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Sozialdemokraten-Entente ?

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Nach dem pfingstfestlichen Nixon-Spektakel in Salzburg hob sich letzte Woche der offizielle Besuch des deutschen Bundeskanzlers Brandt in Wien wohltuend ab. War Nixon noch imstande, mit seiner Visite in Salzburg das sozialdemokratische Lager in zwei Gruppen zu teilen (die einen, die sich unter Führung von Bundeskanzler Kreisky im Umfeld des prominenten Uberseegastes sonnten, und die anderen, die zu nächtlicher Stunde demonstrierend, Pech und Schwefel auf den Moskau-Reisenden herabwünschten), so fiel, wie die „Arbeiter-Zeitung“ zu berichten wußte, bei Brandt nur ein Österreicher „aus dem Rahmen“: Ernst Werbik, volksbewußter NDPler, hatte für Brandt keinen Begrüßungscocktail, sondern nur eine Rauchbombe übrig.

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Nach dem pfingstfestlichen Nixon-Spektakel in Salzburg hob sich letzte Woche der offizielle Besuch des deutschen Bundeskanzlers Brandt in Wien wohltuend ab. War Nixon noch imstande, mit seiner Visite in Salzburg das sozialdemokratische Lager in zwei Gruppen zu teilen (die einen, die sich unter Führung von Bundeskanzler Kreisky im Umfeld des prominenten Uberseegastes sonnten, und die anderen, die zu nächtlicher Stunde demonstrierend, Pech und Schwefel auf den Moskau-Reisenden herabwünschten), so fiel, wie die „Arbeiter-Zeitung“ zu berichten wußte, bei Brandt nur ein Österreicher „aus dem Rahmen“: Ernst Werbik, volksbewußter NDPler, hatte für Brandt keinen Begrüßungscocktail, sondern nur eine Rauchbombe übrig.

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Nach außen hin wurde der Brandt-Besuch eher einem Familientreffen denn einem offiziellen Staatsbesuch gerecht. Trotzdem wurden die Gespräche Brandt-Kreisky als politisch „ergiebig“ gelobt. Allerdings war in den offiziellen Stellungnahmen von dieser Ergiebigkeit wenig zu merken, was darauf hindeuten dürfte, daß die eigentlich interessanten Absprachen bis dato Geheimnis der beiden Bundeskanzler geblieben sind.

In diesem Zusammenhang ist gerade ein Dementi von Bedeutung: Mit allen Mitteln — ja geradezu empört — wurde eine sozialdemokratische Entente zwischen Deutschland und Österreich in Abrede gestellt. Brandt warnte sogar vor einer Überbetonung des parteipolitischen Aspekts der Außenpolitik. Die beiden Kanzler, so hieß es deshalb, seien in vielen Fragen wohl ähnlicher Meinung, aber der Rahmen der beiden Länder sei nicht vergleichbar. • Allerdings, wie es der „Zufall“ will, kann der Brandt-Besuch durchaus auch in anderen Zusammenhängen zu sehen sein: Kreisky reist für vier Tage offiziell nach Schweden, um mit Olof Palme Gespräche zu führen. Der zeitliche Ablauf der sozialdemokratischen Reiselust spricht für sich und ist möglicherweise tatsächlich rein zufällig — doch wird die Kette Brandt-Kreisky-Palme unmittelbar nach der Ratifizierung der deutschen Ostverträge durch den Bundestag in Bonn damit geschlossen.

Das freundschaftliche Schulterklopfen der drei SP-Häupter läßt durchaus eine konzertierte Aktion des sozialdemokratischen Lagers im Zusammenhang mit den deutschen Ostverträgen vermuten. Zwei wichtige außenpolitische Entscheidungen stehen nämlich in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verträgen: die Anerkennung der DDR und die europäische Sicherheitskonferenz. Beide Sachbereiche standen bei Brandts Wien-Aufenthalt auf der Tagesordnung und werden auch im Mittelpunkt der Gespräche Kreisky-Palme stehen.

Anders als die Schweiz

Über die DDR-Anerkennung ist man sich nicht nur im sozialdemokratischen Lager, sondern — für Österreich gesprochen — auch zwischen den Parteien einig: In dem

Augenblick, da beide deutschen Staaten in die Vereinten Nationen aufgenommen werden, ist die Zeit für die Anerkennung Ost-Berlins gekommen. Kreisky kann dabei mit dem Einverständnis der Volkspartei rechnen, da diese schon vor Jahresfrist gerade das als einzige Bedingung gestellt hat. Was für die Sozialdemokraten bleibt, ist die Ter-minwahl, in der man dann eventuell „konzertiert“ vorgehen kann.

Anders hingegen liegen die Dinge bei der europäischen Sicherheitskonferenz: Offiziell gab Brandt in Wien zu verstehen, daß er bei der Wahl des Tagungsortes der Sicherheitskonferenz — Wien und Helsinki stehen zur Debatte — mit Wien sympathisiere, inoffiziell wurde aber die Frage der Sicherheitskonferenz selbst eingehend erörtert. Vor allem über die Frage der Tagesordnung scheint sich eine sozialdemokratische Entente anzubahnen. Die Bundesrepublik als NATO-Staat und die beiden Neutralen — Österreich und Schweden — sind aber in dieser Frage nicht so leicht unter einen Hut zu bringen.

Die NATO-Ministerratstagung im Vorjahr hat in einem Kommunique die Aufnahme eines Tagesordnungspunktes „Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Ideen sowie kulturelle Beziehungen“ vorgeschlagen und damit für eine „Durchlöcherung des Eisernen Vorhanges“ Partei ergriffen. Brandt und Bonn dürften aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt wenig Interesse daran haben, sich für diese NATO-Idee ein- und damit das neue Verhältnis zu den Oststaaten einer Spannung auszusetzen. Anderseits kann Bonn auch nicht gegen die NATO-Inter-essen Stellung nehmen.

Österreich und Schweden könnten nun durchaus mit den regierenden

Bruderparteien Brandt Schützenhilfe gewähren. Eine eindeutig in diese Richtung gehende Haltung ist in Österreich schon sichtbar: Während die österreichische Volkspartei ein Engagement für die „Freizügigkeit' für Menschen, Informationen und Ideen voraussetzt, hat sich — und das deutet auf Absprachen hin — im Regierungslager ein Meinungsumschwung vollzogen. Außenminister Kirchschläger, der früher selbst von einer Sicherheitskonferenz Vorteile und Erleichterungen humanitärer Art auch für die Osteuropäer erwartet hatte, ist nunmehr der Meinung, daß die Forderung nach Aufnahme dieses Themenkreises in die Tagesordnung nicht unterstützt werden könne.

Diesen Kurswechsel allein durchzustehen wäre für Österreichs

Sozialdemokraten nicht nur schwer, es wäre auch unpopulär. Was liegt also näher, als sich anderseits wiederum der Unterstützung Schwedens zu versichern? Der Hinweis auf Schweden gehört heute ja auch schon zur österreichischen Regierungspolitik — vor allem offenbar deshalb, weil ein Vergleich mit der Schweiz gerade in außenpolitischen Belangen keine sozialdemokratische Achse in Europa rechtfertigen würde.

Die wechselseitigen Staatsbesuche stehen in engem Zusammenhang. Wie gesagt: Jede Absprache solcher grundsätzlicher Fragen wird in Abrede gestellt, was freilich nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß dem getrennten Marschieren — pardon: Reisen — ein vereintes Schlagen folgen könnte.

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