Die Existenz einer „Neuen Linken“ in Ungarn ist unbestritten. Was aber Kädär, Nemeth und einige westliche Beobachter der Budapester Szene darunter verstehen — oder besser gesagt, bisher darunter verstanden haben, war der Kreis um den marxistischen Philosophen György Lukacs, die sogenannte „Budapester Schule“. Gibt es sie noch?
Einen Vorgeschmack der Ereignisse des Parteitages der KPTsch lieferte Gustav Husäk schon Ende März 1976. Demonstrativ blieb er dem Parteitag der slowakischen KP fern, entschuldigte sich wegen Grippe und ging dennoch ungerührt seinen Amtsgeschäften in Prag nach. Unter anderem empfing er den japanischen Botschafter zu Konsultationen. Der slowakische Parteiführer Jozef Lennart reagierte entsprechend sauer. Während des Hauptreferates vor dem Plenum ritt er keinen der gegenwärtig so beliebten Angriffe auf „Oppositionelle“ und „Dubcekisten“ und brach zwei Tage später — einen Tag
Die beiden eleganten Herren wiesen auf dem Moskauer Flughafen sowjetische Fremdenpässe und Flugtickets nach Kathmandu, Nepal, vor, en route über Paris selbstverständlich. Einwandfreie Papiere, dazu ein Aviso des Komitees für Staatssicherheit KGB ließen das Mißtrauen der Grenzbeamten schnell schwinden. Tatsächlich hatten Milets Perovdc und Professor Bogdan Jovovicü, zwei Montenegriner mit ständigem Wohnsitz in Kiew, diesen ungewöhnlichen Weg gewählt, um unauffällig in das Zentrum der antikommunistischen jugoslawischen Emigration, Paris, zu gelangen. Einen Visumantrag hatte die
Die beiden Herren an der Ecke Vinohradskä-Balbinovä geben bereitwillig Auskunft: Es sei bestimmt sehr schade, daß jetzt so viele Häuser rundum das Museum der Spitzhacke zum Opfer fielen; abfer wo gehobelt wird, da fallen eben Späne. Aber sie hätten es ohnedies nicht gekannt, wie es früher war. Erst ein, halbes Jähjr. sind sie. im Land und, na ja, der Kontakt mit der Bevölkerung eben ein wenig schwierig. iÜbefflüssig, zu sagen, daß diese ZufaUsunterhaltung russisch geführt wurde, in einer Sprache, der man heute in Prag eben viel öfter begegnet lals früher. Auch im neuen Kaufhaus am .Wenzelsplatz, das von einer schwedischen Firma errichtet wurde (wie junge Leute mit einer Mischung aus Stolz und Wehmut gerne jedem erzählen), sieht man zahlreiche Exponenten des selbsternannten neuen Bruder-volkes.
Wäre er nicht seinem Glauben treu geblieben — oder wie er es ausdrückt, hätte er einen Klerikalismus gegen den anderen tauschen wollen —, wäre der Mann, der mir an einem heißen Sommervormittag hoch über den verkarsteten Hügeln der Adria-Insel Lozinj gegenübersaß und charmant bei türkischem Kaffee plauderte, heute vielleicht zweiter oder dritter Mann Jugoslawiens. So wie sein ehemaliger Freund und jetziger Hauptgegner, der Chefideologe Edward Kardelj, mit dem er nur noch den Vornamen gemein hat und die Tatsache, daß auch er Slowene ist: Edward Kocbek, Jahrgang 1904, früher Professor in Ljubljaria (für Philosophie), Mitglied der akademischen slowenischen Kreuzbewegung, vor dem Zweiten Weltkrieg Führer der christlich-sozialen Intelligenz Sloweniens. 1941: Partisan, Vizepräsident der slowenischen Befreiungsfront und später der jugoslawischen Partisanenregierung, 1945 Kultusminister in Belgrad, 1946 Vizepräsident des Präsidiums der Republik Slowenien, dann Dichter mit Publizierung^sverbot von 1952 bis 1962, seit einigen Monaten wieder im Kreuzfeuer des offiziellen Jugoslawien: „Weißgardist“, »Verräter“ sind einige der Prädikate, mit denen die staatlich gesteuerte Presse den Siebzigjährigen gebrandmarkt hat, in einer Weise, die Heinrich Boll vor kurzem einen politischen Prozeß fürchten und' gleichzeitig gegen diese Absicht protestieren ließ.
Dem tschechoslowakischen Fernsehen war sein Aufstieg 1 am 24. Juni 1975 nur einen Satz im Meldungsblock wert: „Viliam Salgovic wurde vom ZK der Slowakischen KP aufgenommen und in das Parteipräsidium kooptiert.“ Einige Tage zuvor war er in die slowakische Nationalversammlung gewählt worden. In beiden Positionen folgt er ganz offensichtlich dem am 26. März dieses Jahres verstorbenen Ondrej Klokoc, der Präsidiumsmitglied und Präsident der Nationalversammlung gewesen ist. Sollte Salgovic auch diesen Posten bekommen, dann hätte das KlokoC-Nachfolgespiel in der Slowakei ein rasches Ende.
Der „neue Mensch“ im sozialistischen Staatsgefüge kennt offiziell keinen Makel. Da die „Grundlage“ für das Verbrechen fehlt, nämlich die „verderbte, profitgierige Unmoral des Kapitalismus“, kann gar nicht seih, Was nicht sein darf. Östliche Massenmedien erwähnen niemals das Freiwerden echter krimineller Energie, in welcher Form das auch immer geschieht.Vor dem feudalen Landhaus stand ein Dutzend frischpolierter Limousinen, meistens Wolga, aber auch Mercedes und ein neuer Chevrolet. Weißbeschürzte Dienstmädchen servierten den Morgenkaffee „Made in Brazil“, während die
Er ist ein Realist oder wie Ota Sik ihn charakterisierte, Realpolitiker und Opportunist zugleich: Gustav Husäk, nach außen hin seit einigen Wochen der angeblich starke Mann der Tschechoslowakei. Es wäre eine Mißdeutung der Situation, wenn man annähme, die Ämieikumulierung Parteichef plus Staatsoberhaupt habe in unserem Nachbarland einen neuen Ceausescu oder Schiwkoff entstehen lassen. Husäks Aufstieg ist Teil eines Versuchs, vorderhand noch mit Billigung Moskaus oder besser gesagt Leonid Breschnjews, die Stalinisten Bilak, Indra und Hoffmann von den Fleischtöpfen der Macht fernzuhalten. Sie passen momentan eben nicht in das Moskauer Entspannungskonzept.
Wirtschaftliche und innen- wie außenpolitische Unsicherheit haben die Position des rumänischen Staats- und Parteichefs Nicolae Ceausescu erschüttert. Konfrontiert mit einer wachsenden Opposition sowohl im engeren Führungskreis als auch in der Bevölkerung, hat er umfangreiche Säuberungen an der Partei- und Staatsspitze begonnen. Diplomatische Kreise in Bukarest werten diese Maßnahmen als Flucht nach vorne eines resignierenden, weil von seinen Aufgaben überforderten Mannes. Jetzt zeigt sich auch die Achillesferse von Ceausescus bisher unumschränkter Einpersonenherrschaft. Ein profilierter Nachfolger für den „Allmächtigen“ ist nirgends in Sicht.
Ein Jahr früher als geplant, beginnt sich das Preiskarussell in den Handelsbeziehungen zwischen den COMECON-Staaten zu drehen. Auslosender Faktor ist die Erhöhung des Rohölpreises durch die Sowjetunion von 15 auf 38 Rubel für die Tonne. Wenn man vom Abnahmevolumen des Jahres 1973 ausgeht, wird diese Preiserhöhung die östlichen Abnehmer von Sowjetöl mit zusätzlich insgesamt drei Milliarden Rubel allein in diesem Jahr belasten. Die vielgepriesene Preisstabilität der Planwirtschaft ist damit endgültig ins Reich der Illusionen verwiesen. Klar, daß sich das Handelsbilanzdefizit der rohstoffarmen Satellitenstaaten zugunsten der Sowjetunion verschiebt.
Ohne Paprika, aber von bezeichnenden personellen Änderungen in der Parteiführung gekennzeichnet, ging der XI. Kongreß der KP Ungarns über die Bühne. Jänos Kädär, der seit 19 Jahren an der Spitze des Apparates steht, wurde wiedergewählt. Die Grundlinie der bisherigen Politik wird daher beibehalten, wie Kädar selbst in seinem Schlußwort betont hat.Prominentestes „Opfer“ des Parteitages ist zweifellos Rezsö Nyers, dessen Name untrennbar mit der ungarischen Wirtschaftsreform verbunden ist. Er schied aus dem Politbüro aus, nachdem er schon vor einem Jähr seiner Funktion als Parteisekretär verlustig gegangen war. Beobachter in Budapest werteten seine Ablösung als „Gunstbezeigung“ gegenüber dem Parteitagsbesucher Leonid Breschnjew, dem der allzu liberale „Gulaschkommunismus“ zweifellos ein Dorn im Auge ist.
Präsident Tito hat ein neues Machtinstrument geschaffen, genannt „Komitee zur Verteidigung der verfassungsmäßigen Ordnung“. Es besteht aus acht Mitgliedern, aus zwei Kroaten, zwei Serben, einem Mazedonier, einem Slowenen und einem Moslem. Vorsitzender ist Vladimir Bakaric, ein Kroate. Seine Bestellung erfolgte überraschend für die politische Szene in Belgrad, denn bisher war er als Sicherheitsfachmann niemals in Erscheinung getreten. Eine andere Überraschung ist die Tatsache, daß diesem Komitee kein Vertreter der albanischen Volksgruppe angehört. Vieles deutet darauf hin, daß
Auf je 100 Jugoslawen, die in ihrer eigenen Heimat beschäftigt sind, kommen je 25 Gastarbeiter jenseits der Grenzen und weitere acht in Jugoslawien registrierte Arbeitslose. Tatsache ist, daß eine plötzliche Rückkehr aller Gastarbeiter aus dem Westen die jugoslawische Arbeitslosenrate, die heute schon bei etwa neun Prozent liegt, mit einem Schlag auf mehr als 35 Prozent anwachsen ließe. Rund 500.000 Jugoslawen sind während der letzten Weihnachtsfeiertage in ihre Heimat gereist, um sich nach neuen Arbeitsplätzen zu erkundigen, die ihnen laut jLa neuer Verfassung sogar von Rechts wegen garantiert sind. Manchenorts bot man ihnen wirklich Arbeitsplätze an. Allerdings nur gegen Barzahlung in Devisen: zwischen 8000 und 25.000 Franken. Im Vorjahr sind insgesamt 80.000 Gastarbeiter nach Jugoslawien zurückgekehrt. Die Hälfte von ihnen fand vornehmlich in der Landwirtschaft Verwendung, zumeist als Bauern auf eigenen kleinen Höfen, die sie sich von ihren Ersparnissen gekauft hatten. Der Rest gliederte sich dem Heer der (offiziell) 500.000 Arbeitslosen an.