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Briefträger-Schnüffelei

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Das Verhältnis zwischen beiden Teilen Deutschlands ist unverändert bestimmt von der Anwendung von Gewalt gegen innerdeutsche Freizügigkeit uhd von feindseliger Abgrenzungspolitik der SED-Führung. Die laufenden Zwischenfälle an der Zonengrenze und an der Berliner Schandmauer, die Reden Honeckers und die neuen kommunistischen Spionage-Aktivitäten bezeugen das Gegenteil von Entspannungsbereitschaft. Wer einmal hinter die Kulissen der gegenwärtigen SED-Politik schaut, dem wird klar, daß die DDR nicht im mindesten daran denkt, mit der Bundesrepublik friedlich nebeneinander zu bestehen. Auch nach den umstrittenen Ostverträgen nimmt die DDR nach wie vor gegenüber der Bundesrepublik eine aggressive Haltung ein. Zu dieser bedauerlichen Schlußfolgerung muß man kommen, betrachtet man die allgemeine Lage in der DDR, wie sie sich heute bietet.

So ist die SED bemüht, den innerdeutschen Postverkehr mehr und mehr einzuschränken. Für Angehörige der Streitkräfte ist beispielsweise jeder Briefkontakt nach dem Westen verboten. Briefe aus dem Westen werden von den Vorgesetzten vor der Aushändigung geöffnet und gelesen In den letzten Monaten mußten sich ganze Betriebsbelegschaften schriftlich verpflichten, alle bestehenden Briefkontakte zum Westen abzubrechen. Die Zahl der Geheimnisträger, denen Briefkontakte verboten sind, wurde erheblich vergrößert. Hinzu kommt, daß neuerdings die DDR-Briefträger Empfänger von Westpost an die SED-Leitungen melden müssen.

Auch Besuchskontakte werden von der SED immer weitgehender eingeschränkt, um persönliche Bindungen zwischen beiden Teilen Deutschlands abzubauen und damit ideologische Störungen auszuschalten. Zahlreiche Maßnahmen der SED zielen aber darauf ab, den Sinn der

genannten Verträge zu unterlaufen.

Für die Einreise von Bürgern der Bundesrepublik Deutschland bedarf es zum Beispiel einer Antragstellung von Verwandten in der DDR und diese wird durch Ausübung von Druck auf die DDR-Bürger teilweise verhindert. Mitteldeutsche Bürger bedürfen zur Reise in die Bundesrepublik einer Genehmigung der Kaderabteilungen ihrer Betriebe und der Sicherheitsorgane.

Neuerdings müssen auch Angehörige der DDR-Streitkräfte das Eisen-bahn-Abteü verlassen, wenn sich in diesem ein Westbesucher befindet. Ist das Verlassen des Abteils nicht möglich, weü der Zug stark besetzt ist, so muß der Soldat unverzüglich seinem Vorgesetzten über den „Westkontakt“ Meldung machen. Wie in diesem Zusammenhang aus zuverlässiger Quelle zu erfahren war, hat das DDR-Verteidigungsministerium in einem Tagesbefehl an die gesamten Streitkräfte diese neue Maßnahme befohlen.

In den letzten Wochen haben erneut Angehörige von DDR-Kommunalverwaltungen Formulare bekommen, die sie als „Geheimnisträger“ ausweisen und unter Androhung strafrechtlicher Folgen auf die „Melde- und Berichtspflicht“ über Westkontakte machen sollen. Dieser Meldungsvordruck über Westkontakte verlangt neben den Angaben zur Person des zur Meldung Verpflichteten Auskunft über 1. Art und Weise der Kontaktaufnahme, 2. „Durch wen erfolgte die Kontaktaufnahme, Name, Wohnort, tätig als

---- ?“, 3. „Bei wem erfolgte die

Kontaktaufnahme? Verwandtschaftsgrad“ sowie 4. „Inhaltsangabe über Gespräche usw.“ und 5. „Welche persönlichen Schlußfolgerungen wurden gezogen oder wie wurde auf die Kontaktaufnahme reagiert?“.

Auch bei kleinen Kindern soll neuerdings in der DDR ein Feindbild entwickelt werden. In einem „Brief“ des Ostberliner Volksbil-

dungsministeriums werden die Eltern von Schulanfängern aufgefordert, ihren Kindern zu helfen, „zwischen Freund und Feind zu unterscheiden“. Sieht das Kind Soldaten der DDR-Armee, soll ihm erklärt werden: „Die Soldaten bewachen unsere Grenze vor Feinden, damit du in Ruhe spielen kannst, damit Vati und Mutti arbeiten können und niemand unsere Wohnung zerstört.“ Die Eltern werden in dem „Brief“ außerdem ermahnt, nicht zuzulassen, „daß die Feinde des Sozialismus, die Feinde der DDR, mit Hilfe von Fernseh-und Rundfunkstationen durch Lüge und Hetze versuchen, auf Sie und Ihr Kind Einfluß zu gewinnen“. In den Erziehungsratschlägen heißt es weiter: „Ihr Kind soll nicht diesem Gift, wie es aus der imperialistischen Bundesrepublik kommt, ausgesetzt werden.“

Zu höchster Wachsamkeit hat auch Staatssicherheitsminister Erich Miel-ke die Bevölkerung Mitteldeutschlands unter Hinweis auf die „kriegerischen Töne“ aus der Bundesrepublik gegen die DDR aufgerufen. Es gehöre zur Arbeitsehre und sei Klassenpflicht eines jeden Arbeiters, höchste Wachsamkeit an den Tag zu legen und nicht zuzulassen, „daß die Feinde des Sozialismus irgendwelchen Spielraum für ihr Wirksamwerden gegen die DDR bekommen“, erklärte Mielke auf einer Wählervertreterkonferenz im Bezirk Halle. Auf die Frage eines Wählervertreters, „was der Minister für Staatssicherheit gegen die neuen getarnten Aggressionspläne des westdeutschen Imperialismus zu tun gedenke“, antwortete Mielke, sein Apparat arbeite „prophylaktisch“ und gebe den westdeutschen Imperialisten keine Chance.

Auch SED-Chef Erich Honecker sieht nach den sogenannten verbesserten Beziehungen mit der Bundesrepublik keine Aussichten für eine Wiedervereinigung und friedliche Annäherung. Vor amerikanischen Journalisten erklärte kürzlich der SED-Chef, die „Entscheidung der Geschichte“ für zwei separate deutsche Staaten sei bereits gefallen. „Es gibt kerne ideologischen Gemeinsamkeiten, da die beiden Systeme auf fundamental verschiedenen Prinzipien beruhen, die sich gegenseitig ausschließen.“ Auch eine Art von Konföderation ist für Honecker indiskutabel. Nach Aussage des SED-Chefs werden die Todesstreifen an der Zonengrenze bleiben, eine Beseitigung der Berliner Mauer wird nicht erwogen.

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