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Wem ist noch zu trauen?

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Dornenreich ist der Weg der Ostdeutschen zur Bewältigung ihrer gesellschaftlichen Vergangenheit Nachdem im Herbst vorigen Jahres eine Welle des Ausländerhasses Deutschland überflutete, setzte parallel in der CDU eine erste parteiinterne Aktion der „Vergangenheitsbewältigung" ein. Sie wurde in einzelnen Landesverbänden unterschiedlich praktiziert.

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Dornenreich ist der Weg der Ostdeutschen zur Bewältigung ihrer gesellschaftlichen Vergangenheit Nachdem im Herbst vorigen Jahres eine Welle des Ausländerhasses Deutschland überflutete, setzte parallel in der CDU eine erste parteiinterne Aktion der „Vergangenheitsbewältigung" ein. Sie wurde in einzelnen Landesverbänden unterschiedlich praktiziert.

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Ausgelöst wurde die Aktion von Heißspornen und oftmals kleinlauten politischen Karrieristen, die erst nach demWahlsiegderCDUimMärz 1990 den Weg zurCDU fanden. Diese Kreise waren es, die die einstige Blockpolitik der Ost-CDU anprangerten, die die Mitglieder - die oftmals bewährt im stillen und aus Idealismus der Partei treu blieben - nunmehr als „Kollaborateure" anklagten. Bewährte CDU-Mitglieder verließen die Partei oder zogen sich resignierend zurück. Dabei wurde vollkommen vergessen, daß es gerade die Basis war, die auch in der CDU bereits im November und Dezember 1989 durch ihren Einfluß Reformmaßnahmen durchsetzte. Unzählige CDU-Mitglieder stellten sich bereits vor den ersten Oktobertagen an die Seite der reformfreudigen „Wei-maraner". Sie waren es, die Ende Oktober 1989 den Rücktritt des nicht die damalige Partei repräsentierenden Gerald Gottings bewirkten.

Erst der CDU-Parteitag im Dezember 1991 in Dresden setzte den Querdenkern einen Meilenstein in den Weg, indem derParteivorsitzende und Bundeskanzler Helmut Kohl offen erklärte, es dürfe „keine Diskriminierung für Parteimitglieder aus dem Osten" geben. Kohl ging noch weiter und tiefgreifender auf die zweifellos komplizierte Problematik ein und erklärte, daß nur derjenige ein Urteil fällen könne, der im politischen und gesellschaftlichen Leben in Ostdeutschland stand. Es habe drei Möglichkeiten gegeben: entweder passiv zu bleiben, Widerstand zu leisten -was wenige taten - oder Kompromisse zu schließen. Damit erteilte Kohl den Heißspornen in den Landesverbänden eine Absage. Trotzdem ist der bereits angerichtete politische Schaden groß.

Bürgerrechtler und Gruppierungen wie das,.Neue Forum", „Bündnis 90", , .Demokratischer Aufbruch", „Demokratie jetzt" und andere, die sich als Kinder der friedlichen Revolution nunmehr zur Vergangenheitsbewältigung berufen fühlten, drängten zur Aufarbeitung jenes düsteren Kapitels ostdeutscher Geschichte, die heute nur mehr Stasi-Vergangenheit genannt wird. Bei den ersten freien Wahlen in Ostdeutschland erhielten diese Gruppen nur wenige Stimmen. Ist ihr Drang nach Vergangenheitsbewältigung eine politische Kompensation oder ist er purer Racheakt, eine Abrechnung mit den Mach thabcrn von gestern, oder steht ehrlicher Wille zur historischen Aufarbeitung der Vergangenheit dahinter?

In der Ex-DDR war jeder Politiker auf jeder politischen Ebene, jeder Wirtschaftsfunktionär, fast jeder Bürger, der verantwortungsbewußt eine Aufgabe wahrnahm, eng mit dem gesellschaftlich-ideologischen System verflochten; ein gesellschaftliches Vakuum existierte nur bedingt in den Kirchen, nicht im öffentlichen Raum. Der Politiker und der Mann der Kirche waren oft mehr mit dem System konfrontiert als der Durchschnittsbürger, der - eine typische persönliche Haltung in der DDR-Ära - nach dem Motto „mein Heim ist meine Burg" ins persönliche Niemandsland fluchtete; einer Auseinandersetzung oder unmittelbaren Begegnung mit dem System konnte aber, auch er sich kaum entziehen.

Heute spricht man von „Informellen Mitarbeitern" (IM) oder „Informellen Mitarbeitern im Vorlauf der Stasi, des früher allgegenwärtigen Staatssicherheitsdienstes. Mit der von der Bundesregierung getroffenen Anordnung, daß ein jeder Bürger Einsicht in seine Stasi-Akte nehmen kann, wurden - in ostdeutscher Sicht -Willkürhandlungen Tür und Tor geöffnet.

Aus bisherigen Akteneinsichten ist festzustellen, daß der Staatssicherheitsdienst peinlich sauber mit Codes und Legenden gearbeitet hat. Für den Laien und Nichtfachmann ist eine Enttamung allein aus kriminalistischer Sicht fast unmöglich und führt zu Verdächtigungen und falschen Anschuldigungen übelster Art. Viele Akteneinsichtnehmer glauben, ihre „IMs" sofort identifiziert zu haben. Es kam zu familiären Tragödien. Selbstmorde sind keine Seltenheit mehr.

Lothar de Maiziere war das erste Opfer. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Angela Merkel verlangte noch vor drei Wochen seine Rehabilitierung und Rückkehr in die Politik; seine einstige Ministerin erkannte die Zeichen der Zeit, während sein ehemaliger Verteidigungsminister im letzten DDR-Kabinett, Rainer Eppel-mann, den konkreten Beweis anzutreten versuchte, daß de Maiziere als . „IM" tätig war. Es folgten weitere Politiker auf Landesebene: der sächsische Innenminister Rudolf Krause, der zurücktrat, der. Ministerpräsident von Thüringen, Duchac, und Abgeordnete aus allen Parteien in den Länderparlamenten.

Der Höhepunkt wurde erreicht mit der Beschuldigung, der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) sei unter dem Decknamen „Sekretär" für den ehemaligen Staatssicherheitsdienst tätig gewesen. Ihm wurde vorgeworfen, an konspirativen Treffen teilgenommen zu haben. Als führender Mann der Evangelischen Kirche in der früheren DDR hatte Stolpe Kontakte zu allen Dienststellen der Ex-DDR und gerade er war es, der die Evangelische Kirche mit Hilfe einer geschickten Geheimdiplomatie durch die Zeit der Bedrängnis führte. Stolpe war oft als Vermittler tätig für unzählige Bürgerrechtler, Dissidenten und Anhänger von Friedensgruppen. Gerade jene Kreise beschuldigen ihn nunmehr, Konfident gewesen zu sein. Von Interesse ist, daß der ehemalige DDR-Innenminister Distel, der großen Anteil an der Auflösung des Staatssicherheitsdienstes hat, am 29. Februar dieses Jahres im ZDF erklärte, daß zwei Bischöfe und zwei Drittel aller kirchlichen Mitarbeiter der Evangelischen Kirche Ostdeutschlands als „IM" erfaßt waren. Einer solchen Beschuldigung fiel auch der brandenburgische Generalsuperintendent Krusche zum Opfer. Auch ihm wurde vorgehalten, ein „IM" gewesen zu sein. Seine Tochter beging daraufhin Selbstmord.

Die katholische Kirche in Ostdeutschland äußerte sich in einer Grundsatzerklärung zum Umgang mit den Stasi-Akten. Offen und freimütig wurde darüber informiert, daß von Seiten der Kirche Priester als „Verhandlungspartner" Gespräche im Auftrag ihrer Bischöfe mit staatlichen Stellen führten.

Jeder Fachmann der Kirchenpolitik weiß, daß es sich hier um Priester handelte, die ein besonderes Vertrauen ihres Bischofs besaßen. Sie waren ihm auch rechenschaftspflichtig. Es ist auch kein Geheimnis, daß die katholische Kirche dieser „internen katholischen Geheimdiplomatie" viel zu verdanken hat. Sie setzte oft Zeichen und rang den Machthabern Zugeständnisse ab.

Ende Jänner 1992 ordnete der Bischof von Dresden-Meißen, Joachim Reinelt, eine Überprüfung aller hauptamtlichen kirchlichen Mitarbeiter ah. Will der Dresdener Oberhirte Bahnbrecher der Vergangenheitsbewältigung sein? Andere Mitglieder der ostdeutschen regionalen Bischofskonferenz übten bisher diskrete Zurückhaltung. Bischof Leo Noack sprach in diesem Zusammenhang von einem „geistlichen Beistand", den die Kirche bieten wolle, einen ähnlichen Ton schlug Bischof Joachim Wamke in Erfurt an. In seinem Fastenhirtenbrief ließ Reinelt dann erkennen, daß durch eine Wertumkehrung in den Medien die Vergangenheitsbewältigung bei einzelnen zu Zerknirschung führe. Ein prominenter Priester, Pfarre Prause aus Dresden, der auch seine Akte einsah, hat diese kritisch bewertet und äußerte sich in der katholischen Zeitschrift „Tag des Herrn" (Leipzig) darüber: Zur Verantwortung hat er niemanden gezogen.

Kein Geringerer als der Apostolische Nuntius in Deutschland, Lajos Kada, der in der Vorfastenzeit Ostdeutschland besucht hatte, erklärte, er stimme mit der Absicht der Bischöfe überein, sich der Vergangenheit zu stellen. In Dresden sagte der Nuntius in seiner Predigt in der Hofkirche: „Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist nur im Einklang mit Feindesliebe zu sehen." Die katholische Kirche in Ostdeutschland will eine positive, versöhnende Rolle bei der Vergangenheitsbewältigung spielen.

In der Ex-DDR kritisieren die Bürger, daß die heutigen Opfer oftmals die „kleinen IM" seien; die großen des Politbüros, die das schwere Erbe hinterließen, das Chaos verursachten, lasse man laufen. Die Mauerschützen, einfache Soldaten, würden im Namen des Rechtsstaates vor Gericht gezerrt, Honecker entziehe sich jedoch der Rechtsprechung. Mühsam läuft auch der Prozeß gegen den „DDR-Allmächtigen" Erich Mielke, Ex-Chef der Staatssicherheit; auch er ist nicht seiner tatsächlichen Verbrechen in diesem Zusammenhang, sondern eines Mordes vor 60 Jahren wegen angeklagt. Der Devisenbe-schaffer Schalk-Golodkowski läuft frei herum, Markus Wolf, der frühere DDR-Spionagechef, kaufte sich gegen eine hohe Kaution frei. Die anderen ehemaligen Mächtigen wie Günther Mittag, Willi Stoph oder Werner Krolikowski sind plötzlich nicht mehr vernehmungsfähig.

Die Vergangenheitsbewältigung hat Ostdeutschland in seiner Umbruchsituation auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens erfaßt. Die Gräben im Volk werden größer und tiefer.

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