6604156-1954_07_04.jpg
Digital In Arbeit

Nummer drei fiel aus

Werbung
Werbung
Werbung

Der Fall Milovan Djilas — oh, welch ein Fall war das! sollte allen denen neuerlich Stoff zum Nachdenken geben, die sich in holden Täuschungen über das Wesen und über die Wandlung, über Ansichten und Ansichten der jugoslawischen Diktatur wiegten.

Milovan Djilas gehörte zum Halbdutzend wirklich führender Mitarbeiter und Mitstreiter Titos.- Er stammt aus der Crnagora, alias Montenegro, wie Moša Pijade und der nun in den Vordergrund rückende Veljko Vlahovič. Bis vor kurzem durfte man ihn, hach ‘dem"' Märichall-PrSsideriten und Kardei j, seit dem vorzeitigen Tod des Slowenen Kidric als den jugoslawischen „Kommunisten Nr. drei“ betrachten, vor Rankovič, Pijade und Gošnjak, die zusammen mit ihm den engsten Kreis um Tito bildeten. In den dreißiger Jahren zählte er bereits zu den Koryphäen der unterirdischen Kommunistischen Partei. Er verbrachte manches Jahr im königlich-jugoslawischen Gefängnis. Sein erster Kontakt mit Tito datiert von 1937. Während des zweiten Weltkrieges war er zunächst Kommissar für Montenegro, um dort die Partisanenbewegung gegen die deutschen Okkupanten zu leiten. Seit 1938 wirkte er als Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei. Zweimal reiste er für längere Zeit nach Moskau, wo er von Stalin sehr geschätzt, doch auch mißtrauisch beurteilt wurde. Wie es sich bald zeigte, nicht mit Unrecht. Denn schon beim Einmarsch sowjetischer Truppen in Jugoslawien war Djilas einer derer, die bei den russischen Generalen aufs schärfste gegen die Exzesse der Verbündeten Einspruch erhoben. Seit damals schon ist er in Moskau schlecht notiert, hegt er seinerseits manche Vorbehalte gegen die öffentlich in allen Tonarten gepriesene kommunistische und slawische Vormacht. Je länger, um so mehr besann er sich auf seine großenteils westliche Erziehung, auf seine umfängliche Kenntnis westlicher Kultur. Allerdings war er und ist er überzeugter Materialist, ein geschworener Feind jeder Religion, doch eher ein Radikaler im französischen und italienischen Stil der Linksrepublikaner, ein Bürgerfeind, doch mehr Bohemien, Künstler, als marxistischer Konformist. Seine persönliche Freundschaft mit Tito blieb freilich lange ungetrübt. Man schätzte Djilas’ gewandte Feder, seinen scharfsinnigen Geist, seine Rednergabe. Er bildete, gemeinsam mit Kardelj und Pijade, den ideologischen und literarischen Gehirntrust des Regimes. Daß die drei einander nicht leiden konnten, war offenes Geheimnis. Sie waren aufeinander eifersüchtig und von so abweichender Art wie nur möglich: Kardelj — ein slowenischer Proletariersöhn, Mittelschulprofessor, pedantisch, kränklich, streng linientreu, und eingestandenermaßen unter dem Einfluß deutscher Muster; Pijade — ein häßlicher, verbauter, kleiner Mensch, jüdischer Intellektueller, zynisch, von orthodoxer Gelehrsamkeit im Marxismus, dabei, wie Djilas, mit einem Anflug ins Kunstzigeunerische, Maler und Kritiker, mit dem Westen wohlvertraut — er hatte viel auf dem Pariser Montmartre gelebt; Djilas: nun, wir haben ihn schon ein wenig geschildert, war der Romantiker unter den Dreien, im Herzensgrund Individualist und Genußmensch.

Er mußte und er wollte vermutlich geraume Zeit hindurch mit den Wölfen heulen. So schlug er noch auf dem 5. Kongreß der KPJ, im Jahre 1948, als der Bruch mit Moskau schon vollzogen war, grimmige kommunistisch-klassenkämpferische Töne an. „Unsere Aufgabe ist, jede Tätigkeit offener oder heimlicher Feinde des Marxismus zu ersticken, die Linie ideologischer Kompromisse zu liquidieren“ … Wir müssen „den amerikanischen Imperialismus als Hauptträger der Unterjochung und der Kriegshetzkampagne im Auge behalten, den Kampf des demokra-

tischen Lagers, mit der UdSSR an der Spitze, allseitig unterstützen“. Nach einer Polemik gegen die „widerwärtigste’ Form der Reaktion, den Mystizismus, den Idealismus, Personalismus, Existentialismus“, die alle ihre Kraft aus mittelalterlicher Mystik schöpften, wandte er sich damals gegen die Orgien der Bourgeoiskunst, „vom Typus eines Picasso und Sartre“, als „Koryphäen heutiger Bourgeoiskultur“, und mahnte, „unerschütterlich an den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus festzuhalten“. Wie man sieht, war Djilas ein schlechter Prophet. Er ahnte nicht, daß wenige Jahre später Picasso die Friedenstaube zeichnen, Sartre auf dem Wiener Friedenskongreß durch die Kommunisten bejubelt werden würde, daß die „amerikanischen Imperialisten“ Jugoslawien gegen die UdSSR bewaffnen würden.

Milo van Djilas war noch kurz vor Weihnachten zum Präsidenten des am 22. November 1953 neugewählten jugoslawischen Bundestags, der Ersten Kammer des Parlaments, erkoren worden. Schon seit dem Inkrafttreten der im Jänner desselben Jahres beschlossenen Verfassung war er einer der vier Vizepräsidenten, die Titos Stellvertretung als Staatsoberhaupt innehatten (die andern sind Kar- delj, Rankovič, Pijade). Natürlich saß er auch im 13köpfigen Präsidium der in „Bund der Kommunisten Jugoslawiens“ umbenannten KPJ. Dieser mächtige Würdenträger veröffentlichte nun in der Belgrader „Borba“ zwischen 11. Oktober 1953 und 7. Jänner 1954 eine Reihe von Artikeln, die unter dem Titel „Anatomie einer Moral“ für einen völligen Umbau der Partei eintraten, der faktisch zu deren Ende als Trägerin der politischen Alleinmacht geführt hätte. Es war klar, daß Djilas den Zeitpunkt für gekommen erachtete, im Hinblick auf die außenpolitisch-militärischen Konnexionen seines Landes dessen Rückkehr zu einer west-

licheh Demokratie vorzubereiten. Außerdem spielten persönliche Momente mit hinein. In der herrschenden Schicht Jugoslawiens liefern einander Puritaner und Freunde von Wein, Weib und Gesang hinter den Kulissen heftige Kämpfe. Schon einmal, auf dem 6. Parteitag im vorigen Jahr,war es Zu einem heftigen Zusammenstoß um solcher Dinge willen gekommen. Am 9. Jänner d. J. war der Krach völlig: der amtliche Rundfunk wies in einer Erklärung des Zentralkomitees der Partei Djilas zurecht. Schon am 16. und 17. Jänner trat das Plenum dieses Ausschusses zusammen. Tito, Kardelj, Pijade, der den Angeklagten einen „politischen Pornographen“ hieß, ein paar neu erglänzende Sterne und auch eine streitbare Genossin fielen über den Unbequemen her. Nur der Tito-Biograph Dedijer, auch ein geborener Westler, schon kraft seiner mütterlichen Abkunft und als Boür- geoissproß, brach für den Anwalt kleinbürgerlicher Gesinnung, des Fraktionismus, der Parteischädigung, der Hinneigung zum Kapitalismus und anderer Todsünden Geziehenen eine stumpfe Lanze. Das Ergebnis ist bekannt, Djilas übte die gehörige Selbstkritik und ging durch die von ihm unbedachtsam gepredigte Mitte ab. Der arme Dedijer büßt schwer; seine Wähler fordern Aberkennung seines Abgeordnetenmandats. Eine Kopfwunde, die er im Partisanenkrieg erhielt,

macht ihn empfindlich, und so liegt er an den Folgen der überstandenen Aufregung schwerkrank darnieder. Im Lande regnet es Proteststürme ä la UdSSR. Und das wichtigste Wort in der Angelegenheit hat Tito bei der Diskussion vor dem Abschluß als Zwischenruf gesprochen: „Der Kl ssenkampf ist das Wichtigste“.

Der reine Marxismus-Leninismus trium- phiert. Lenins Todestag wurde zelebriert wie noch nie. In seiner Botschaft ans Parlament, das am 28. Jänner zu seiner ersten meritori- schen Tagung zusammenkam, lobt Tito die Besserung der Beziehungen zur UdSSR und zu den Satelliten. Moša Pijade ist an jenem Tag zum Nachfolger Djilas’ als Präsident der Ersten Kammer gewählt worden. Das bürgerliche, westliche Laster ist besiegt, und die reine kommunistische Tugend hat gesiegt…

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung