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Sowjetbär im Gegenwind

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Der russische Bär leckt seine Wunden. Die Machthaber der Sowjetunion haben keinen Grund, allzu frohen Herzens auf die vergangenen Monate zurückzublicken. Interne Schwierigkeiten und diplomatische Niederlagen gab es zur Genüge. Die globale Machtverschiebung, die allgemein zugunsten des Kreml erwartet worden war, als im vergangenen Herbst eine Truppe unerfahrener Männer ins Weiße Haus von Washington einzog, ist jedenfalls bisher nicht eingetreten.

Die Dissonanzen mit den „Eurokommunisten” sind dabei höchstens Mückenstiche, ein wenig unangenehm im Augenblick des Stiches, aber bald wieder vergessen. Und die Schelte, die sich Genosse Carillo einhandelte, ist nur Theaterdonner. Denn gefährlich für Moskaus Machthaber werden die Ideen vom „demokratischen Kommunismus” nur im eigenen Einflußbereich, nicht aber zwischen Pyrenäen, Alpen und Apennin. Vor die Wahl gestellt, Eurokommunisten oder gar keine Kommunisten in Schlüsselpositionen der westlichen Welt zu sehen, wird Moskau jedenfalls den scheinbar so angefeindeten Genossen jederzeit den Vorzug geben.

Da geben die Bürgerrechtskämpfer des Ostens Breschnjew schon bedeutend mehr Grund zur Sorge. Ihr Schweigen während der letzten Monate bedeutet keineswegs, daß sie ihre Schlacht verloren und die Sicherheitskräfte „Ruhe und Ordnung” völlig wiederhergestellt hätten. Die Kampfpause diente eher dazu, das Verhandlungsklima vor der Konferenz von Belgrad nicht weiter zu verschlechtern.

Denn im Gegensatz zu den Veteranen der Bürgerrechtsbewegung, wie Sacharow, Amalrik und Solschenizyn, die den Westen ständig davor warnten, sich mit den kommunistischen Staaten an einen Tisch zu setzen, baut die neue Generation der Oppositionellen eben auf jene Dokumente, die diesen Konferenzen entstammen. So wenden sich die Papiere von Helsinki, dazu ausersehen, die sowjetische Einfluß- späre in Europa ein für allemal zu sichern, gegen ihre geistigen Väter.

Wenn die Bürger der Oststaaten heute das fordern, was der berühmte „dritte Korb” von Helsinki enthält, dann können sie sich auf einen Vertrag berufen, unter dem die Unterschriften von Breschnjew, Honecker, Husäk und Co. stehen. Nicht sehr erfreulich für totalitäre Regime. Es ist kein Wunder, daß Moskaus Kommentatoren so gereizt reagieren, wenn Jimmy Carter das Wort „Menschenrechte” in den Mund nimmt. Mit Ausweichungen und Maulkörben wird sich die Diskussion, die in allen Ländern des Warschauer Paktes ausgebrochen ist, nicht abwürgen lassen.

Die weltpolitische Szene bereitet dem Kreml allerdings Probleme ganz anderen Kalibers. Die Reinkarnation Teng Hsiao-pings auf Chinas Thron zerstört wohl die letzte Hoffnung auf eine baldige Normalisierung der Beziehungen zwischen den kommunistischen Großmächten. In Indien und Sri Lanka erlitten die Moskau-freundlichen Staatschefinnen Indira Gandhi und Sirimavo Bandanaraike Wahlniederlagen katastrophalen Ausmaßes. Und in Afrika, wo der sowjetische Vormarsch so unaufhaltsam schien, läuft auchnichtmehrallesnachBreschnjews Wünschen.

Im Osten des Kontinents stehen einander das radikal-marxistische Äthiopien und Somalia, das seine Armee mit Moskaus Hilfe zu einer der bestausgerüsteten Afrikas machte, in offener Schlacht gegenüber. Es mag als Schachzug der Sowjetunion gedeutet werden, daß diese nun auf Äthiopien setzt, weil sich dort größere Zukunftschancen ergeben, und dafür den Bruch mit Somalia in Kauf nimmt — doch daß die Kontrolle über beide Länder besser in Moskaus Pläne gepaßt hätte, läßt sich nicht leugnen. Die USA hat das Vakuum schnell ausgenützt und Somalia Waffenhilfe7zugesagt.

Auch das erneutfe Aufflackern des alten Hasses zwischen Libyen und Ägypten- oder besser gesagt zwischen

Sadat und Ghadafl — brachte dem Kreml keinen Punktegewinn. Er unterstützt Libyen nur halbherzig und setzt statt dessen offensichtlich auf einen internen Umsturz in Kairo und die Absetzung Sadats. Doch einstweilen bleibt Ägypten treuer Verbündeter der Vereinigten Staaten.

Nicht einmal in Angola, wo Moskaus ergebener Verehrer Neto Präsident ist, hat sich die Sowjetunion etablieren können. Den revolutionären Ruhm hat nicht Zar Leonid, sondern Ex-Guerillero Fidel Castro eingeheimst. Das ist symptomatisch für die Situation auf dem schwarzen Kontinent. Die UdSSR hat es schwerer und schwerer, sich als progressiver Freund der Umsturzbewegungen zu verkaufen. Daß Lenin und Genossen vor 60 Jahren Revolution gemacht haben, ist Afrikas jungen Nationalistenführern zu wenig. Daß sich Robert Mugabe, der radikalste der Befreiungskämpfer in Rhodesien, von Moskau ab- und nach Peking gewandt hat, paßt in das Bild, das das unruhige Afrika heute bietet.

Im Fall Angola kommt für die Sowjetunion ein weiterer Unsicherheitsfaktor hinzu. Welche Auswirkungen wird das Tauwetter zwischen Washin- ton und Havanna bringen? Andrew Young hat Kubas Afrika-Truppe einen „stabilisierenden Faktor” genannt. Noch kann keine Rede davon sein, daß diese Stabilisierung für die USA positiv wäre. Aber auch in Angola hat die Sowjetunion keine Veranlassung, auf gewonnenen Lorbeeren auszuruhen, wenn sie ihren Einfluß bewahren will.

Auf zwei anderen Schauplätzen stehen dagegen die Figuren im Schachspiel um die Macht günstig für die UdSSR. Der Staatsstreich auf den Seychellen während der Commonwealth-Konferenz eröffnet Moskau gute Möglichkeiten auf dieser kleinen, aber strategisch wichtigen Inselgruppe. Wichtiger noch ist das gestörte Verhältnis zwischen Tirana und Peking. Zwar ist Enver Hodscha bisher nicht auf einen Moskau-freundlicheren Kurs eingeschwenkt, aber eine Entfernung von Chinas Linie treibt ihn unwillkürlich dem Kreml in die Arme. Denn ganz allein kann das Land der Skipetaren den wahren Sozialismus nicht verwirklichen. Albanien hat auch bereits seine Wirtschaftskontakte zur DDR intensiviert. Und daß die DDR auf Moskaus Kurs segelt, daran kann ja kein Zweifel sein.

Man wird abzuwarten haben, wie sich Tengs Comeback in Peking auf die Relation zu Albanien auswirken wird. Zuletzt gab es deutliche Zeichen, daß Hodscha vom totalen Bruch nichts wissen will. Die Machthaber in Moskau jedenfalls werden nichts unversucht lassen, die Beziehungen zum unbekannten, isolierten Balkanstaat in Hinkunft freundlicher zu gestalten. Immerhin ist Albanien wichtiges Grenzland zu Jugoslawien - und so könnte sich die UdSSR nun einen taktischen Vorteil für die „Zeit nach Tito” sichern, der an Wichtigkeit all die Schwierigkeiten überschattet, mit denen Breschnjew derzeit zu kämpfen hat.

Im Augenblick sieht sich die Sowjetunion einer Vielzahl von Problemen gegenüber. Es ist allerdings eine alte Boxer-Regel, daß niemand gefährlicher ist, niemand verbissener kämpft als ein angeschlagener Gegner. Der Westen wird es zu spüren bekommen; spätestens an den Konferenztischen von Belgrad.

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