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Bis sie die Nacht verschlingt

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Gerade als man sich in exklusivsten Führungskreisen des Parteibüros in Belgrad 1954 über den Fall des renitent gewordenen Apostels des Weltkommunismus, Milovan D j i 1 a s, erhitzte, dessen Ausfälle gegen die Mätressenwirtschaft im Partisanenstaat schon Wochen vorher die Spalten der Parteizeitung „Borba“ gefüllt hatten, erzählte ein Angestellter der englischen Botschaft in einem Kaffeehaus so beiläufig eine sensationelle Neuigkeit: Der Labour-Führer Bevan habe die englische Botschaft gebeten, zu erkunden, ob sein Besuch der Familie Djilas willkommen sei, denn er möchte gerne der bereits angekündigten Gerichtsverhandlung beiwohnen. Die Nachricht soll nicht Ohne 'Eindruck auf den großen Gegenspieler Djilas', den als dialektischen Systematiker gerühmten Slowenen Edvard Kardelj, geblieben sein und den Ausgang des Scherbengerichts — der Biograph Titos, Dedijer, .erhielt damals 18 Monate, Djilas dreieinhalb Jahre Gefängnis bedingt! — wesentlich mitbestimmt haben. Erst allmählich sprach es sich herum, daß die Parteibonzen einer grotesken Mystifikation zum Opfer gefallen waren. Ein gewisser Jovanovic, von dem man noch von früher her wußte, daß er Zugang zu englischen Kreisen hatte, steckte die Nachricht einem hohen WDBA-Beamten namens Radeta Prelovic, der mit der Weitergabe dieser Ente sozusagen seinen konspirativen Spürsinn dokumentieren wollte. Bevan blieb natürlich aus, aber Djilas kam glimpflich davon.

Das Ärgernis mit Djilas, dem nicht absolvierten montenegrinischen Jusstudenten, der aus ärmlichen Verhältnissen stammt und sich im Partisanenkrieg den Ruhm eines der tapfersten Guerillakämpfer holte, begann, als er den ehemaligen Generalstabschef und jetzigen Verkehrsminister Peko D a p C e v i C wegen seiner Orgien mit kleinen Revuestars bloßstellte. Das öffentliche Ärgernis, das dieser Sittenskandal in puritanischen Kommunistenkreisen erregte, zwang den gefürchteten Generalstabschef, sozusagen aus Staatsräson die adrette Vrsaljkov aus Despotovo in der Batschka “(früher Sentiwan), eine der Damen, mit denen er die Nachtlokale Belgrads zu bevölkern pflegte, zu ehelichen. Dem kleinen Revuestar, dessen künstlerische Qualitäten weniger aufgefallen waren, werden seither auch bescheidene Filmrollen zugedacht. Trotz Warnung ließ Djilas von seiner Politik der Nadelstiche nicht ab, und als er in einem Artikel die Frage aufwarf, ob denn ein Amtswalter in einem sozialistischen Gefüge so viel Geld rechtmäßig verdienen könne, daß er seiner Mätresse einen Brillantring für sechs Millionen Dinar kaufen kann, war das Maß voll. Der Vorsitzende der Nationalversammlung und das Mitglied des Zentralkomitees sollte sich zunächst in seiner Ortsgruppe in Belgrad-Altstadt verantworten und den Inquisitoren Milos Minie und Milovan B o j i C, zwei völlig unbedeutenden Parteimitgliedern, von denen der erste lediglich durch sein Mitwirken bei der Aburteilung des Tschetnik-Generals Draza MihajIoviC ein gewisses Profil hat, Rede und Antwort stehen. Seither gilt der Allgewaltige, dem Tito viele Jahre hindurch väterlich zugeneigt war. als gewöhnlicher Sterblicher: jedes Bezirksgericht könnte theoretisch gegen ihn ein Verfahren eröffnen.

Der zähe Montenegriner verschwand zwar aus dem öffentlichen Leben, blieb aber als geistiger Träger einer Art „dritten Kraft“ — neben Titoismus und Kominformismus — latent zugegen, um in den Monaten bis zur ungarischen Oktoberrevolution 1956 nochmals aufzuleuchten und auszustrahlen. Es ist keine Organisation da, die die Gleichgesinnten zusammenfaßt, aber eine Bewegung, der sich alle Avantgardisten zugehörig fühlen: der Journalist Grga Alt-m a n ebenso wie der Schriftsteller Branko Ö o p i c, hohe Offiziere ebenso wie Llniversi-tätsprofessoren und viele noch in ihren Aemtern sitzende Parteifunktionäre.

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Nach dem mißglückten Putsch in Ungarn wird Djilas vor Gericht gestellt und zu sieben Jahren Gefängnis abgeurteilt, die er in der Strafanstalt Syrmisch-Mitrowitz (Sremska Mitro-vica) gegenwärtig absitzt.

Von seiner ersten Frau, Mitra M i t r o v i C, die zeitweise Kulturminister der Bundesregierung war, geschieden, ist Djilas in zweiter Ehe mit einer Buchhalterin, die in einer Filiale der Nationalbank in Belgrad arbeitet, verheiratet. Aus dieser Ehe entstammt ein Kind. Es gilt in der Hauptstadt als öffentliches Geheimnis, daß. jeden Samstag nachmittag, 15 Uhr, ein Auto Frau Djilas abholt und nach Mitrowitz bringt — obwohl gewöhnlich Häftlinge nur einmal im Monat Besuche empfangen und monatlich nur je eine Karte schreiben dürfen. Außerdem muß überraschen, daß es Djilas immer wieder gelingt, Manuskripte ins Ausland zu schaffen. In den letzten Wochen hieß es auch, Djilas habe mehrwöchigen „Urlaub“ in seiner Villa bei Belgrad verbringen können. Anderseits spricht das Volk immer wieder von „djilasistischen Abweichungen von der Parteilinie“, wenn man von diversen Maßregelungen erfährt, ob diese die Belgrader Fußballspieler von internationalem Ruf Z e b e c und C o k i c oder die arrivierten kommunistischen Schriftsteller Oskar D a v i C o, Vasko P o p a, Miodrag P a v 1 o v i C und Antonie I s a k o v i C treffen, die kürzlich überraschend von der Delegiertenliste zum 5. jugoslawischen Schriftstellerkongreß gestrichen wurden.

Der Fall Djilas ist ein Mosaik aus dem bunt schillernden Bilderbogen blutiger Machtkämpfe der Diadochen, die sich seit dem ersten Bruch Titos mit dem Kominform 1948 zunehmend im Untergrund abspielen. Unter den ersten Abtrünnigen, die nach Rumänien hinüberwechselten, um interventionistische Gruppen gegen das Tito-Regime zu organisieren, befand sich der hochverdiente Partisanenoberstleutnant Mile K o r a C, genannt „Bukala“, der über das Kastell des ehemaligen Hitler-Emissärs von Neuhausen in JaksiCevo, hart an der Banater rumänischen Grenze, ein Verbindungsnetz aufbaute und auch die Flucht des Generals Arsa Jovanovic vorbereitete, der allerdings bei Werschetz-Vatin von Grenzjägern erschossen wurde. Bei ihm fand sich wichtiges Material, das Tito in die Lage versetzte, dieses illegale Verbindungsnetz radikal zu zerschlagen. Das ehemalige Von-Neu-hausen-Kastell, das lange Jahre als Kaserne des gemischten russisch - rumänisch - jugoslawischen Grenzstabes diente, wurde zum Mittelpunkt eines Staatsgutes, dem auch die beträchtlichen Besitzungen des seiherzeitigkn Sejovicz-Gutes zugeschlagen wurden.

In diese Zeit fällt auch die Liquidierung des kroatischen Kommunistenführers Andrija H e-b r a n g. Einer deutschstämmigen schwäbischen Familie aus dem Gebiet der seinerzeitigen k. u. k. Militärgrenze entstammend, von Beruf

Glasermeister, gehörte Hebrang zu den Säulen der illegalen Partei in Jugoslawien und war nach 1945 zeitweise Wirtschaftsminister in der Bundesregierung. Nach einer Deutung soll Tito der kroatische Separatismus Hebrangs mißfallen haben, nach der anderen gehörte Hebrang zu den wenigen Eingeweihten, die über Titos Herkunft Authentisches wußten.

Wie erinnerlich, ist seit Jahren die Frage der Abstammung Titos eines der beliebtesten Rätselspiele in der Weltpresse und in verschiedenen Memoirenwerken. Unter . den etwa eineinhalb Dutzend Deutungsversuchen — nach einem ist der Marschall Sohn eines jüdischen Händlers in der Ukraine, nach dem anderen sogar Baltendeutscher.' — fehlt es nicht an phantastischen Versionen.

1948 verhaftet, wurde Hebrang vor Gericht gestellt und u. a. auch der Zusammenarbeit mit dem Okkupator, namentlich auch mit Ljubo Milos, beschuldigt, der während 1941 bis 1944 in Kroatien immer wieder im Zusammenhang mit den Serben- und judenfeindlichen Maßnahmen genannt wurde. Aber Milos selbst, der unter der Vorspiegelung eines Generalansturms der sich in den Wäldern behauptenden „Krizari“ mit vielen anderen nach Jugoslawien in eine Falle gelockt und vor Gericht gestellt wurde, konnte über diese konspirative Tätigkeit Hebrangs nichts aussagen. Da man nach westlicher Rechtsauffassung Hebrang zumindest mangels an Beweisen hätte freisprechen müssen, blieb nichts anderes übrig, als ihn 1949 Selbstmord durch Erhängen in seiner Zelle begehen zu lassen.

Dutzende ehemals hochverdienter Altkommunisten und Partisanenführer hat seither die „Nacht verschluckt“, wie es die Serben bildlich zu umschreiben pflegen („progutala ih noc...“), ohne daß man dahinter eine bestimmte Gesetzmäßigkeit erkennen könnte. Merkwürdig auch, daß fast alle Höchstrichter bei den Volksgerichten, die tausende Bluturteile nach 1945 fällten, von der Bildfläche verschwanden und — sofern sie nicht als Kominformisten oder Saboteure entweder liquidiert wurden oder in Gefängnissen sitzen — bestenfalls als kleine Beamte vegetieren. So der gefürchtete Slavko Kuzmanovic, der u. a. die an Jugoslawien ausgelieferten ungarischen Generale Szombat-helyi und Feketehalmi-Zeidner aburteilte und nach einem kurzen Intermezzo als Botschafter in Warschau heute ein kümmerliches Dasein als Nummer X in einem Belgrader Staatsbetrieb fristet.

So ist der große Unbekannte „Djilas“ zum Sammelbecken vieler Enttäuschten und Unzufriedenen geworden: ehemaliger Salonbolschewiken, verdienter Partisanenführer, auch einer breiten Schicht jener „Nationalen“, die immer noch anglophil waren und von Djilas eine Transplantation des englischen Labourismus nach Jugoslawien erwarten.

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