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Volk ohne Identität

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Seitdem sie sich um die Mitte des 12. Jahrhunderts als Kolonisten niederließen, war ihre Lage nie so hoffnungslos wie heute: die Siebenbürger Sachsen. Zwar arbeitet der rumänische Staat keineswegs systematisch auf ihre Liquidierung hin, aber soziale, wirtschaftliche, bevölkerungspolitische und ideologische Faktoren — Resultierende des kommunistischen Systems — wirken dahin, den Lebensnerv dieser kleinen Nation zu bedrohen.

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Seitdem sie sich um die Mitte des 12. Jahrhunderts als Kolonisten niederließen, war ihre Lage nie so hoffnungslos wie heute: die Siebenbürger Sachsen. Zwar arbeitet der rumänische Staat keineswegs systematisch auf ihre Liquidierung hin, aber soziale, wirtschaftliche, bevölkerungspolitische und ideologische Faktoren — Resultierende des kommunistischen Systems — wirken dahin, den Lebensnerv dieser kleinen Nation zu bedrohen.

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Die Zahl der Siebenbürger Sachsen, bei Kriegsende unter 200.000 gesunken, stagniert seither.

Auffallend ist aber vor allem das Schwinden ihrer Bedeutung in den Städten. Ein krasses Beispiel dafür ist Kronstadt, wo nur noch 6000 Sachsen in einer auf 120.000 Seelen angewachsenen Gesamtbevölkerung leben. In anderen Städten, etwa in Hermannstadt und Schäßburg, ist das Zahlen Verhältnis wohl günstiger, in jedem Fall aber hat sich das Stadtbild entscheidend gewandelt. Während man vor dem Krieg in den Stadtkernen fast ausschließlich deutsche Namen auf den Firmenschildern las und eine bürgerlich gekleidete Bevölkerung hauptsächlich deutsch sprechen hörte, gibt es heute nur rumänische Aufschriften, und man muß schon Glück haben, wenn man einige der vielen Passanten deutsch reden hören will.

Nur die stumme Kulisse der mittelalterlichen Befestigungen, Türme, Kirchen und ehemals schmucken Bürgerhäuser erinnert daran, daß man mitten in dem Gedränge fremdländischer Menschen auf altem deutschsprachigen Boden steht.

Die Ursachen dieser Entwicklung sind einerseits die Abwanderung nach dem Westen im Rahmen der Familienzusammenführung, anderseits der starke Zuzug von Rumänen aus ärmeren Landesteilen, die in den rasch vergrößerten Industriebetrieben an den Stadträndern Arbeit finden.

Günstiger ist die Lage auf dem Lande. Es gibt immer noch zahlreiche Dörfer, die vorwiegend von Sachsen bewohnt werden. Blickt man aber die Dorfstraßen entlang, so erkennt man schon an dem ungepflegten Zustand der mächtigen Torbögen und Häuserfronten, daß der Selbstbehauptungswille' auch hier schon angeschlagen ist.

Die ältere Generation der Siebenbürger Sachsen hat die Zerstörung des bäuerlichen Lebensrhythmus nicht bewältigt. Das Dasein eines Fabrikarbeiters oder eines Landarbeiters in einem gemeinwirtschaftlichen Betrieb kann einen Mann nicht verlocken, der in jungen Jahren erwartete, einmal selbst Herr auf dem väterlichen Hof zu werden.

Viele Landleute halten sich einen bescheidenen Viehbestand, einige besitzen sogar ein eigenes Gespann, aber es gibt auch viele Höfe, wo die letzte Kuh verkauft oder geschlachtet worden ist.

In den Schulen gibt es Abteilungen mit deutscher Unterrichtssprache, in Bukarest erscheint die Tageszeitung „Neuer Weg“, in Kronstadt die Wochenschrift „Karpatenrundschau“ in deutscher Sprache, eine der beiden deutschsprachigen Bühnen des Landes hat ihren Standort in Hermannstadt, und auf lokaler Ebene haben die Siebenbürger Sachsen vielfach Gelegenheit, sich kulturell zu betätigen.

Das alles wird aber staatlich überwacht und gelenkt. Was schmerzlich vermißt wird, ist die Möglichkeit eines eigenen nationalen Zusammenschlusses, der nicht allein zur Selbstbestätigung erforderlich Wäre. Es ist lediglich gelungen, die Nachbarschaft, eine alte Form sozialer und menschlicher Hilfe, wieder ein wenig zu aktivieren.

Die einzige Klammer dieses Volkes bildet seine Kirche. Die Evangelische Kirche A. B. in Rumänien deckt sich in ihrer Mitgliedschaft mit den Siebenbürger Sachsen.

Es ist nicht das erstemal in der Geschichte, daß die Kirche zum stärksten Band des Volkstums geworden ist, obwohl gerade sie im atheistischen Staat schweren Prüfungen unterzogen wird.

Man darf aber hoffen, daß die schlimmsten Zeiten vorbei sind. Die Kirche, die von Bischof Alber Klein geleitet wird, verfügt über eine eigene theologische Ausbildungsstätte, die Evangelische Fakultät in Hermannstadt. Der Pfarrernachwuchs ist zufriedenstellend, sowohl was die Zahl, als auch was die Eignung betrifft.

Unbeschadet ihres wertvollen Dienstes wird die Kirche aber doch wohl nicht imstande sein, das Hauptproblem der Deutschsprachigen zu lösen — die Frage der nationalen Sinngebung.

„Reiches“, verstanden. Die Verbin- Und solche Imponderabilien sind dung mit Mitteleuropa war immer die tiefsten Beweggründe für den vorhanden. vielfach geäußerten Wunsch, auszu-Die Deutschen Siebenbürgens wandern — nicht so sehr die konwußten das Gefühl ihrer Zugehörig- kreten wirtschaftlichen Schwierigkeit zum großen „Reich“ jederzeit mit keiten. der Loyalität gegenüber den jewei- Das Reich ihrer Sehnsucht trägt ligen Herren des Landes in Einklang ideale Züge; nichts Reales entspricht zu bringen, so daß man ihnen ihm in dieser Welt. Sie nehmen die niemals mit Recht Landesverrat Schwierigkeiten, mit denen etwa die vorwerfen konnte. Bundesrepublik zu kämpfen hat, zur

Das Bewußtsein, im Dienste des Kenntnis, sie sind schockiert über

„Reiches“ eine Aufgabe zu haben, ist die Neue Linke, die alles aufs Spiel erloschen. Sie werden nicht mehr ge- setzen möchte; und doch: es zieht sie braucht. nach dem Westen.

Nach dem Sturz Gomulkas und dem Machtantritt des neuen Parteisekretärs Gierek in Polen hatte es den Anschein, als ob auch das kulturelle Leben liberalisiert werden würde; nunmehr ist offenbar wieder Frostwetter eingetreten, wie ein Gespräch mit dem renommierten polnischen Autor Witold Wirpsza beweist. Wirpsza wurde 1918 in Odessa geboren, war Widerstandskämpfer und ist Hauptvertreter der sogenannten „experimentellen Literatur“ in Polen.

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