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Die starrköpfigen Marionetten

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Vor 35 Jahren, also Anfang des Jahres 1946, nahm auf dem Balkan eine neue politische Ordnung Gestalt an. In Albanien wurde am 11. Jänner 1946 die „ Volksrepublik" ausgerufen, in Jugoslawien am 31.1. eine nach sowjetischem Vorbild zurechtgeschneiderte Verfassung proklamiert. Was diese beiden Ereignisse im historischen Kontext so wichtig macht: sie signalisierten die „Bolschewisierung" des südosteuropäischen Raumes.

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Vor 35 Jahren, also Anfang des Jahres 1946, nahm auf dem Balkan eine neue politische Ordnung Gestalt an. In Albanien wurde am 11. Jänner 1946 die „ Volksrepublik" ausgerufen, in Jugoslawien am 31.1. eine nach sowjetischem Vorbild zurechtgeschneiderte Verfassung proklamiert. Was diese beiden Ereignisse im historischen Kontext so wichtig macht: sie signalisierten die „Bolschewisierung" des südosteuropäischen Raumes.

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Freilich, nicht alle Staaten auf dem Balkan gerieten damals unter die Fuch­tel der Kommunisten. Zwar machten sie auch in Griechenland den Versuch, die Macht an sich zu reißen, doch blieb diesem Land ebenso wie der Türkei die marxistisch-leninistische Zwangsbe­glückung letzten Endes erspart.

Jenseits der nördlichen Grenzen die­ser Staaten, in Bulgarien und in Rumä­nien, konnte indes dem Kommunismus im Eiltempo zum „Sieg“ verhülfen werden.

Eine Zeitlang nach der Beendigung des Zweiten Weltkrieges hatte der so­wjetische Diktator Josef Stalin noch auf die politisch-strategische Sensibili­tät des Westens Rücksicht genommen: bäuerliche und sozialistische bezie­hungsweise sozialdemokratische Par­teien waren noch zugelassen.

Doch was Stalin nicht entgangen war: Die westlichen Interventionen zu­gunsten der Demokratie in Rumänien und Bulgarien waren bestenfalls hypo­thetisch. Schließlich wurden die westli­chen Ko-Regisseure auf dem Polit- Schauplatz Balkan durch die Jänner- Ereignisse in Jugoslawien und Alba­nien vor eine nackte geopolitische Tat­sache gestellt, die sie praktisch aus dem Spiel brachte:

Den ostadriatischen Raum hatten

Stalins militante Verbündete, Tito in Jugoslawien und Enver Hodscha in Al­banien, jetzt fest im Griff. Allzu selbst­sicher jedoch, schossen die Jugoslawen zwei amerikanische Aufklärungsflug­zeuge ab, während die Albaner in der Straße von Korfu auf britische Zerstö­rer das Feuer eröffneten.

In westlichen Hauptstädten wurde gemeinhin argumentiert, daß diese Pro­vokationen der Beweis für eine von Sta­lin ausgeheckte und koordinierte Stra­tegie in diesem Raum wäre. Tatsäch­lich aber gingen die Erfolge auf dem Balkan weit über Stalins kühnste Er­wartungen hinaus, ja sie hatten ihn ge­radezu überrumpelt. Das Problem, das für Moskau daraus erwuchs, war es, die Zügel in die Hand zu nehmen und nicht etwa die Sporen zu geben.

Auch Tito überschätzte die Möglich­keit einer westlichen Intervention in Ju­goslawien. Um die Briten „beschäf­tigt“ zu halten, hetzte er deswegen die kommunistischen Rebellen in Grie­chenland auf. Daran wiederum fand Stalin überhaupt keinen Gefallen.

Daß sich der sowjetische Diktator ob den turbulenten Entwicklungen auf dem Balkan nicht so recht wohl in sei­ner Haut fühlte, hing mit der Tatsache zusammen, daß die jugoslawische und

albanische Revolution klar seinem mit dem britischen Premier Winston Chur­chill ausgehandelten „Gentlemans Agreement“ zu widerliefen.

Das „Agreement“ war im Oktober 1944 anläßlich von Churchills Besuch in Moskau zustandegekommen und in Yalta im Februar 1945 durch vage Hin­weise, es einzuhalten, noch einmal be­kräftigt worden.

Diese mündlichen Vereinbarungen - ohnehin nebulös bis an die Grenzen der Frivolität - sahen vor, den britischen und sowjetischen Einfluß in Jugosla­wien fifty-fifty aufzuteilen, während Rumänien zu 90 Prozent den Sowjets und Griechenland im selben Ausmaß den Briten zugeschlagen wurde. Mos­kau sollte außerdem eine 75prozentige Hegemonie über Bulgarien erhalten, während Albanien nicht einmal er­wähnt wurde.

In Yalta wurde die Angelegenheit - wie erwähnt - nicht besser geregelt, zu­mal die Amerikaner dort noch viel we­niger Interesse und Verständnis als Churchill zeigten.

Wie auch immer: Es gibt Gründe zu der Annahme, daß Stalin dem Geist der Abmachungen mit Churchill durchaus zu entsprechen gewillt war, bis er schließlich von Tito überflügelt und da­durch gezwungen wurde, politisch neu zu kalkulieren.

Stalin war umso mehr zu politischen Konzessionen auf dem Balkan bereit, seitdem sich seine Vorahnungen über den britischen und amerikanischen Wi­derspruch bezüglich seiner Pläne in Mitteleuropa als richtig erwiesen hat­ten. Sein Sicherheits-Konzept stützte sich auf ein sowjetisch-kontrolliertes

Polen, während sich Churchill und Franklin D. Roosevelt aus innenpoliti­schen Gründen gezwungen sahen, hier weniger Zugeständnisse als anderswo zu machen.

Tief verwickelt in die deutsche und die polnische Frage, gerieten die westli­chen Alliierten so auf dem südosteuro­päischen Schauplatz in Verzug.

Die leichtfertige Aufgabe des Bal­kans durch die westlichen Sieger­mächte kam für Moskau überraschend. Nichts zeigt dies deutlicher als das Ver­sagen der Sowjets, ihre Hegemonie über den Großteil Südeuropas auf­rechtzuerhalten.

Schon 1946 waren die Jugoslawen verärgert darüber, daß Stalin die An­sprüche Belgrads auf die Hafenstadt Triest nicht unterstützte. Nicht gerade erfreut waren sie außerdem über die so­wjetische Wirtschaftspolitik gegenüber einem „Bruder“. Und schließlich war auch das skandalöse Verhalten sowjeti­scher Truppen in der Nähe von Belgrad nicht vergessen, wo die Soldaten der Roten Armee geplündert und vergewal­tigt hatten. Aber noch stand Tito uner­schütterlich loyal zu Moskau.

Der große Krach ließ indes nicht lan­ge auf sich warten. Er kam, als Stalin erkannte, daß Tito und der Bulgare Ge­orgi Dimitroff - der inzwischen geal­terte „Held“ des Berliner Reichtags­feuers - Schritte in Richtung einer eige­nen, unabhängigen Politik unternah­men.

Nichts weniger bedeutete dies, als der Plan zur Schaffung einer Balkanfö­deration, die Bulgarien, Jugoslawien und Albanien umfassen sollte (letzteres wollte Tito einfach schlucken). Die Bul­

garen verhandelten mit Rumänien au­ßerdem über die Schaffung einer Zoll­union. /

1948 wurden Tito und Dimitroff nach Moskau berufen. Tito schickte an seiner Stelle seine beiden engsten Mit­arbeiter, Milovan Djilas und Edward Kardelj. Nicht daß Stalin gegen die geplante Balkanföderation beziehungs­weise gegen die Annexion Albaniens durch Tito allzu viel einzuwenden ge­habt hätte: Er wollte aber auf keinen Fall tolerieren, daß seine Satelliten eine von Moskau unabhängige Politik machten.

Für die geplante Zollunion zwischen den Bulgaren und Rumänen hatte er deshalb auch nur ein Übermaß an Spott übrig. Und Titos Vertreter warnte er, daß eine fortgesetzte Unterstützung der Aufständischen in Griechenland nur die Amerikaner herausfordern würde.

Dimitroff und die Rumänen beugten sich sofort dem Druck Moskaus. Tito hingegen verweigerte den Kniefall vor Stalin und wurde daraufhin aus dem Kommunistischen Informationsbüro (Kominform) ausgeschlossen.

Aber zu Stalins Überraschung ließen sich die Jugoslawen nicht einschüch­tern. Zumindest Albanien kam im Zuge dieser Wirren mit heiler Haut da­von und wurde von den Jugoslawen nicht geschluckt.

Das Ausscheren Titos beendete im gewissen Sinne die sowjetische Hege­monie über den Balkan, wenngleich nicht sofort und niemals vollständig.

Um 1949 flaute auch die Revolte in Griechenland allmählich ab. Albanien stand zu Lebzeiten Stalins loyal zu

Moskau. Dann aber, 1961, konnten es sich die Albaner aufgrund ihrer expo­nierten geographischen Lage erlauben, Chruschtschow zu trotzen und sich den Chinesen in die Arme zu werfen.

Und auch Rumänien erreichte ge­mächlich eine gewisse Unabhängigkeit (vor allem in der Außenpolitik), blieb jedoch im Warschauer Pakt. Lediglich Bulgarien ist bis zum heutigen Tag ein Moskau treu ergebener Satellit.

Was bleibt dann noch von der „Neuen Ordnung“ des Jahres 1946? Die Antwort ist paradox: wenig und viel!

Während der Rest der Welt gebannt auf die wachsende sowjetische Macht starrte, ist sie auf dem Balkan kleiner geworden. Trotzdem: Die Rote Armee ist nach wie vor ein mächtiger und un­berechenbarer Faktor in der Politik der kommunistischen südosteuropäischen Staaten.

Unübersehbar aber ist: Während Moskau gezögert hatte, in Jugoslawien oder Rumänien militärisch zu interve­nieren, schlug es Unabhängigkeitsbe­wegungen in Ostdeutschland, Ungarn und in der Tschechoslowakei ohne mit der Wimper zu zucken nieder.

Was sich seit 35 Jahren auf dem Bal­kan gehalten hat, ist die Alleinherr­schaft der kommunistischen Parteien, die auch durch die sich ändernden Be­ziehungen zur Sowjetunion nicht er­schüttert worden ist.

Bedenkt man, daß es in diesen Staa­ten an geistiger Freiheit ebenso wie an materiellen Anreizen mangelt, daß die Mehrheit der Leute ihren eigenen Regi­men mit Resignation und verstecktem Haß begegnet, daß auch hier die sowje­tische Macht argwöhnisch betrachtet wird, dann muß man sich eigentlich wundern, daß die kommunistischen Parteien die Zügel immer noch so fest in der Hand halten.

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