Wanzen beim Kardinal

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Die Führung der DDR glaubte daran, daß Religion zum Absterben verurteilt wäre - und versuchte, dem nachzuhelfen.

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Die Führung der DDR glaubte daran, daß Religion zum Absterben verurteilt wäre - und versuchte, dem nachzuhelfen.

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Polens Kardinal Josef Glemp besuchte im Oktober 1984 zwei Tage lang seinen Amtskollegen Kardinal Joachim Meisner in (Ost-) Berlin. Ein reiner Routinebesuch, bei dem der Gast an einem Pontifikalamt zu Ehren des Papstes in der Hedwigskirche teilnahm, ein Krankenhaus, eine kirchliche Baustelle, die neue katholische Kirche in einer der Satellitenstädte Berlins und das Pergamonmuseum besichtigte und nach gut 48 Stunden die DDR wieder über die Autobahn verließ.

Aber die "Staatssicherheit" war dabei. Von 10.31 Uhr an, wo der polnische Kardinal, von der Stasi taxfrei mit dem Kennwort "Kleriker" versehen, "in dem bekannten PKW Typ Mercedes 300, Farbe schwarz, polizeiliches Kennzeichen ..." (Angabe gelöscht) an der Grenzübergangsstelle Pommellen "zur Beobachtung aufgenommen" wurde. Von da an verzeichnet der Bericht, unterzeichnet von Oberstleutnant Ulbricht und Hauptmann Fischer, minutiös jede Bewegung des "Kleriker" und seiner Begleitung, jedes Fahrzeug, das sie begleitet, jede Person, mit der sie zusammentreffen, illustriert durch Aufnahmen, auf denen Glemp und Begleiter zu erkennen sind, bis zu den polnischen Touristen, die sich mit ihrem Kardinal im Museum fotografieren ließen.

Der "Auftrag Kleriker'" ist nur einer der Tausenden Akten des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, die nach der Wende vor einer Vernichtung gesichert und inzwischen historisch ausgewertet werden konnten. Die die "katholische Linie", das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in der DDR, betreffenden Papiere haben in den vergangenen Jahren schon mehrfach Eingang in Publikationen gefunden. Nun legen Prälat Dieter Grande und der Historiker Bernd Schäfer eine Auswertung der bis November 1997 erschlossenen Akten vor, die sich vor allem mit der Analyse der "IM-Vorgänge", also der Bespitzelung kirchlicher Amtsträger durch Stasi-Organe, befassen.

Glemps Besuch bei Meisner in Berlin erfolgte im Herbst 1984, fünf Jahre vor dem Fall der Mauer - zu einer Zeit, da die DDR bereits allgemein anerkannt war, großen Wert darauf legte, auch im Westen als demokratisch und großzügig zu gelten; zu einer Zeit, da die "Berliner Konferenz europäischer Katholiken" nicht nur bemüht war, "progressive" Katholiken in der DDR gegen ihre Hierarchie zu aktivieren, sondern auch in ihren jährlichen Tagungen Freunde aus dem Westen zur Unterstützung der "Friedenspolitik" der DDR-Regierung zu gewinnen. Das hinderte nicht, die Überwachungs- und Beeinflussungstätigkeit, im Stasi-Jargon "Differenzierungspolitik" genannt, bis zum Ende fortzusetzen.

Bis in die späten siebziger Jahre - dreißig Jahre nach der Etablierung des kommunistischen Regimes - glaubte die Führung der SED an das marxistische Dogma, die Religion sei zum Absterben verurteilt. Wenn man die Kirchen durch repressive Maßnahmen aus der Öffentlichkeit verdränge, werde man dieses Absterben beschleunigen. Aber dem war nicht so. Ein solider Kernbestand an Gläubigen hielt sich weiter. Und nun erkannte man in der SED die Möglichkeit, die Kirchen für bestimmte Zwecke, wie die Devisenbeschaffung oder die Stärkung des internationalen Ansehens, heranziehen zu können, ohne ihnen aber irgendwelche gesellschaftliche Mitgestaltung oder gar das Recht zu Protesten gegen Mißstände einzuräumen. Und so schwankte nun die Kirchenpolitik der SED und damit der DDR zwischen "Sicherheitspolitik" mit Überwachung und Repression und "Bündnispolitik" mit Konzilianz und versuchter Instrumentalisierung. "Überwachung, Kontrolle und Repressionsmöglichkeit waren bis 1989 die durchgängigen Voraussetzungen, um der SED in ihrer Kirchenpolitik taktische Spielräume zu ermöglichen", schreiben Grande und Schäfer.

Netz von Geheimen Ein Netz von haupt- und nebenamtlichen "Geheimen" und "Informellen" Mitarbeitern - GM und IM - überzog das Land, führte "OV" - "Operative Vorgänge" durch und sorgte für das "POZW", das "Politisch-operative Zusammenwirken" aller Beteiligten bei der Gewinnung neuer Zuträger, die - vielfach ihnen selbst nicht bewußt - "abgeschöpft" wurden und dann in Personallisten und Tätigkeitsberichten der Stasi-Offiziere als "IM" auftauchten.

So sollte im Sommer 1978 im Kolpingwerk Berlin, das den Behörden der DDR wegen seiner Westkontakte besonders verdächtig war, "Zersetzungsarbeit" geleistet werden, um die Verbindungen in die Bundesrepublik zu beeinträchtigen. Der "Operativplan" für den "OV Kontra" enthielt nun nicht nur detaillierte Vorgaben für die Bespitzelung der Kolping-Funktionäre in Westberlin bis zur Erkundung des familiären Umgangs oder "staatsfeindlicher Handlungen". Darin war auch vorgesehen, einen "Freundeskreis Berlin - Kolping Echo" zu simulieren und mit gefälschten Briefen Besuchergruppen aus Köln zu denunzieren, sie hätten mit "Kolping-Zuschüssen" in Westberlin das Nachtleben genossen und "Sexorgien" gefeiert.

Die Erfolge waren beschränkt. Schon 1947 verfügte Berlins Kardinal Graf Preysing, daß öffentliche politische Erklärungen ausschließlich dem Bischof zustünden. Dies wurde auch von den Nachfolgern beibehalten. Seit 1958 gab es offiziell kirchliche Beauftragte als Gesprächspartner der offiziellen Behörden. Diesen galt das besondere Interesse der Stasi: Nur selten gelang es, Priester, eher noch Laien, zu Verpflichtungserklärungen als IM zu gewinnen.

Kirche als Freiraum Die Berichte der IM wurden durch "operative Technik", Abhöranlagen, ergänzt. 1959 entdeckte Kardinal Alfred Bengsch in Berlin "Wanzen" in der Dienstwohnung. Als dies in der westlichen Presse groß aufgegriffen wurde, baute die Stasi die Anlage ebenso geheim wieder ab.

"Tiefer als bis in das Berufs- und Privatleben eines Menschen hinein kann die Reichweite organisierten staatlichen Einflusses nicht dringen. In der DDR ist dies hunderttausendfach geschehen", schließen die Autoren, "auch gegenüber vielen Katholiken und unter ihnen - leider auch nicht selten durch Menschen ihres Umfeldes ... Trotzdem konnte die katholische Kirche von vielen als Freiraum erlebt werden. Obwohl der Beobachtungseifer des Staates durchaus bekannt war, versuchte man so zu arbeiten und zu leben, als wäre dies scheinbar ohne Bedeutung."

Zum Thema In bedrängter Zeit Jeden Besucher aus dem Westen beeindruckte der alltägliche Lebenswiderstand (der auch ein Modus vivendi war) der Katholiken in der DDR: Kirche, die sich staatlich nicht lenken ließ, die aber gleichzeitig sehr vorsichtig blieb. Allein diese Charakteristik zeigt, daß die Bewertung von Kirche vis-a-vis dem Staat unterschiedlich ausfallen kann. Zwei Buch-Neuerscheinungen machen dies - neun Jahre nach dem Mauerfall - deutlich. ofri KIRCHE IM VISIER SED, Staatssicherheit u. katholische Kirche. Von Dieter Grande, Bernd Schäfer. St. Benno-Verlag, Leipzig 1998. 276 Seiten, brosch., öS 181,

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