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120 Seiten für die Stunde Null

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Die beiden eleganten Herren wiesen auf dem Moskauer Flughafen sowjetische Fremdenpässe und Flugtickets nach Kathmandu, Nepal, vor, en route über Paris selbstverständlich. Einwandfreie Papiere, dazu ein Aviso des Komitees für Staatssicherheit KGB ließen das Mißtrauen der Grenzbeamten schnell schwinden. Tatsächlich hatten Milets Perovdc und Professor Bogdan Jovovicü, zwei Montenegriner mit ständigem Wohnsitz in Kiew, diesen ungewöhnlichen Weg gewählt, um unauffällig in das Zentrum der antikommunistischen jugoslawischen Emigration, Paris, zu gelangen. Einen Visumantrag hatte die französische Botschaft in Moskau zuvor schlichtweg abgelehnt. Ähnlich wie Perovic und Jovocic sind im Laufe des letzten Jahres Dutzende prosowjetischer Agitatoren aus ihrem bisherigen Exil in Kiew, Prag und Budapest in westeuropäische Hauptstädte abgereist, wo sie seither, materiell wohlversorgt vom KGB, auf ihren Einsatz in der „Stunde Null“ warten.

Ihre Ziele, die sie in einem 120-Seaten-Dokument niedergelegt haben, sind kurz umrissen folgende: Absetzung Titos, Restauration des sowjetfreundlichen Kommunismus in Jugoslawien und sowjetische Kontrolle über das Land. Das Programm ist eine Kriegserklärung an Marschall Tito und erklärt auch die Härte, mit der seit einigen Monaten in Belgrad gegen „Stalinisten“, „Nationalisten“ und „Kominformi-sten“ vorgegangen wird.

Die neue Kommunistische Partei ist laut eigener Aussage „wie ein Phönix aus der Asche“ des Kon-greses von Bar hervorgegangen. In diesem Städtchen an der Adria hatten die „Neuen Kommunisten“ 1974 ihren ersten, geheimen Parteitag abgehalten. Titos Staatssicherheitsdienst UDBA hatte wenig später davon Wind bekommen, und hunderte Teilnehmer und Sympathisanten verhaften lassen. Sie sind es, die sich nun vor den Gerichten in Belgrad, Novi Sad, Banja Luka und Sarajevo verantworten mußten und im Schnitt mit bis zu 15 Jahren Kerker bestraft wurden.

Die prominentesten Abgeurteilten sind der ehemalige Chefredakteur der jugoslawischen Nachrichtenagentur Tanjug, Milivoje Stefano-vic. Er lebte seit 1956, als Chruschtschow in Belgrad die Freilassung aller prosowjetischen Häftlinge als eine der Gegenleistungen für die von ihm angebotene Entspannung durchgesetzt hatte, als Pensionär in Belgrad. Dann der frühere stellvertretende Ministerpräsident der Republik Kroatien, Dusan Brkic und sein Freund Radovan Zigic. Die beiden Letztgenannten erhielten je acht Jahre Zuchthaus, Stefanovic zehn Jahre aufgebrummt.

Seit Monaten vergeht kaum ein Tag, an dem nicht von mindestens einem solchen Fall die Rede wäre. Allein an einem Tag berichten Jugoslawiens Zeitungen manchmal von drei Urteilen in politischen Prozessen. Im Gegensatz zu dem angekündigten Großreinemachen unter Altstalinisten, Kominform-Verschwörern, und irredentischen Nationalisten (auch das gibt es, vor allem in der überwiegend von Albanern bewohnten autonomen Region Kosovo) finden diese Prozesse allerdings hinter

verschlossenen Türen statt. Dies läßt zwei Schlüsse zu:

• Jugoslawien scheint nicht daran interessiert zu sein, durch zu große Publicity das bilaterale Klima mit der Sowjetunion zu verschlechtern und

• ist offenbar nicht gewillt, der quantitativ kleinen, aber qualitativ dennoch gefährlichen Stalinisten-gruppe Gerichtssäle als Propagandaplattform zur Verfügung zu stellen. Tatsächlich enthält das Programm der Kominformisten Punkte, über die nach Ansicht des offiziellen Jugoslawien nicht einmal eine Diskussion zulässig ist. Hier einige Zitate: „Tito hat einen Staatsstreich unternommen, der den Weg zu konterrevolutionärem Terror öffnete, und ein Regime der persönlichen Diktatur etablierte. Mehr als 200.000 Parteimitglieder, meist langjährige Kommunisten, wurden aus der Partei ausgestoßen und eingesperrt.*

„Der Bund der Kommunisten Jugoslawiens des Marschall Tito ist im Prinzip wie eine faschistische Partei organisiert.“ Kritisiert wird auch die Machtfülle Titos, „der niemandem gegenüber verantwortlich ist, gewählt auf Lebenszeit und kein Mitglied irgendeiner Organisation oder eines politischen Gremiums“. Laut Kominformisten-Programm hat das Tito-Regime im ganzen Land Konzentrationslager errichtet, zum Teil mit Hilfe ehemaliger SS- und Gestapo-Instrukteure, in denen „zehn-tausende der besten Söhne und Töchter Jugoslawiens umgekommen Sind“. Anderseits gibt das Programm zu, es sei nicht nötig oder möglich, Tito mit Gewalt abzusetzen. „Aber das hängt von den Absichten der jugoslawischen Armee und Polizei ab ... es wird aber ebenso von der Unterstützung der Bevölkerung abhängen.“ Gesucht wird auch die Mitarbeit anderer gesellschaftlicher Formationen, die gegen Tito sind. Dafür sieht das Aktionsprogramm der „KPJ“ unter anderem vor:

1. Formierung einer vereinten Front aller sozialistischen und demokratischen Parteien und Gruppen gegen Tito.

2. Errichtung einer provisorischen Regierung all dieser Parteien.

3. Ausschaltung der Geheimpolizei und der Abwehrorganisationen in Armee und Miliz; gleichzeitige Schließung aller Konzentrationslager und politischen Gefängnisse.

4. Abschaffung des kollektiven Präsidiums, Entfernung Titos von allen Funktionen und Beschlagnahme des von ihm „illegal erworbenen Eigentums“.

5. Verstaatlichung der Produktionsmittel.

6. Neuwahlen innerhalb von zwölf Monaten

7. Jugoslawien muß den Balkan-Pakt verlassen — „der ein Teil der NATO ist“. Alle Verträge mit westlichen Ländern sind für nichtig zu erklären.

Abgesehen von den wütenden Attacken, die Tito mehrmals mit dem „Führer Adolf Hitler“ gleichsetzen, enthält es in seinen Grundzügen die gleichen Ansätze, die im Jahre 1968 eine kleine Gruppe sowjetfreundlicher Politiker in der CSSR verwendeten, um „brüderliche Hilfe“ aus Moskau anzufordern.

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