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Ulbricht in Budapest

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Die Tinte unter dem Text des Freundschafts- und Beistandsvertrages war gerade trocken und Pal Losonczi, Ungarns neuer bäuerlicher Staatspräsident, hatte seine protokollarisch-trockene Ansprache verlesen, da setzte Walter Ulbricht zu einer doppelt so langen Rede an. Es war eine Art Nachhilfeunterricht in politischem „Deutsch“, den sich nun die Regierungs- und Politbüromitglieder Ungarns im Budapester Parlamentsgebäude stehend anzuhören hatten: Nach einer unmißverständlichen Erinnerung, daß die DDR der zweitgrößte Handelspartner des Landes ist, Ungarn jedoch nur der viertgrößte der DDR, belehrte sie Ulbricht über ein Thema, das Losonczis Text, von allgemeinen polemischen Wendungen - abgesehen, nicht behandelt hatte. Bonn habe, so sagte Ulbricht, mit dem Angebot diplomatischer Beziehungen eine „psychologische Attacke“ gegen die sozialistischen Länder unternommen, um den Eindruck einer neuen Ostpolitik zu erwecken; es habe Vorbedingungen gestellt, um die Nichtanerkennung der DDR und der Grenzen legalisieren zu lassen ...

Hatte der Dolmetscher Ulbrichts Formulierung von der „psychologischen Attacke“ noch korrekt übersetzt, so war sie am nächsten Morgen aus dem ungarischen Text verschwunden, den das Parteiorgan „Nepszabadsäg“ druckte; aus der Attacke war hier der Versuch geworden, „eine neue Ostpolitik glaubhaft zu machen“. Solche robuste Retusche hatte ihren Grund. Die Ungarn wissen genau, was ihnen Staatssekretär Lahr aus Bonn Ende Februar anbot — und was er nicht verlangte. Sie hatten keineswegs dazu geneigt, wie Ulbricht delikat andeutete, auf Bonner Manöver hereinzufallen und „den westdeutschen Revanchismus zu ermutigen“, sie wollten (und möchten noch immer) im Gegenteil jene Tendenzen der Bonner Ostpolitik nicht entmutigen, die auf Entspannung, Entkrampfung und Überwindung alter Formeln gerichtet sind. Wenn es damals gleich nach dem Lahr-Besuch nicht schon zu diplomatischen Beziehungen kam, so lag es am Zögern der Bundesregierung (die sich leider scheute, gleichzeitig mit Bukarest und Budapest anzuknüpfen), nicht aber an den Ungarn, die damals mit Ulbrichts Isolierungsfurcht und sowjetischem Mißtrauen viel weniger zu rechnen hatten. Sind ihnen nun durch den Vertrag mit der DDR die Hände gebunden?

Parteichef Kädär hat sich offensichtlich durch Ulbricht, der in der Schlußkundgebung letzten Freitag alle Geister von Strauß bis Gutten-berg zu Zeugen anrief, nicht ganz den Blick trüben lassen. Er sagte: Die Bonner Ostpolitik habe bis jetzt wenige (in der deutschen Ubersetzung für Ost-Berlin hieß es: sehr wenige) aufrichtige Bestrebungen und faktische Schritte für eine wirkliche Regelung der Verhältnisse aufzuweisen — also immerhin etwas. Kädär blieb bei seinem Wunsch nach Beziehungen „auch mit der deutschen Bundesrepublik“, die 17 Jahre lang sozialistische Länder nicht zur Kenntnis genommen habe. „Wo die ungarische Volksrepublik der Absicht begegnet, die Verhältnisse, die Beziehungen wirklich zu regeln, ist sie jederzeit bereit, praktische Schritte zu erwägen... Die Regierung der Bundesrepublik muß verstehen, daß das Bündnis, die Freundschaft und die Zusammenarbeit mit der DDR bei der Regelung gleich welcher Beziehungen niemals Gegenstand eines Kuhhandels sein kann.“

Der Beistandsvertrag, der sich — nach Ulbrichts und Kädärs Worten — „gegen niemanden richtet“, müßte darnach kein Hindernis sein. Ulbricht, der wohl die Gefahr der Selbstisolierung wittert, ließ beiläufig elastische Punkte erkennen: er unterschied in einem Satz zwischen „gleichberechtigten diplomatischen Beziehungen zwischen den Staaten Europas“ und „normalen gleichberechtigten Beziehungen zwischen den Regierungen beider deutscher Staaten“ — scheint also nicht auf einem Botschafteraustausch mit Bonn zu bestehen.

Im Budapester Vertragstext (Artikel 6) ist wohl deshalb nicht mehr wie im März in den Verträgen der DDR mit Warschau (Artikel 7) und mit Prag (Artikel 9) von den deutschen Staaten als Partnern einer Normalisierung die Rede, sondern von den Regierungen. Freilich wird dadurch die Anerkennungsforderung der DDR auch präzisiert. Zwar ist im Budapester Text wie in den beiden anderen noch die Revisionsklausel für den Fall einer Wiedervereinigung eingebaut (Artikel 11), doch aus der Präambel des Vertrags, wo dem friedlichen deutschen Einheitsstaat in Prag und Warschau noch eine ferne Perspektive eingeräumt blieb, ist er in Budapest verschwunden. Sprach man in den Abkommen mit Polen und der Tschechoslowakei nodh in diesem Sinne von einer Regelung des deutschen Problems, so ist jetzt nur noch von der Bemühung um eine „deutsche Friedensregelung auf der Basis der Anerkennung der Existenz zweier deutscher Staaten die Rede“, also vom Friedensvertrag ohne Lösung der deutschen Frage als solcher.

In diesen Änderungen, die Ulbricht in den ungarischen Vertrag praktizierte, spiegelt sich die Verhärtung, die der SED-Parteitag im April der DDR-Politik auferlegte. Für Budapest, das von der deutschen Szenerie weiter entfernt ist als Prag und Warschau, spielen derlei Nuancen — wenn sie überhaupt bemerkt wurden — eine geringe Rolle. Hier setzt man eigene Akzente; so wenn man die DDR-Sprachregelung mißachtet und im Vertragstext wie in den Ubersetzungen der Reden die Bundesrepublik deutsch und nicht „westdeutsch“ nennt und die Alleinvertre-tungs-„AnmajJunfif“ mit „Anspruch“ wiedergibt. Von Maßhalten und angelehnten Türen hält man eben an der Donau mehr als diesseits und jenseits der Elbe, wo das „Alles oder nichts“ der Doktrinen und ihrer Doktrinäre ältere Traditionen besitzt.

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