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Mehr als Verbrechen: Fehler

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Als das ehemalige jugoslawische Politbüromitglied Milovan D j i 1 a s im Jahre 1957 wegen der Veröffentlichung seines Buches „Die Neue Klasse“ zu einer siebenjährigen Kerkerstrafe verurteilt wurde, konnte man das zwar nicht billigen, aber vom Standpunkt des kommunistischen Regimes aus wenigstens verstehen. Ein solches Regime duldet eben keine grundsätzliche Kritik an seinen Einrichtungen. Und „Die Neue Klasse“ war grundsätzlich Kritik, von der sich die Belgrader Regierung genauso getroffen fühlen mußte wie jedes andere kommunistische Regime.

Nun ist Djilas erneut verhaftet worden, und zwar diesmal wegen der bevorstehenden Veröffentlichung eines Buches, das keinerlei Spitze gegen das jugoslawische Regime und keine Kritik an seinem System enthält. Der Memoirenband „Gespräche mit Stalin“ befaßt sich mit einem Mann, der vor neun Jahren starb, und schildert lauter Begebenheiten, die mindestens vierzehn Jahre zurückliegen. Auch hat Djilas keineswegs etwa ein Loblied auf Stalin verfaßt, das die scharf anti-stalinistisch eingestellten jugoslawischen Führer verärgern könnte. Seine Darstellung des großen Tyrannen ist durchaus negativ, obwohl sie so gerecht ist, ihm historische Größe zuzubilligen.

Nicht etwa in China oder Albanien, sondern ausgerechnet im antistalinisti-schen Jugoslawien ist also ein Mann verhaftet worden, weil er ein kritisches Buch über Stalin veröffentlichen will. Das läßt die Verhaftung des Milovan Djilas nicht nur als eine brutale, sondern auch als eine unüberlegte und geradezu lächerliche Handlung erscheinen. Sie ist offensichtlich darauf zurückzuführen, daß die jugoslawischen Kommunisten auch heute noch Weltpolitik als Konspiration auf-

fassen, obwohl sie längst aus der großen kommunistischen Verschwörung ausgeschlossen worden sind. Darum betrachten sie Berichte über die Zusammenkünfte kommunistischer Parteioberhäupter auch dann noch als Verrat konspirativer Geheimnisse, wenn diese Zusammenkünfte eineinhalb Jahrzehnte zurückliegen und die weltpolitische Lage und die Stellung ihres eigenen Landes sich seither völlig verändert haben.

Infolgedessen erwecken die verzweifelten Bemühungen der Jugoslawen, die Veröffentlichung der „Gespräche mit Stalin“ zu verhindern, notwendigerweise den Eindruck schlechten Gewissens. Der Weltöffentlichkeit drängt sich da der Eindruck auf, daß

das Buch irgendwelche schreckliche, das Ansehen des Tito-Regimes schädigende Geheimnisse enthüllt. In Wirklichkeit finden sich aber im Manuskript gar keine solchen Geheimnisse.

Man wußte schon das meiste

Die westlichen Staatskanzleien sind sich längst darüber im klaren, welch radikale, antiwestliche Politik die Jugoslawen bis zu ihrem Ausschluß aus dem Kominform betrieben. Daß Jugoslawien und Bulgarien 1948 gemeinsam zugunsten der Partisanen im griechischen Bürgerkrieg intervenieren wollten und daß Stalin sie davon abhielt, weil er keinen Weltkrieg riskieren wollte, ist bereits aus der offiziellen Tito-Biographie Vladimir Dedijers bekannt, die 1953 mit dem „Plazet“ des jugoslawischen Zentralkomitees erschien und in Hunderttausenden von Exemplaren in der nichtkommunistischen Welt verbreitet wurde. Dieses Wissen hat weder das griechische Königspaar davon abgehalten, wiederholt die Gastfreundschaft Präsident Titos in Belgrad und auf Brioni anzunehmen, noch die Amerikaner daran gehindert, Jugoslawien großzügige Wirtschaftshilfe und in den Jahren der Bedrängnis auch militärische Hilfe zu leisten.

Heute hat Jugoslawien nur noch innerhalb des Ostblocks Gegner, und nicht einmal der wildeste dieser Feinde, der Albanier Enver Hodscha, wird das neue Buch von Djilas gegen die Jugoslawen ausnutzen können. Die in diesem Buch enthaltene Enthüllung, daß er noch wenige Monate vor dem Ausschluß der Jugoslawen aus dem Kominform die Belgrader Regierung zur Entsendung von Truppen in sein Land aufforderte, kann nur für ihn selber peinlich sein.

Es gibt also keine vernunftmäßieen Gründe für die Verhaftung von Milo-

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