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Anschluß ohne Fragen

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Aus der „linken Deutschlandpo- litik“, wie sie die sanften Revolu- tionäre der ersten Stunde für die Deutsche Demokratische Republik forderten, wird wohl nichts mehr werden. Der Anschluß des zweiten deutschen Staates an die Bundes- republik gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes ist nach der Wahl vom vergangenen Sonntag nur mehr eine Frage des wirtschaftlichen, politischen und völkerrechtlichen Procedere.

Die politisch Mächtigen der Bundesrepublik werden aber nun Farbe bekennen müssen. Die For-

derung nach freien Wahlen wurde erfüllt, sobald eine neue Regierung gebildet ist, werden die Einheits- verhandlungen in ein konkretes Stadium treten müssen.

Politisch wie völkerrechtlich wird man sich nach Lösung der ohnehin schwierigen Wirtschafts- und Währungsunion noch längere Zeit im Kreis bewegen. Denn ob sich die politische Übernahme der DDR ebenso deutlich wie das Verlangen nach wirtschaftlicher Vereinigung und damit Besserstellung als Wäh- lerwille aus dem jetzigen Urnen- gang ablesen läßt, ist noch fraglich. Selbstbewußt hat am Sonntag (Ost)-CDU-Führer Lothar de Mai- ziere die volle Vereinnahmung durch die Bundespolitiker von sich gewiesen und - wie manche Vertre- ter kleinerer, linker Parteien bisher - von der DDR als gleichberechtig- tem Partner bei den Wirtschafts- verhandlungen gesprochen.

Die Einbindung des gesamtdeut- schen Staates in ein neu zu schaf- fendes europäisches Sicherheitssy- stem wird wohl noch Jahre in An- spruch nehmen. Die Quadratur des Kreises - hier ein NATO-Teil, dort vielleicht eine neutrale Zone - wird wohl niemanden befriedigen.

Ist mit dem Wahlergebnis vom 18. März die DDR zu treuen Hän- den der Bundesrepublik übergeben worden? Wer den Sieg der ehemali- gen Blockpartei CDU als Sensation empfindet, hat verabsäumt, mit den betroffenen Menschen zu reden. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Bevölkerung der DDR daran zu glauben gezwungen war, aus ihrem eigenen Staat eine lebenswerte Alternative zur Bundesrepublik schaffen zu können. Jetzt heißt das große Ziel nur mehr Teilnahme am sogenannten freien Markt, am höheren Lebensstandard, an der harten Westwährung.

Vor den Wahlen gab es einen re- gen Reiseverkehr zwischen der Bundesrepublik und der DDR (jetzt wird sie die „Die Welt“ wohl bald wieder unter Anführungszeichen - „DDR“ - schreiben). Die Menschen aus dem östlichen Teil Deutsch- lands sahen nicht nur, welchen

Lebensstandard die Bürger der Bundesrepublik haben, sie sahen nicht nur die Kapitalstärke einzel- ner, sondern merkten auch, wie kläglich das Angebot im eigenen Land wirklich ist.

Zu all dem kam noch das Ange- bot von Bundeskanzler Helmut Kohl: Trotz aller Kritik hat er rasch ein Zehn-Punkte-Programm zur Einheit beider deutscher Staaten vorgeschlagen und als Regierungs- chef eines der wirtschaftlich mäch- tigsten Staaten der Welt derartig viel versprochen, daß jeder, der seine Wünsche realisieren möchte, nicht an der Tatsache vorbeikommt, daß nur eine starke Regierung über die Vergabe entsprechender Hilfs- mittel verfügt.

Während Kohl ein besseres Le- ben versprach, haben vor allem die SPD und die Grünen laut überlegt, wie aus der DDR ein besseres Land zu machen sei. Viele sogenannte Linke und Linksintellektuelle woll- ten aus Bundesrepublik und DDR gar kein „einig Vaterland“ machen. Behutsame Veränderungen standen an erster Stelle des politischen Programms, Erhaltung der Identi- tät ging vor Einheit.

Pfarrer Reiner Eppelmann vom Demokratischen Aufbruch, jener vom Wolfgang Schnur-Skandal schwer geschädigten Partei, Mit- glied der konservativen „Allianz für Deutschland“, hat immer wieder auf. eine gewisse DDR-Identität gepocht: Vierzig Jahre Diktatur könne man nicht von heute auf morgen wegwischen, das müsse auch der Westen zur Kenntnis nehmen.

Aber die Wähler haben klar ent- schieden: Die Noch-DDR-Bürger wollen nicht mehr über ein ande- res, sondern über die Schaffung eines einigen Deutschlands nach- denken.

Zu allem kommt noch die Angst, daß eine Veränderung in der So- wjetunion unter Umständen die jetzigen Reformprozesse im Osten verlangsamen oder abwürgen könn- te. Diese Angst ist übrigens in allen ehemaligen Ostblockstaaten fest- zustellen, die jetzt vor freien Wah- len stehen. Ungarn (siehe Seite 3) ist am kommenden Sonntag dran. In Slowenien und Kroatien wählt man Anfang beziehungsweise Ende April, am 8. Juni steht für die Tsche- choslowakei viel auf dem Spiel. Be- sondere Furcht hat man vor einem positiven Abschneiden der ehema- ligen Kommunisten.

Ungarn, Tschechen, Slowaken, Kroaten und Slowenen klammern sich an eine mögliche Signalwir- kung, die von der DDR-Wahl für ihre Länder ausgehen könnte.

Für die beiden deutschen Staa- ten beginnt aber jetzt eine enorme Arbeit. Bisher gab es seitens der Westpolitiker nur Lippenbekennt- nisse. Die Stunde der Einheit be- deutet aber auch die Stunde der Wahrheit für Deutschland wie für Europa.

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