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Rumäniens Krisenrezepte

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Die Grenze zwischen den sozialistischen Nachbarländern Jugoslawien und Rumänien wirkt wie ausgestorben, seitdem beide Seiten durch Pflichtumtausch, Benzinbons für Devisen und Depositen den ehedem lebhaften Grenzverkehr nahezu völlig zum Erliegen gebracht haben. Zeitraubende, schikanös peinliche Kontrollen der Rumänen fördern das an und für sich schwache Interesse an Urlaubsreisen nach Rumänien schon gar nicht.

Für Ausländer ist Rumänien ein teures Pflaster. Weniger der Pflichtumtausch von zehn Dollar pro Tag, für die es gerade noch ein bescheidenes Mittagessen oder fünf Flaschen Bier gibt. In den Bukarester Hotels kostet die Nacht um die 50 Dollar, in den Provinzstädten ist es in den Ausländerhotels nur wenig billiger.

Nicht etwa, daß es in den Ausländerhotels für gutes Geld alles gibt. Das Wenige wird so teuer wie nur möglich verkauft, wobei die durchgestrichenen Speisen in den appetitanregenden Speisekarten einen Vorgeschmack des rumänischen Alltags vermitteln.

Entweder funktioniert das Verteilersystem für die bevorzugt belieferten öffentlichen Lokale und Kantinen nicht, oder es gibt zu wenig zu verteilen. Der Bukarester sinniert darüber während stundenlangen Anstehens für Fleisch, Milch, Obst, Käse, Eier — auch nachts, da sich Familienmitglieder auf ihren mitgebrachten Klappstühlen ablösen, um bei Geschäftseröffnung vorne zu sein.

In den Menschenschlangen wird offen geschimpft, die Hausfrauen machen ihrem Groll Luft, die allgegenwärtige Securitate hört meist weg. Es genügt auch, wenn ab und zu ein besonders

Vorlauter abgeführt wird. Der Gleichgültigkeit, die in Aufsässigkeit Umschlägen kann, ist schon schwieriger zu begegnen.

Daß vor dem orthodoxen Osterfest die Nachfrage nach Lebensmitteln besonders groß war, liegt nahe. Es wird in Rumänien bis in die höchsten Kreise festlich begangen — wieder begangen, wird augenzwinkernd erklärt. Durch die Straßen Bukarests bewegten sich nach der mitternächtlichen Auferstehungsmesse endlose Lichterprozessionen. Das Licht des Herrn wird nach Hause getragen, wo dann kräftig gegessen und das Fest begossen wird.

Aber die Genossen erscheinen Ostersonntag, dem „Tag der Partei“, mit dem Parteiabzeichen am Revers pünktlich zur Parteifeier. Die Jungen kommen in Uniformen, Mädchen im dunkelblauen Faltenrock, weißer Bluse und rotem Halstuch: Disziplin wird in Rumänien 1983 großgeschrieben.

Auch Sparen ist ein großes Thema in Rumänien, seit das Land mit fühlbaren wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Daß mit dem Sparen beim kleinen Mann angefangen wird, darin macht das sozialistische Rumänien keine Ausnahme. Die Verbraucherpreise sind im Schnitt im Laufe eines Jahres auf das Doppelte geklettert. Das verteuert das Leben für jeden. Überdies wird jeder der 22 Millionen Rumänen zu Sparen, gesteigerter Arbeitsleistung und mehr Wirtschaftlichkeit angehalten.

Staats- und Parteichef Nikolae Ceausescu und die Mitglieder seiner großen Familie durchkämmen das Land nach Reserven. In Partei- und Betriebsversammlungen, vor Industriearbeitern und Kolchosbauern, vor Künstlern und Schrebergärtnern, plädiert der Conducator für ein besseres Morgen und natürlich neue Maßnahmen, die dem rumänischen Sozialismus ein neues Profil geben sollen.

Der Arbeiter, Angestellte, Arzt und Künstler soll zum „Aktionär“ seines Unternehmens werden. Mindestens 10.000 Lei soll jeder im Arbeitsprozeß stehende als Mitbeteiligung einbringen. Nicht auf einmal, sondern in fest vereinbarten monatlichen Raten. Ceausescu setzte ein Beispiel, indem er sich in der Maschinenbaufabrik „23. August“ einkaufte.

Der Gewinn soll jährlich ausgeschüttet werden, die Rückzahlung des Gesamtbetrages soll nach Ablauf einer vereinbarten Frist erfolgen — in der Regel nach zehn Jahren. Ob ein Gewinn erwirtschaftet werden kann, ist keinesfalls sicher. Was bei Verlusten eines Betriebes oder gar bei seinem Konkurs aus den Aktionärsgeldern wird, weiß zur Zeit noch niemand. Unklar ist auch, wo der Gewinn bei subventionierten Betrieben herkommen soll.

Sinn der Aktienteilhaberschaft ist nicht nur die Bindung von Arbeitern und Angestellten an die Betriebe, auch ihre materielle Stimulierung. Jugendliche wiederum werden mittels der Ausbildungsprogramme gebunden. Nach ihrer vom Betrieb finanzierten Ausbildung oder ihren Studium müssen sie meist fünf Jahre im Betrieb verbleiben. Bei Ver tragsbruch müssen die Ausbildungskosten voll zurückgezahlt werden.

So soll der weitverbreiteten Fluktuation ein Riegel vorgeschoben und ein besser ausgebildeter Stamm von Fachleuten in Betrieben gesichert werden. Das wiederum ist Voraussetzung zur Erfüllung ehrgeiziger Produktionspläne und von Exportziffern. Bukarest ist bemüht, den bisherigen Außenhandelsschlüssel — je ein Drittel mit dem Westen, Osten und der Dritten Welt — durchzuziehen, wobei keine Opfer gescheut werden: selbst Produktionsschwierigkeiten als Folge der radikalen Drosselung von Importen aus Hartwährungsländern. Es ist dies der Preis für die Gesundung der Staatsfinanzen.

Man ist mitten drin in einem sozialistischen Experimentierstadium, auch in der Landwirtschaft. Sie soll trotz Versagen nicht etwa nach jugoslawischem Vorbild reprivatisiert werden. Lediglich die Einkommensbeschränkungen für Kolchosbauern wurden aufgehoben. Die staatlichen Aufkaufpreise für landwirtschaftliche Produkte wurden erhöht und so lohnt sich auch der freie Verkauf der vom privaten Hofland einge- brachten Produkte wieder. So hofft Bukarest die drückende Versorgungskrise zu lindern und darüber hinaus mehr Agrarerzeugnisse für den Export aufbringen zu können.

Für höhere Erträge sollen auch \ modernere Bewirtschaftungsmethoden sorgen. Bessere Einkünfte und zeitgemäße Arbeitsbedingungen scheinen die Landflucht in Rumänien wirksamer einzubremsen als Zuzugsverbote in den Städten.

Staatschef Ceausescu hat für die Landbevölkerung aber auch ungewöhnliche Ideen zur Hand. Die trauten Bauernhäuschen, von der pannonischen Tiefebene bis Oltenien und in der Dobrudscha, sollen modernen Stockhäusern weichen. Auf diese Weise soll weiterer landwirtschaftlich nutzbarer Boden gewonnen werden.

Mit in den Dörfern erbauten modernen Verwaltungsgebäuden wie Schulen und Läden finden sich die Dorfbewohner noch ab. Wie sie die anderen Pläne aufneh- men werden, kann noch nicht beurteilt werden. Die Experimente in den einzelnen Lebensbereichen deuten auf tiefgreifende Reformen, für welche die gesamte Bevölkerung wieder einmal mobilisiert wird. Appelle an den rumänischen Nationalismus haben bisher immer gewirkt.

Die Minderheiten aber scheinen skeptischer. So die Ungarn. Auch die Siebenbürger Sachsen und die Banąter Schwaben identifizieren sich kaum mit den Plänen Bukarests, obwohl sie Staatschef Ceausescu immer wieder als gleichberechtigte Rumänen anspricht.

Sie sehen im herrschenden System keine Zukunft und Ceauses- cus Aufforderung, Mischehen einzugehen, findet kein Echo. Im Gegenteil: Ceausescus kaum verhülltes Angebot zur Assimilie- rung hat die Deutschen noch mehr geschockt. Es bestärkte die rund 350.000 Deutschen nur in ihrem Wunsch nach Auswanderung aus Rumänien. Bei gleichbleibendem Aussiedlungstempo — zirka zehntausend Seelen jährlich — dürfte dies mehr als drei Jahrzehnte dauern, also über die Jahrtausendwende hinaus....

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