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Milovan Djilas rechnete mit Kommunismus ab
Es ist modern geworden, von Dissidenten im kommunistischen Lager zu sprechen. Rechtzeitig meldet sich jetzt ein Mann zu Wort, der für seine Kritik am Sozialismus weltweit berühmt und im eigenen Lande bestraft wurde, so daß man ihn getrost einen Klassiker unter den Kommunismus- kritikem nach dem Zweiten Weltkrieg nennen kann: Milovan Djilas. Was er in seiner „Neuen Klasse” für den Prozeß der Auflösung des Kommunismus, hervorgerufen durch kritiklose Selbstanbetung vorausgesagt hat, das scheint sich nun zu bewahrheiten. In der Londoner Zeitschrift „Survey” hat Djilas kürzlich mit vielen anderen Autoren auf die Frage nach dem zukünftigen Zusammenleben von Ost und West geantwortet und dabei sozusagen sein politisches Testament veröffentlicht: Die westliche Gesellschaft wird die östliche überleben, weil sie die größere Anpassungsfähigkeit besitzt und nicht vorgibt, ein Monopol zu verwalten. Den wahren sozialistischen Auffassungen ist, laut Djilas, der Westen heute dank seiner humanitären Qualitäten näher als der Osten.
Wir haben dem nichts hinzuzufügen. Einem gestandenen Marxisten fällt es nicht leicht, am Ende seines philosophischen Lebenswerkes dieses Resü- mėe zu ziehen. Es ist also kein Anlaß vorhanden, schadenfroh in den Ruf auszubrechen: das haben wir ja schon immer gesagt. Der Unterschied liegt in der Person und in der Örtlichkeit. Wer jahrelang Verantwortung in einem osteuropäischen Staat, in diesem Fall Jugoslawien, getragen hat und seither mindestens ebenso viele Jahre lang als bestgehaßter Intimfeind des Staatsführers Tito gilt, hat Anspruch auf Gehör. Wir hören also: Die Stärke des Kapitalismus ist nicht das Kapital, sondern der Verzicht auf jedwede Zwängerei. Diese Freiheit ist so stark und ansteckend, daß der Westen auf die von Kissinger hochgelobte Konvergenztheorie leichten Herzens verzichten kann.
Haben wir richtig verstanden, darin sind wir der Sorge ledig, der östlichen Ideologie eine Gegenideologie entgegensetzen zu müssen - wir bedürfen ihrer nicht, ja, müssen ihrer sogar ent- raten. Wahrheit, so Djilas, die sich selbst monopolisiert, wird bereits zur Unwahrheit. Wann werden wir diese Gelassenheit, die uns Djilas anrät, gewinnen?
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