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WILLY BRANDT UM EINE ILLUSION ÄRMER

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Die Russen marschierten bereits durch die Prager Altstadt, und in Berlin trug an der Spitze einer SDS-Demonstration der 19jährige Lars Brandt die Tafel „USSR- Intervention ist Konterrevolution". Der Vater des linken Lars fischte zu dieser Zeit noch auf dem Dampfer „Erling Jarl“ vor der norwegischen Küste bei Nar- vtk. Willy Brandt, Westdeutschlands Außenminister und Stellvertreter seines Kanzlers Kiesin- ger, wurde nach der verspäteten Verständigung um eine politische Hoffnung ärmer. Als „Vater“ der

neuen deutschen Ostpolitik wußte er, daß die politischen Erwartungen der Sozialdemokraten zu begraben seien.

Der Emigrant des zweiten Weltkriegs ist allerdings Kummer gewohnt. Jahrelanger Bürgermeister der Frontstadt Berlin, erlebte er auch persönlich harte Stunden inmitten seiner eingeschlossenen Stadt. Er kannte die Russen und ihre Pankower Satelliten ebenso gut wie sein heutiger SPD-Vize und Minister für Gesamtdeutsche Fragen, Wehner, der von der KP zur SPD gewechselt war. Brandt erinnerte sich nun, daß Dubcek ein ähnliches Gefühl haben mußte wie er selbst 1961 beim Bau der Berliner Mauer.

Die Bundesrepublik aus ihrer außenpolitischen Isolierung und einseitigen Westorientierung herauszulösen, wurde Brandts wichtigstes Ziel, als er 1966 in die Große Koalition eintrat und das Außenamt übernahm.

Das Nonplusultra blieb freilich auch für ihn und die Große Koalition die Nichtanerkennung Ost-Berlins — weder juristisch noch faktisch. Aber Brandt und Wehner meinten, daß das Beharren in der Hallstein-Doktrin von den Amerikanern und den westlichen Partnern nicht hono

riert werde und wie ein Felsblock den Weg nach Moskau, Prag oder Warschau versperre. Und so spielten Brandts Unterhändler zuerst Deutschlands Treff-As. Sie winkten den finanzschwachen, vom COMECON zu Lieferanten Moskaus herabgesunkenen kleinen roten Partnern des großen Bären. Die Rumänen, die sich im Streit zwischen Moskau und Peking Bewegungsfreiheit auf außenpolitischem Gebiet verschafft hätten, schluckten als erste den Köder an Brandts Angel.

Und auch der lose Flügelmann Jugoslawien hatte bald einen Botschafter in Bonn. Nach Belgrad sollte Prag folgen. Noch unter Novotnys Regime etablierten die Bonner eine Handelsmission an der Moldau. Und seit Dubcek und Wirtschaftsprofessor Sik Partei und Staat der Tschechen und Slowaken führten, hoffte Brandt auf rasche Einigung.

Zwischen der Konferenz von Preßburg und dem Einmarsch der Russen hob sich auch der Balken der DDR. Ulbricht stimmte Ministergesprächen zu — ohne übliche politische Bedingungen.

Dann freilich kam der 20. August in Prag. Und seither fallen offene und versteckte Gegner Brandts über den Vizekanzler her. Sie meinen sogar, Bonns

Wohlwollen gegenüber Dubcek habe diesen zum Konterrevolutionär gemacht.

Steinig blieb auch die Ernte, die nun die Sowjets höchsteigen in Bonn abgaben. Botschafter Za- rapkin überreichte dem deutschen Regierungschef eine in ihrer Härte bisher nicht vergleichbare, gehässige Note. Die Sowjets wollen nicht, daß Brandts Verhand- ler mit den Satelliten reden.

So bleibt die Zukunft der Bundesrepublik im dunkeln. Und niemand weiß, wieweit die Entente cordiale zwischen Washington und Moskau bereits gedeiht. Von Washingtons Hilfe aber hängen Sicherheit und Existenz der Bonner Republik im letzten ab.

Brandts politisches Programm ist zerbrochen. Zwar hoffen er und Wehner noch immer auf eine neue Ouvertüre — aber die Hoffnungen, daß Sozialdemokraten auch im nächsten Kabinett sitzen werden, scheint nach diesem dokumentierten Mißerfolg fraglich.

Denn nach Prag zerstört die Wirklichkeit auch ein anderes Ziel Brandts: Deutschland wird es sich nicht leisten können, jetzt auch noch den Atomsperrvertrag zu. unterzeichnen. Die deutsche Republik wäre sonst endgültig politischer Habenichts.

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