Die gesteuerte REVOLUTION

19451960198020002020

Der Fall der Berliner Mauer durch eine Volksbewegung ist eine der leuchtenden Legenden Europas. Nun erheben sich Zweifel daran.

19451960198020002020

Der Fall der Berliner Mauer durch eine Volksbewegung ist eine der leuchtenden Legenden Europas. Nun erheben sich Zweifel daran.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Frage, ob die Geschichte sich wiederholen könne, mag ja umstritten sein. Aber vollkommen außer Zweifel steht, dass sich Geschichtsgedenken wiederholt. Ein Beispiel: Seit 25 Jahren sehen wir um den 9. November herum die immer gleichen Bilder singender Menschen in Leipzig, wir sehen mit deutschen Fahnen beflaggte Plastiktrabis und hören den Schlachtgesang des Friedens und der Revolution: "Wir sind das Volk, wir sind das Volk!" Das ist unser 9. November 1989. Ein Volk, so heißt es immer, macht Geschichte und bringt die Diktatur des Kommunismus zu Fall.

Es ist eine schöne Geschichte. Sie passt zu dem damals deklarierten "Ende der Geschichte", das ein "Happy End der Geschichte" werden sollte. Manche aber finden dieses Bild von 1989 zu schön, zu reibungslos und zu picksüß. Beispielsweise tut das der Sekretär des russischen Nationalen Sicherheitsrates, Nikolaj Patruschew. Patruschew ist einer der engsten Berater von Präsident Vladimir Putin und er hat sich seinen eigenen Reim auf die Geschichte vom Fall der Mauer gemacht. Unser romantisches Bild ist ihm egal. In seiner Version geht es um ein politisches und wirtschaftliches Duell. Patruschew sagt: Die USA haben den Zusammenbruch der Sowjetunion und den Fall der Berliner Mauer künstlich herbeigeführt. Wie? Indem sie den Ölpreis verfallen ließen, und damit die von Erdöl- und Erdgaseinnahmen abhängige UdSSR in eine Schuldenfalle trieben, aus der es kein Entrinnen gab.

Bürgerrevolte oder Preiskrieg

Der Mauerfall als Ergebnis eines Rohstoffkriegs? Tatsächlich ist Patruschew nicht der Einzige, der die Geschichte auf diese Weise erzählt. Er erhält unerwartete Unterstützung von einem US-Präsidentensohn: Michael Reagan, dem Sohn Ronald Reagans: "Mein Vater hat die Sowjetunion in die Knie gezwungen, ohne einen einzigen Schuss abzufeuern", so Reagan. "Öl war das einzige Produkt der Sowjetunion, das sich auch im Westen verkaufen ließ. Mein Vater brauchte nur die Hilfe der Saudis, um den Markt mit Öl zu fluten. Das bedeutete einen Preisverfall, sinkende Einnahmen des Kreml, den Wertverfall des Rubel" .

Selbst wenn die historischen Quellen die These vom absichtlichen Preisrodeo dürftig sind - außer Reagan junior vertritt sie noch der Historiker und Biograf Paul Kengor - eines bleibt unwidersprochen: In den 1980er-Jahren verfiel der Ölpreis stark - was Moskau durchschnittlich 20 Milliarden Dollar pro Jahr kostete und den Druck auf die Kremlführung drastisch erhöhte, zumal das von den USA angestrengte Wettrüsten ebenfalls Milliarden verschlang.

Sehr viele Berichte und Anekdoten von den Verhandlungen zwischen dem Erfinder von Glasnost und Perestroika, Michail Gorbatschow und der Führung der DDR belegen diesen finanziellen Notstand, sie waren aber auch vom tiefen Misstrauen und Widerstand der SED gegen die Moskauer Neuausrichtung geprägt. Die DDR ließ Reformschriften und -filme aus Moskau mit Verbot belegen. Die Spannungen scheinen sogar psychosomatische Folgen gezeitigt zu haben.

Als Gorbatschow die Breschnjew-Doktrin im Juli 1989 bei einem Treffen der führenden Repräsentanten des Warschauer Paktes in der polnischen Hauptstadt für obsolet erklärte, erlitt Erich Honecker eine Gallenkolik und musste nach Berlin geflogen werden. Sein in Warschau zurückgebliebener Ersatzmann Willi Stoph verweigerte zu den von allen anderen Ländern begrüßten Reformen jeden Kommentar. Der ZK-Sekretär der DDR, Kurt Hager, brüskierte Moskau in einem Stern-Interview: "Wenn ihr Nachbar seine Wohnung neu tapeziert, würden sie sich verpflichtet fühlen, ebenfalls neu zu tapezieren?"

Schon davor war die wirtschaftliche Unterstützung der Sowjetunion für die ostdeutschen Genossen eklatant gesunken. Gerade die dringend nötigen Lieferungen russischen Öls waren in den Jahren vor dem Fall um mehr als zwei Milliarden Tonnen zusammengestrichen worden unter der Begründung aus Moskau, die UdSSR stehe selbst vor "schwersten Zeiten".

Als die Mauer dann tatsächlich fiel, riet Moskau dem Honecker-Nachfolger Egon Krenz, er solle doch in einer TV-Ansprache den Fall der Mauer als "kühne und bedeutende Aktion im Sinne der Menschenrechte" würdigen. Krenz verweigerte das.

Geschrumpfte Unterstützung

Tatsächlich war damals die DDR bereits verloren. In den Wochen vor und nach dem 9. November gab es mehrere Treffen zwischen Gorbatschow und dem deutschen Kanzler Helmut Kohl. Dabei ging es um Geld. Wie sich herausstellte, konnte die Führung der UdSSR die eigene Wirtschaft kaum noch vor dem Zusammenbruch schützen. Und so verkaufte Gorbatschow die DDR an den meistbietenden Kohl - und an die NATO. Um genau zu sein, wurde die Deutsche Demokratische Republik um gerade einmal fünf Milliarden D-Mark veräußert. Später, im Herbst 1990, als Gorbatschow sah, dass sich die Lage in der Sowjetunion nicht besserte, erhöhte sich dieser Preis dann um weitere 15 Milliarden Mark Wirtschaftshilfe. Ein Jahr später sollte Gorbatschow nach einem Putsch seines Militärs durch Boris Jelzin entmachtet und die UdSSR ein Relikt der Vergangenheit sein.

Ölkrieg heute

Und damit wären wir wieder am Anfang der Geschichte - und im globalpolitischen Heute. Denn Putins Berater Patruschew meint tatsächlich, die Geschichte wiederhole sich. Die USA würden heute wieder versuchen, den Ölpreis zu manipulieren, um Russland in der Ukrainekrise in die Knie zu zwingen. Für diese Ansicht spricht, dass die weltgeschichtliche Begleitmusik heute eigentlich für einen höheren Ölpreis spräche. Der Krieg im Irak mit der Bedrohung von Ölquellen durch die Terrormilizen des Islamischen Staats; eine durch die Syrienkrise generell unsichere Lage im Nahen Osten; dazu noch die Lähmung der Ölförderung in Libyen durch den dort gerade aufbrechenden Bürgerkrieg - ja sogar der von den Meteorologen erwartete harte Winter in Europa und den USA: all das spräche eigentlich für eine stark steigende Preisentwicklung.

Trotzdem sank der Preis für ein Barrel von mehr als 115 auf 70 Dollar seit Jahresbeginn. Aber muss die These von der konzertierten Aktion der USA tatsächlich stimmen? Ökonomen halten auch ein anderes Szenario für plausibel: Dass sich nämlich auch eine bevorstehende Krise der Weltwirtschaft über weniger Nachfrage - und damit sinkende Öl-Preise ausdrücken kann. Gemessen an den Zerstörungen, die eine neue Krise auslösen könnte, müsste man sich nun die Ölverschwörung geradezu wünschen - und zwar selbst, wenn man in Moskau sitzt und sich als Geschädigter sieht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung