinen und Saatgut. Nehmt, drängte sie der Pfarrer, gründete eine Gesellschaft, baute mit Hilfe von Spenden aus Österreich und Deutschland einen Gerätepark auf, bewirtschaftet mit 50 Arbeitern 1.000 Hektar zurückgegebenes Ackerland und teilt den Ertrag unter den Anteilseignern auf.

„Zuversicht trotz allem" beweisen auch Handwerker und Geschäftsleute dank ausländischer Hilfe zur Selbsthilfe. Bei einem Glas Wein erzählt ein noch rüstiger Landler: als Tischler verdient er monatlich 15.000 Lei (ein Paar Schuhe kostet, wenn erhältlich, 4.000 Lei), ebenso viel erbringt, aber wöchentlich, der Verkauf von Gemüse und Blumen auf dem Stadtmarkt, die er mit seiner Familie im eigenen Garten erarbeitet.

Im Sonntagsgottesdienst von Schäß-burg ein halbes Dutzend Kinder und ein halbes Hundert Alte. Nach einem Plausch geht es in ein nahe gelegenes unscheinbares Haus, wo es ein köstliches, bodenständiges Menü gibt. Die Räume sind geschmackvoll nostalgisch geschmückt, auf den sauberen Tischen Blumen. Ein Sachse hat mit Geschick und Fleiß die Hilfe aus dem Westen zum Aufbau einer beliebten Gastwirtschaft genutzt. Flinke ungarische Kellnerinnen servieren bei Tisch und bedienen auch die in Scharen wartenden rumänischen Kinder mit Eis, hergestellt mit Hilfe einer österreichischen Eismaschine. Deutsche, Ungarn und Rumänen auf einem Platz friedlich vereint, auch eine Nostalgie.

Arbeitskreis Siebenbürgen

Initiativen dieser Art sind nur möglich dank der vielen Hilfsaktionen aus Österreich und Deutschland. Unter ihnen ist die Leistung des „Arbeitskreises Siebenbürgen" der Bärbl Schöfnagel besonders beachtenswert. Es gibt in Siebenbürgen kaum einen Sachsen und Landler, der den Namen Schöfnagel nicht kennt und schätzt. Mit einer Schar Getreuer half sie schon in den Jahren des Ceausescu-Terrors unter großen Schwierigkeiten und Gefahren im kleinen und seit dem Umsturz im großen Stil: 2.500 Tonnen Hilfsgüter, Saatgut, Geräte für Kleinbetriebe, Arztpraxen, Schulen und so weiter gingen im Vorjahr nach Rumänien. Auch heuer fährt wöchentlich ein Lastauto von Wien ab, wobei die Hilfe nicht auf Deutsche beschränkt ist, sondern auch Rumänen und Ungarn miteinbezieht. Diese Weitherzigkeit bremst den immer noch ungebrochenen allgemeinen Fluchtwillen, denn wem in der Heimat die Existenz gesichert wird, flüchtet nicht; was auch das Asylantenproblem in Österreich mildert. Allerdings ist der Spendenfluß für Rumänien in letzter Zeit unter dem Eindruck des furchtbaren Krieges im ehemaligen Jugoslawien stark zurückgegangen, wäre aber weiterhin nötig.

Die Bundesrepublik Deutschland hat das Wirken Schöfnagels mit der Verleihung des Verdienstkreuzes geehrt, das Demokratische Forum der Deutschen Siebenbürgens mit der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft. Auch Österreich halte Grund zu einer öffentlichen Ehrung der Arbeiten Schöfnagels, kommen ihre Hilfsaktionen doch auch den Landlern zugute.

Spenden erbeten auf das Postsparkassenkonto 74 08 368 Arbeitskreis Siebenbürgen.

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