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Moskaus treue Musterknaben

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Der Reigen der osteuropäischen Parteitage ist in der vergangenen Woche mit dem Kongreß der,,Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ (SED) abgeschlossen worden. Die Monstershow der DDR-Kommunisten unterschied sich in einigen Akzenten bemerkenswert von den Parteitagen in Moskau, Sofia und Prag.

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Der Reigen der osteuropäischen Parteitage ist in der vergangenen Woche mit dem Kongreß der,,Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ (SED) abgeschlossen worden. Die Monstershow der DDR-Kommunisten unterschied sich in einigen Akzenten bemerkenswert von den Parteitagen in Moskau, Sofia und Prag.

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Entgegen den Erwartungen hat die „polnische Frage“ am SED-Parteitag eine eher untergeordnete und beiläufige Rolle gespielt. Im fast fünfstündigen Rechenschaftsbericht des Parteivorsitzenden Erich Honecker, dessen Stellung unumstritten ist, nahm die direkt auf Polen Bezug' nehmende Passage knapp zwei Minuten ein.

Da war lediglich von „ernsten Schwierigkeiten“ der polnischen Vereinigten Partei die Rede und von der umfassenden „brüderlichen Solidarität“ für die Genossen an der Weichsel.

Scharfe, drohende und aggressive Töne, wie sie zuvor CSSR-Parteichef Husak in Prag und der sowjetische Parteichef Breschnjew (mit wichtigen Einschränkungen) in der Moldaumetropole angeschlagen hatten, fehlten nicht nur bei Honecker, sondern auch in den übrigen Debattenbeiträgen. Selbst beim Moskauer Parteitag war eine deutlichere Sprache gegenüber Warschau gesprochen worden.

Bemerkenswert schließlich auch, daß ohne T ricks und versuchte Behinderungen die Beiträge der Gastdelegierten der KP Italiens und Frankreichs an den SED-Kongreß herangetragen werden konnten. Dies war in Moskau, wie erinnerlich, anders gelaufen.

In Ostberlin konnte Genosse Gianni Cervetti fordern, daß der politische Erneuerungsprozeß in Polen „ohne jede Einmischung von außen“ fortgesetzt werde. Auch das Politbüromitglied der französischen KP, Gaston Plissonnier, sprach sich dafür aus, daß Polen „seine Probleme ohne Einmischung von außen“ lösen müsse.

Ein weiteres, unterscheidendes Merkmal des SED-Parteitages zu den bisherigen Parteikongressen im soziali stischen Lager lag in der Leistungsbilanz und in der ökonomischen Zukunftsperspektive.

Mit Ausnahme der Bulgaren, die auf ihrem Parteitag ebenfalls eine recht gute wirtschaftliche Bilanz ziehen konnten (in den vergangenen fünf Jahren ein durchschnittlicher Zuwachs von sieben Prozent), waren weder die tschechoslowakischen noch die sowjetischen Kommunisten in der Lage, solche Erfolgsberichte wie die SED zu liefern:

• Alle Industriezweige rechneten jedes Planjahr seit 1976 im Durchschnitt mit einem Planvorsprung bei der industriellen Warenproduktion von mehr als 2,5 Tagen ab. Das Wachstum des produzierten Nationaleinkommens lag jährlich zwischen 4 und 5 Prozent und damit nur unwesentlich unter dem Plan, der Zuwachs der industriellen Warenproduktion betrug jährlich zwischen 5 und 5,5 Prozent.

Angeblich wurde sogar eine Steigerung der Arbeitsproduktivität (ein traditioneller Schwach punkt der osteuropäischen Volkswirtschaften) um 5,1 bis 5,6 Prozent erreicht.

Auch in den neu gesteckten Planzielen sind die Kommunisten der DDR ehrgeiziger und forscher, als dies in Moskau und Prag, ja selbst in Sofia, die Wirtschaftsplaner wagten. Honecker kündigte in den kommenden fünf Jahren eine Steigerung des produzierten Nationaleinkommens auf 128 bis 130 Prozent im Jahre 1985 an.

Aus den Budgetansätzen bis 1985 läßt sich zwar ablesen, daß die hohen Subventionen für Grundnahrungsmittel, Mieten usw. noch um 26% gesteigert werden sollen, doch ist klar, daß eine Finanzierung der angepeilten Sozialleistungen (etwa Erhöhung der Renten) tatsächlich nur noch durch eine Einhaltung des angepeilten Wirtschaftswachstums zu erreichen wäre.

Möglicherweise tut sich hier in der Zukunft eine „Schere“ auf- schon ausgeben, was man noch nicht verdient hat -, die bei einer außerplanmäßigen Entwicklung zu Spannungen führen könnte.

Doch darf sich die SED-Führung - scheinbar paradoxerweise dank der „polnischen Ereignisse“ - sicher sein, daß die DDR-Beschäftigten die Voraussetzungen für die Erfüllung des Planes schaffen werden. Denn eine deutlich ausgeprägte „antipolnische“ Stimmung in der DDR, die sich zum Teil aus „nationalistischen“ Ressentiments, zum anderen aus dem Willen „Wenn schon Sozialismus, dann keinen unordentlichen!“ speist, kommt hier den ehrgeizigen Wirtschaftsplänen entgegen und dürfte Arbeitsdisziplin und

Leistungswillen - trotz oft fehlender materieller Anreize - noch steigern.

Es fiel ja auf, daß Honecker - anders als beispielsweise Breschnjew, Tichonow und Gorbatschew am Moskauer Parteitag - über mangelnden Einsatzwillen, Schlamperei und krasse Planungsfehler kaum klagte.

Die DDR dürfte, das legen der Verlauf des Parteitages und auch die ökonomischen Daten nahe, aber nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht und gemessen am Lebensstandard weiterhin der „Musterknabe“ im sozialistischen Lager bleiben, sondern auch ideologisch.

Den ideologischen Fragen wurde, laut Ost-Experten, prozentuell am SED-Parteitag mehr Raum und Zeit gewidmet, als selbst in Prag und Moskau. Die DDR bleibt, viel deutlicher akzentuiert als etwa bei den ökonomisch auch recht erfolgreichen Ungarn oder Bulgaren, ein straffer, durchorganisierter, ideologisch stramm ausgerichteter Staat mit der alles entscheidenden Machtstellung einer Einheitspartei.

Indirekte Folgewirkungen der polnischen Ereignisse, wie sie selbst die UdSSR, auch Rumänien, Ungarn, die CSSR gezogen haben - mit Kritik an den bestehenden Gewerkschaften und systemkonformen Verbesserungen - sind in der DDR auch nicht ansatzweise vorhanden.

Noch vor dem Parteitag hat etwa Volkskammerpräsident Horst Sinder- mann die Gewerkschaften als „Schulen des Sozialismus und Kommunismus“ bezeichnet, die „die Interessen des einzelnen und die gesamtgesellschaftlichen Interessen vereinen“.

Statt Kritik an den Gewerkschaften, wurde vielmehr in einer Propagandakampagne dem DDR-Bürger klargemacht, daß der FDGB (Freie Deutsche Gewerkschaftsbund) bei Streitfällen seinen Mitgliedern beisteht.

Im deutsch-deutschen Verhältnis hat der Parteitag vom II. bis 16. April in Ostberlin klargemacht, daß zwar im Verhältnis zu Bonn wieder ein sachlicherer Ton angeschlagen werden soll (besonders von Außenminister Oskar Fischer), daß inhaltlich aber mit keiner „Aufweichung“ zu rechnen ist.

Honecker verlangte ohne jede Einschränkung die volle Anerkennung der völkerrechtlichen Souveränität der DDR durch die Bundesrepublik. Außenminister Fischer verwies darauf, daß die „Achtung der Souveränität und Gleichberechtigung durch alle Partner“ Voraussetzung für den Abschluß neuer Vereinbarungen mit Bonn sei.

Daß damit der Spielraum für eine Lockerung und Verbesserung des deutsch-deutschen Verhältnisses kleiner geworden ist, ist zwar ein Faktum - aber nicht das Wesentliche. Der Spielraum wird automatisch größer, wenn sich das derzeit rauhe Ost-West-Klima insgesamt verbessert.

Diese Trendumkehr hat sich aber - trotz verbaler Versicherungen und angebotener „Friedensinitiativen“ - auf keinem der osteuropäischen Parteitage gezeigt. Auch nicht in Ostberlin.

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