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Nun keine Experimente mehr

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In kürzester Zeit wurde mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion ein Vertrag von historischer Tragweite erarbeitet und sanktioniert, dessen Bedeutung wohl einmalig ist. Der Weg zur deutschen Einheit ist nun deutlich markiert.

Bereits am Sonntag, 17. Juni, brachte die DSU-Fraktiön spontan den Antrag in der DDR-Volkskammer ein, sofort nach Artikel 23 des Grundgesetzes der Bundesrepublik beizutreten. Das erregte Unwillen und erhitzte die Gemüter der Abgeordneten. SPD-Fraktionschef Schröter verwies auf die Bündnisverpflichtungen gegenüber der Sowjetunion. Man dürfe doch die UdSSR mit so einem Schritt nicht schockieren. Vertreter des „Wahlbündnisses 90", die öfter gegen die Vereinigung auftraten, setzten sich plötzlich für diesen Weg ein. Schröter gab zu bedenken, daß die UdSSR 400.000 Soldaten auf DDR-Territorium stationiert habe. Ministerpräsident Lothar de Maiziere betonte, daß die Länderbildung, das heißt die Herausbildung notwendiger Verwaltungsstrukturen die erste Grundvoraussetzung für die Realisierung des DSU-Antrages sei und sich die Ausschüsse damit weiter beschäftigen sollten.

Noch größere Aufmerksamkeit erregte die DDR-Verfassungsänderung im „Hammelsprungverfahren". Die Abgeordneten kamen

durch drei Türen „Ja", „Nein" und „Stimmenthaltung" in den Sitzungssaal. Mit knapper Mehrheit wurde die alte DDR-Verfassung geändert, das Wort Sozialismus gestrichen, desgleichen alle Bestimmungen, die der sozialen Marktwirtschaft und dem Staatsvertrag mit der BRD entgegenstanden. Die PDS verlangte einen Volksentscheid. Doch die Zeit drängt, man will sich in Berlin auf keine Experimente mehr einlassen.

Mit Inkrafttreten der Währungsunion wird die DDR in die EG integriert. Die innerdeutschen Zollgrenzen fallen seit dem Jahr 1835 ein zweites Mal. Der Zoll wird sich nur noch an den beiden Grenzen auf Stichkontrollen ausschließlich gegenüber Ausländern aus dem Osten beschränken.

Es ist kein Geheimnis, daß ab 1. , Juli 1990 mit verstärkten Zollmaßnahmen von tschechischer Seite an der DDR-Grenze zu rechnen ist. Der einmalige Zwangsumtausch von 45 Dollar pro Person wurde von der CSFR-Regierung aus politischen Gründen aufgehoben, jeder DDR-Bürger verfügt nunmehr über ausreichend CSFR-Kronen, deren Kurs auf offiziell 1 : 23 festgelegt wurde und frei umgetauscht werden kann. Zum Schutze ihres Binnenmarktes wird Prag entsprechend handeln müssen, da die CSFR ansonsten zum Billigland für DDRBürger wird

Die Paßkontrollen zwischen West- und Ostberlin, zwischen BRD und DDR entfallen. Diese im Staatsvertrag verankerte Festle-

gung bedarf noch der Zustimmung der ehemaligen Alliierten.

Österreicher werden ab 1. Juli 1990 die DDR anders entdecken als bisher. In rasanten Schritten geht es in Richtung soziale Marktwirtschaft. Das Preisniveau soll bei 250 Warenangeboten an das Preisniveau der Bundesrepublik angepaßt werden. Dabei sollen Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen. Ab 1. Juli ist freie Preisbildung in der DDR geltendes Recht. Preisexperten und Ökonomen meinen mit Recht, daß es in den ersten Wochen zu argen Übergriffen kommen wird.

Verändern werden sich die Preise fü:r Grundnahrungsmittel und Güter des täglichen Bedarfä. Die Taxipreise werden um 100 Prozent angehoben, die Verkehrs- und Nahverkehrstarite bleiben auf DDR-Gebiet zunächst unverändert.

Die Postgebühren hingegen werden dem BRD-Niveau angepaßt. Ein Brief wird künftig 50 Pfennig im Inland verkehr kosten, eine Postkarte 30 Pfennig, desgleichen ein Ortsgespräch 30 Pfennig. Fahrkarten für die Reichsbahn in der DDR können ab 1. Juli in D-Mark gelöst werden.

Der Geldumtausch kann entweder gleich an der Grenze oder in Wechselstellen getätigt werden. Der rasant steigende Tourismus wird die Serviceleistungen auf jeden Fall in nächster Zeit erweitern. Reisenden, die ab 29. Juni bis 10. Juli in die · DDR reisen, ist zu empfehlen, sich mit D-Mark einzudecken. Denn im Rahmen der Währungsumstellung, die nicht problemlos verläuft, ruht

vom 1. bis 9. Juli der gesamte Sehalterverkehr.

Die bisher geltenden Zollbestimmungen fallen beziehungsweise werden abgebaut - oder nur einseitig angewendet, zum Beispiel an der deutsch-polnischen Grenze. In Kraft bleiben alle Bestimmungen punkto Ausfuhr von Antiquitäten und Kunstgegenständen. Einige einseitig angewandte Übergangsbestimmungen für das Verbot besonderer Waren wie Kinderbekleidung oder Südfrüchte werden im Interesse der Stabilisierung der Wirtschaft Anwendung finden. Eingeführt darf alles werden - einschließlich Pornographie.

Hotelbetten und Übernachtungsmöglichkeiten sind in Groß- und Mittelstädten der DDR noch Mangelware. Wer mit eigenem PKW kommt, dem sei empfohlen, sich in Stadtnähe ein Zimmer an einer Fernverkehrsstraße zu mieten oder den Zimmervermittlungsservice aufzusuchen. Es stehen jedoch nur wenige Zimmer zur ständigen Vermietung bereit. Der Preis ist jedoch erschwinglich: 15 bis 20 D-Mark pro Bett.

Bei gastronomischen Einrichtung sind besonders die ländlichen zu empfehlen - nicht die ersten Gastronomiebetriebe in der Stadt. Seit 1. Juni besteht ein harter Wettbewerb - trotzdem liegt das Gastwirtschaftswesen in der DDR noch im argen. Dieses Erbe der Vergangenq.ei t könnte allerdings rasch bewältigt werden, denn die DDR ist daran interessiert, ein reiseattraktives Land zu werden.

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