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Stopp für DDR-Ärzte

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Die westdeutschen Sicherheitsbehörden registrieren seit einigen Monaten eine verstärkte Flucht von Ärzten aus der DDR. Die Mediziner setzen sich zumeist nach Kongreßbesuchen in Weststaaten oder mit Unterstützung von Fluchthelfer-Organisationen über andere Länder — vor allem Österreich, Jugoslawien und die CSSR — in die Bundesrepublik ab. Seit August 1972 haben auf diesen Wegen etwa 80 Ärzte Mitteldeutschland verlassen. Als Fluchtmotive werden genannt: erschwerte Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten, besonders günstige Fluchtchancen, politische Gründe sowie Kenntnis vom Ärztemangel und dem teilweise hohen Einkommen der Ärzte in der Bundesrepublik.

Zur Verhinderung der Flucht haben die SED-Machthaber denn auch die entsprechenden Maßnahmen eingeleitet. So müssen die in der DDR praktizierenden Ärzte im Zuge der „Abgrenzungs“-Palitik der SED unverzüglich die Mitgliedschaft in medizinischen Gesellschaften der Bundesrepublik aufkündigen. Aus dem Bezirkssekretariat der Potsdamer CDU-Organisation wurde in diesem Zusammenhang bekannt, daß sämtliche Ärzte des Bezirks von der Partei aufgefordert worden seien, ihre Tätigkeit für westliche medizinische Verlage und Firmen aufzugeben und aus den medizinischen Gesellschaften der Bundesrepublik auszutreten.

Mit dieser Maßnahme will sich die DDR ganz offensichtlich auf dem Gebiet der medizinischen Wissenschaft von der Bundesrepublik abgrenzen und Fluchtkontakte zum Westen unterbinden. Bei einer Beratung des Koordinierungsausschusses der medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften der DDR mit dem Minister für Gesundheitswesen forderte der Vorsitzende des Gremiums, Prof. Dr. Reppel, eine vorrangige Orientierung des wissenschaftlichen Lebens auf die „eigenen Kapazitäten“ und die Zusammenarbeit mit den sozialistischen Ländern, um „den noch teilweise vorhandenen ideologischen und wissenschaftspolitischen Einfluß der BRD-Gesellschaften auf unsere Fachleute immer mehr zurückzudrängen“. Das gilt besonders auch für die medizinisch-wissenschaftlichen Zeitschriften in der DDR, deren „schrittweise Entflechtung vom Einfluß von Fachvertretern aus der BRD weiter vorangebracht“ und deren „Bindungen an westliche Gesellschaften beseitigt“ werden sollen.

Kritik übte Prof. Dr. Reppel bei dieser Beratung an der nach seiner Ansicht ungenügenden politischen Arbeit innerhalb der medizinischwissenschaftlichen DDR-Gesellschaften. Die Veranstaltungen sollen stärker zur „ideologischen Meinungsbildung im Sinne der marxistisch-leninistischen Weltanschauung“ genutzt werden, um „das politisch bewußte Auftreten unserer Wissenschaftler, besonders im Hinblick auf die im Zusammenhang mit der weltweiten internationalen Anerkennung unserer Republik zu erwartende stärkere Teilnahme von Wissenschaftlern aus den nichtsozialistischen Ländern an unseren Kongressen, entschieden zu verbessern“. Zur Mitarbeit von DDR-Wissenschaftlern in internationalen Gesellschaften erklärte Prof. Reppel, es sei erforderlich, „auch weiterhin eine Konzentration auf einige besonders ausgewählte, wichtige internationale Gesellschaften und Vereinigungen durchzuführen, die von unserer eigenen Position her besonders günstige Einflußmöglichkeiten bieten“. Dabei soll auch geprüft werden, inwieweit die Beteiligung an internationalen Kongressen und Veranstaltungen „im besonderen der Vertretung der politischen Interessen der DDR dient“.

Die verstärkte Flucht von Ärzten aus der DDR in die Bundesrepublik ist nach jüngsten Beobachtungen verschiedener Behörden und Berufsverbände in der Bundesrepublik als eine Folge der zunehmenden Politisierung des mitteldeutschen Ärztestandes zu werten. Hier, wie auch in allen anderen Bereichen, demonstriert der Honecker-Staat Abgrenzung statt Annäherung.

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