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Übrigens auch aus einem ganz handfesten Grund: Das wirtschaftliche Konto ist überzogen; Rumäniens Handelsdefizit mit der Bundesrepublik, das schon Ende des letzten Jahres 520 Millionen Mark betrug, kletterte schon im ersten Quartal 1967 auf 684 Millionen, wobei die deutschen Lieferungen sich verdreifachten, die rumänischen dagegen um elf Prozent fielen. Dazu kommen Schulden von 1,2 Milliarden Mark aus langfristigen Krediten, die durch die Hermes-Garantie gedeckt sind. Im Juni reiste deshalb der stellvertretende Außenhandelsminisier Aioescu orei wocnen lang aurcn die Bundesrepublik und fahndete nach größeren Absatzmöglichkeiten für rumänische Waren. Keinesfalls will Rumänien auf die Maschinen und Industrieausrüstungen verzichten, deren Qualität die Bundesrepublik zum zweitgrößten Handelspartner (nach der Sowjetunion), — und zum größten ausländischen Gläubiger Bukarests werden ließ.

Das alles war schon Thema der Gespräche, die Außenhandelsminister Cioara im Mai 1966 in Bonn und der damalige Bundeswirtschaftsminister Schmücker dann im September in Bukarest führten. Brandt stieß nun wieder darauf; und Parteichef Ceausescu hat vor der Nationalversammlung letzte Woche den Wunsch nach ausgeglichener Handelsbilanz mit Bonn -bereits an politische Perspektiven geknüpft: „Dies wird zur Entwicklung der vielseitigen Beziehungen zwischen den beiden Ländern beitragen“, versprach er hintergründig.

Mißtrauen in Osteuropa

Was hat man darunter au verstehen? Gewiß nicht irgendeine ernstliche Erleichterung der Ausreise für Riumäniendeuitsche; in diesem Punkt bekam Brandt nichts anderes zu hören > als der österreichische Bundeskanzler Klaus, der kürzlich vergebens bei den Rumänen vorsprach. Auch in der deutschen Frage wird sich Bukarest — wo man den Botschafteraustausch mit Bonn als „Bresche in die Hallsteindoktrin“ pries — nicht zur Rettung alter Formeln der deutscher] Politik hergeben. „Wir unterstützen den Kampf für die Anerkennung der DDR...“, sagte Ceausescu, und Ministerpräsident . Maurer warnte vor der Nationalversammlung, man dürfe die „neonazistischen, und revanchistischen Kräfte in der Bundesrepublik nicht unterschätzen““ Doch Maurer sprach auch davon, dafi Rumäniens Beziehungen zu Bonn „die realistischen Tendenzen in Europa, einschließlich Westdeutschlands, ermutigen“. Welcher Arl aber ist diese Ermutigung?

Den Rumänen liegt zwar nichts daran, nach Moskauer Art den Wortführern des kalten Krieges in Deutschland den Rücken zu stärken; als Fürsprecher eines nationalen Selbstbewußtseins wünschen sie auch (so formulierte das Politbüromitglied Gheorghe Apostol), daß dem „gesamten deutschen Volk“ die Möglichkeit gegelben werde, „sich aktiv am Bemühen um Sicherheit in Europa zu beteiligen“. Aber zugleich bestehen sie — nicht nur taktisch — auf dem Status quo der „zwei deutschen Staaten“, sie begründen eben damit die Konsequenz, Beziehungen auch zu Bonn zu pflegen.

Dies ist die These, die Ceausescu im April mit dem italienischen KP-Chef Luigi Longo ausarbeitete und die dieser dann bei der Karlsbader Konferenz der Parteien durchzusetzen suchte. Sie fand dort keinen Anklang, so wenig wie 'heute die eigenwillige rumänische Haltung in der Nahostkrise und zum Atomsperrvertrag. Auch da konnte Willy Brandt zwar gewisse Gemeinsamkeiten mit den Rumänen feststellen. Das ist jedoch ein Gewinn, der im übrigen Osteuropa nur zu leicht sich als weiterer Vertrauensverlust zu Buch schlagen kann.

Die freundlichen Gespräche in Bukarest werden Brandt keineswegs dazu verhelfen, die Ostpolitik Bonns in Budapest, Sofia, Prag und Warschau oder gar in Ost-Berlin glaubhaft zu machen. Seine Rumänien-reise muß nüchtern bewertet werden: als Ausflug in ein Neuland, das noch lange nicht winklich beackert ist,

Überforderung der Bundesrepublik?

Wenn man heute offizielle rumänische Gesprächspartner“ danach fragt, wie sie den Besuch des Bundesaußenministers in ihrem Land beurteilen, dann können diese Rumänen — die höfliche Floskeln stets bereit haben, doch ihre Überraschung nicht ganz verbergen —, die Überraschung nämlich, die das unbefangene und doch in jedem Wort wohlüberlegte Auftreten Willy Brandts hier In Bukarest und an der Schwarzmeerküste ausgelöst hat. Daß sich die Gespräche weit über die protokollarische Dauer ausdehnten (beim Parteichef Ceausescu waren es fünfeinhalb Stunden statt einer), das lag nicht etwa daran, daß die Rumänen besondere Gefühle für die Bundesrepublik demonstrieren wollten, sondern daran, daß sie in Brandt einem Gesprächspartner begegneten, der sie zu fesseln verstand, der ihnen manches plausibel machen konnte, was in ideologisch ausgerichteten Köpfen meist nicht so leicht eindringen kann. Natürlich ist Brandt hier auch keinem Vorurteil begegnet, es gibt keinen antideutschen Komplex, ja es gibt eher eine gewisse Überschätzung der Bundesrepublik.

Im märchenhaften Bungalow des Parteichefs, wo Diener im weißen Smoking auf der klimatisierten Meeresterrasse ein nicht eingeplantes Essen servierten, dort bekam Brandt zu hören, daß die Bundesrepublik doch ein großes, mächtiges Land sei, das seinen Einfluß in der Weltpolitik, vor allem auch auf den amerikanischen Verbündeten, erstaunlich wenig geltend mache; so meinte Ceausescu. Es war die Rück-spiegelung des üppig wuchernden rumänischen Selbstbewußtseins, dem es unverständlich erscheint, daß man der drittgrößte Industriestaat der Welt sein kann und dennoch nur eine „mittlere Macht“, wie Brandt nicht müde wurde zu betonen. Einfach weil, wie der Minister beim Dessert etwas burschikos anmerkte, wer oft und nicht ohne Verschulden in gewisse Körperteile getreten wurde, es vorzieht, sich auf diese zu setzen. Es gibt Anzeichen, daß solche Bescheidenheit, verbunden mit sehr deutlichen Aussagen zur Entspannung in Europa, auch zur Entspannung innerhalb Deutschlands, daß all das seinen Eindruck auf die rumänische Führungsspitze nicht verfehlte. Nicht nur, daß es vielleicht dämpfend auf eigene Ambitionen wirkte, es hat auch zweifellos dazu geführt, daß heute hier in Bukarest dile Meinung vorherrscht, daß der Besudh Brandts — mit allem, was dazu gehörte, mit dem Bekenntnis zum Modus vivendi in Deutschland vor allem — eher günstig auf die mißtrauischen Verbündeten in Osteuropa gewirkt hat. Hat sidh doch gezeigt, so sagt man hier, daß der Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland (diesen Titel betont man), beim ersten öffentlichen Auftreten in einem kornmuniiiatiischen Land Vernünftiges und Konstruktives taktvoll vertrug, ohne unverbindliche Phrasen. Das müßte doch auch in den anderen östlichen Hauptstädten, wo man nur vom Bonner Revanchismus spricht, Bindruck machen.

Sollte, wofür manches spricht, der sowjetische Staatspräsident Podgorny (der im benachbarten Bulgarien die Ferien verbringt) kurz vor Brandt bei Ceausescu gewesen sein, um vorzubeugen — so könnte man ihm nur empfehlen, diesen Ausflug jetzt nach dem westdeutschen 5-Tage-Besuah zu wiederholen. Er könnte manches erfahren, vielleicht auch dies, daß unbequeme Freunde manchmal ehrlicher und zuverlässiger sind und d)ie bequemsten nicht immer die besten.

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