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Deutsche Radfahrer

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Mit dem vorläufigen Scheitern der Verhandlungen zwischen Bonn und Prag über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen ist die Ostpolitik der Regierung Brandt-Scheel zu einem unerwartet frühen Zeitpunkt und erstaunlich spektakulär ins Stocken geraten. Die Ostpolitik, die noch nach Abschluß des Grundvertrags mit der DDR und während der Sommermonate so erfolgversprechend schien, daß die journalistischen Beobachter der Bonner Bühne bei Ende der politischen Sommerpause dringend den Bundeskanzler mahnten, sich weniger auf diplomatischem Parkett umzutun, sondern mehr der Innenpolitik zu widmen, diese Ostpolitik stockt. Lange Zeit Mittelpunkt der sozial-liberalen Koalition, droht, sie nun Schatten auf das Bild von Bundeskanzler Brandt zu werfen.

Noch ist dabei nicht klar, ob man auf Bonner Regierungsseite die Hindernisse im Ausbau der Beziehungen zu den Staaten des Warschauer Paktes, nämlich die Anerkennung der besonderen Beziehungen West-Ber-lina zur Bundesrepublik, wirklich so gering veranschlagte, daß sogar schon der Reisetermin Brandts nach Prag festgelegt worden war, oder ob diese immer wieder bekundete Reiseabsicht des Bonner Regierungschefs Teil der Verhandlungsstrategie war. Zweifellos bedeutet die Aussicht auf einen Besuch Brandts in Prag, das seine Isolierung seit dem Ende des Prager Frühlings noch immer nicht überwinden konnte, eine starke Verlockung für die CSSR, den deutschen Wünschen nachzukommen. Daß die tschechoslowakische Seite dennoch so hart blieb und es strikte ablehnte, ein bundesdeutsches Konsulat durch juristische Personen aus West-Berlin vertreten zu lassen, deutet darauf hin, daß hier Weisungen aus der Sowjetunion befolgt wurden.

Äußerungen des Vaters der Ostverträge, Hermann Bahr, daß die östlichen Verhandlungspartner unabhängig voneinander oder anderen Staaten handeln, mag diplomatisch sinnvoll gewesen sein, weil es dem Selbstbewußtsein dieser Staaten schmeichelt, dürfte aber kaum den wahren Sachverhalt getroffen haben. Schließlich zeigt auch die Verhandlung zwischen der Bundesrepublik und der DDR über ein Rechtshilfeabkommen, daß hier von östlicher Seite die gleiche Linie, nur noch radikaler, verfolgt wird.

Angesichts der eindeutigen Indizien, daß Moskau und die ihm verbundenen Staaten konsequent das Ziel verfolgen, die engen Bindungen zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin zu leugnen, war die harte Haltung auf Bonner Seite die einzige Möglichkeit. Wenn auch die Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der CSSR, Ungarn und Bulgarien wünschenswert wäre, so ist dies doch kein Grund, nun um eines raschen Erfolges willen, in der entscheidenden Berlin-Frage klein beizugeben. Da die östlichen Staaten mit ihren massiven wirtschaftlichen Wünschen gegenüber der Bundesrepublik ohnedies die größeren Vorteile von einem positiven Ergebnis der Verhandlungen hätten, kann sich Bonn hier um so leichter hart und kompromißlos geben.

Dabei mögen die Regierung Brandt-Scheel und vor allem der Bundeskanzler selbst bemerkt haben, daß ein falsches Verhalten in der Ostpolitik zum gegenwärtigen Zeitpunkt in der Bundesrepublik diese gesamte Politik in Mißkredit gebracht hätte. Denn genau wird nun verfolgt, wie sich die Ostverträge in der Praxis auswirken. Und zweifellos werden ausbleibende Folgen mehr geschätzt als negative für West-Berlin. Das beschämende Schauspiel der Verfolgung oppositioneller Intellektueller in der UdSSR trägt außerdem dazu bei, daß ein Entgegenkommen der Bundesrepublik gegenüber diesem wieder offen stalinistische Methoden anwendenden Staat dem Image Brandts und seiner Mannschaft schweren Schaden zufügen könnte. Schon hat der „Es-pede“-Barde Grass davor gewarnt, Ostpolitik mit Leisetreterei zu verwechseln. Er mußte die bundesdeutsche Rücksichtnahme auf die Sowjetunion am eigenen Leibe spüren. Eine Einladung des bundesdeutschen Botschafters in Moskau an Grass wurde kurzfristig rückgängig gemacht „da die innenpolitische Unruhe in der UdSSR einen Besuch von Grass nicht ratsam erscheinen läßt“. Wenn solche Rücksichtnahme auf die Empfindlichkeiten der Kreml-Führung auch außenpolitisch verständlich ist, da man die in der Berlin-Frage intransigente UdSSR nicht noch weiter verstimmen will, so kollidiert solches Verhalten doch mit dem moralischen Anspruch, den die SPD für ihre Politik erhebt.

Nur zu leicht kann hier eine außenpolitische Radfahrermentalität entstehen, aus der heraus weniger wichtige Staaten wie Portugal oder Griechenland verurteilt werden, ge-gegenüber der mächtigen Sowjetunion aber geschwiegen wird.

Brandt selbst hat inzwischen nur eine unverbindliche und vorsichtige Erklärung abgegeben. Niemand wird von ihm erwarten, daß allein Aufrufe der Opposition und von Grass dazu ausreichen, ihn zu einer Verurteilung der derzeit in der Sowjetunion zu beobachtenden Vorgänge zu bewegen. Brandt gerät hier aber in ein Feld, auf dem er in einer bei ihm in außenpolitischen Fragen ganz ungewöhnlichen Weise unentschlossen und schweigsam ist. Auch im Fall der US-Bombenangriffe auf Nordvietnam schwieg er, als andere westliche Regierungshäupter schon die Stimme erhoben. Wie sollte er auch in einer das Werk seiner Ostpolitik tangierenden Frage denn seine Stimme erheben?

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