6835303-1975_11_07.jpg
Digital In Arbeit

Geld für Arzano

19451960198020002020

Auf je 100 Jugoslawen, die in ihrer eigenen Heimat beschäftigt sind, kommen je 25 Gastarbeiter jenseits der Grenzen und weitere acht in Jugoslawien registrierte Arbeitslose. Tatsache ist, daß eine plötzliche Rückkehr aller Gastarbeiter aus dem Westen die jugoslawische Arbeitslosenrate, die heute schon bei etwa neun Prozent liegt, mit einem Schlag auf mehr als 35 Prozent anwachsen ließe. Rund 500.000 Jugoslawen sind während der letzten Weihnachtsfeiertage in ihre Heimat gereist, um sich nach neuen Arbeitsplätzen zu erkundigen, die ihnen laut jLa neuer Verfassung sogar von Rechts wegen garantiert sind. Manchenorts bot man ihnen wirklich Arbeitsplätze an. Allerdings nur gegen Barzahlung in Devisen: zwischen 8000 und 25.000 Franken. Im Vorjahr sind insgesamt 80.000 Gastarbeiter nach Jugoslawien zurückgekehrt. Die Hälfte von ihnen fand vornehmlich in der Landwirtschaft Verwendung, zumeist als Bauern auf eigenen kleinen Höfen, die sie sich von ihren Ersparnissen gekauft hatten. Der Rest gliederte sich dem Heer der (offiziell) 500.000 Arbeitslosen an.

19451960198020002020

Auf je 100 Jugoslawen, die in ihrer eigenen Heimat beschäftigt sind, kommen je 25 Gastarbeiter jenseits der Grenzen und weitere acht in Jugoslawien registrierte Arbeitslose. Tatsache ist, daß eine plötzliche Rückkehr aller Gastarbeiter aus dem Westen die jugoslawische Arbeitslosenrate, die heute schon bei etwa neun Prozent liegt, mit einem Schlag auf mehr als 35 Prozent anwachsen ließe. Rund 500.000 Jugoslawen sind während der letzten Weihnachtsfeiertage in ihre Heimat gereist, um sich nach neuen Arbeitsplätzen zu erkundigen, die ihnen laut jLa neuer Verfassung sogar von Rechts wegen garantiert sind. Manchenorts bot man ihnen wirklich Arbeitsplätze an. Allerdings nur gegen Barzahlung in Devisen: zwischen 8000 und 25.000 Franken. Im Vorjahr sind insgesamt 80.000 Gastarbeiter nach Jugoslawien zurückgekehrt. Die Hälfte von ihnen fand vornehmlich in der Landwirtschaft Verwendung, zumeist als Bauern auf eigenen kleinen Höfen, die sie sich von ihren Ersparnissen gekauft hatten. Der Rest gliederte sich dem Heer der (offiziell) 500.000 Arbeitslosen an.

Werbung
Werbung
Werbung

Es gibt noch ein zweites Modell, das Titos Manager für eine Patentlösung halten: Gastarbeiter schließen sich zusammen und gründen einen Produktionsbetrieb auf genossenschaftlicher Basis. Schon früher haben jugoslawische Firmen Kredite von Landsleuten aufgenommen, die sich ihr Brot in Deutschland, Österreich und der Schweiz verdienen. Man gewährte ihnen attraktive Zinssätze. Drei Fabriken arbeiten bereits seit längerer Zeit nach dem Genossenschaftsmodell. Sie befinden sich alle in Südkroatien.

Das Dorf Arzano, unweit von Split, war der Schauplatz des ersten Experiments. Arzano liegt inmitten eines Notstandsgebietes, von wo aus schon seit mehr als 50 Jahren die arbeitsfähigen Männer in andere Landesteile oder ins Ausland zum Geldverdienen fuhren. Langsam, aber unaufhaltsam starb das Dorf aus. Um diesen Negativtrend umzukehren, ermutigten die lokalen Behörden Gastarbeiter zur Rückkehr. Dabei ging man von der Annahme aus, daß die meisten Gastarbeiter kein echtes Interesse daran haben, sich in ihren Gastländern tatsächlich anzusiedeln.

1970 trat der Arbeiterrat der Pio-nirka-Textilfabrik von Arzano an Gastarbeiterfamilien in Westdeutschland heran und unterbreitete ihnen folgendes Angebot: Wir errichten in eurem Heimatdorf eine zusätzlicheProduktionsanlage.

Wenn ihr uns dafür Kredit gewährt, garantieren wir Arbeit für je ein Familienmitglied. Die Antworten kamen spontan und — positiv: Innerhalb weniger Wochen brachten 1000 in der BRD beschäftigte Gastarbeiter rund 200.000 DM auf und stellten sie der Werksleitung zur Verfügung. Die Kapazität der Fabrik wurde erhöht, hundert neue Arbeitsplätze geschaffen, darüber hinaus versprach das Werk, das Geld inklusive banküblicher Zinsen zurückzuzahlen.

Das Beispiel Arzano machte schnell Schule. Zwei neue Fabriken der Pionirka-Gruppe wurden in Cista-provo und Ciäta-velika eröffnet. So entstanden zusätzlich 500 neue Arbeitsplätze. Bei der Finanzierung ging man diesmal einen anderen Weg: Statt direkt zu investieren, hinterlegte jede Familie 6000 Mark bei der Kreditbank in Zagreb. Das Geld war auf sechs Jahre gebunden. Auf Grund dieser Sicherheit gewährt die Bank dem Unternehmen einen langfristigen Investitionskredit. Mit diesem System traf man zwei Fliegen mit einem Schlag: Die Investoren haben nicht nur die Garantie, daß eines ihrer Familienmitglieder Beschäftigung findet, sie erhalten auch nach Ablauf der Sperrfrist ihr Geld samt Zinsen — also etwa neuntausend Mark nach den heute üblichen .^Margen — zurück. Auf dieser Basis schuf Pionirka im Vorjahr 1100 neue Arbeitsplätze und erhöhte die Produktion beträchtlich.

Eine Reihe von Dörfern im Gebiet von Imotski schloß sich nach Pio-nirka-Vorbild zusammen und ging an die Errichtung einer Schraubenfabrik. Die dafür veranschlagte Investitionssumme von drei Millionen Mark wird bei der Bank von Sarajewo hinterlegt, die ihrerseits dafür die Errichtung der Fabrik und die anfänglichen Produktionskosten vorfinanziert. Ebenso wie im Arzano-Modell werden die Investoren ihr Geld nach sechs Jahren inklusive Zinsen zurückerhalten.

Man rechnet in Belgrad damit, daß schon demnächst mit dem Bau der Schraubenfabrik begonnen werden kann, denn die Gastarbeiter haben bereits eine Million Mark hinterlegt und eine weitere Million zugesagt. Die Zagreber Zeitung „Vjesnik“ meldete am 31. August 1974, die in der BRD beschäftigten Arbeiter aus der Region ImotSki hätten insgesamt fünf Millionen Franken für die industrielle Expansion ihrer Heimat zur Verfügung gestellt.

Während der Weihnachts- und Neu Jahrsfeiertage kam es in zahlreichen Gemeinden Kroatiens zu sehr intensiven Kontaktgesprächen zwischen örtlichen Industriemanagern und heimkehrwilligen Gastarbeitern. Die ersten Erfolge zeichnen sich schon ab: Im nordkroatischen Djakovo kam die Holzfabrik Jasen mit 30 Gastarbeitern überein, eine neue Produktionsanlage zu errichten. Jeder der Gesellschafter hat 10.000 Mark zu banküblichen Konditionen auf sechs Jahre zu hinterlegen. In Krün, Dalmatien, beschloß die Gipsodekor-Fabrik, in einer eigenen Halle Gartengrillgeräte zu erzeugen. Man erwartet 150 neue Arbeitsplätze. Die Bedingungen: Jeder Investor hinterlegt 10.000 Mark, allerdings nur für anderthalb Jahre.

In Vrgorac, einem ebenfalls dalmatinischen Dorf, verhandelt man über die Aufnahme eines Gastarbeiterkredits in der Höhe von zwei Millionen Mark, der direkt dem Gemeinderat zur Verfügung gestellt werden soll. Ähnliche Verhandlungen gab es in Slavonski-Brod und Garesnica (Nordkroatien), in Delnice (Westkroatien) und auf der Insel Brac.

Welche Priorität das Tito-Regime dieser Frage beimißt, geht nicht zuletzt auch aus dem propagandistischen Trommelfeuer in Richtung Gastarbeiter hervor. Sie stellen nicht nur eine finanzielle, sondern unter ■ Umständen auch eine politische Größe dar. Den letzten verfügbaren Daten zufolge lebt rund eine Million Jugoslawen im Ausland, davon allein 708.000 in der BRD (Jugoslawien hat rund 22 Millionen Einwohner).

So einleuchtend und logisch die Investment-Experimente auf den ersten Blick zu sein scheinen, so viele ungelöste Probleme bergen sie in sich. Da ist zum ersten die mangelnde geschäftliche Erfahrung des jugoslawischen Managements, daneben die verwaltungstechnischen Schwierigkeiten einer kommunistischen Bürokratie. Die jugoslawische Presse wird nicht müde, immer wieder aufzuzeigen, wie der Amtsschimmel Privatinitiativen zu Tode reitet.

„Vjesnik“ (Zagreb) hat eine Umfrage unter Gastarbeitern gemacht und dabei sehr oft die verbitterte Antwort bekommen: Weshalb ergreift unsere Gemeinde nicht ähnliche Maßnahmen wie die Leute in Imotski? Der „Vjesnik“-Reporter kam zu dem Schluß, daß es viel mehr an Investitionen und Rückkehr interessierte Gastarbeiter gäbe, als Anlagemöglichkeiten bestehen.

Anderseits haben die Experimente in Arzano, Cista-provo und Ciäta-velika deutlich gemacht, daß ein Selbstfinanzierungsmodell durchaus funktioniert. Was der Staat dafür tun kann, liegt ebenfalls klar auf der Hand: Erleichterung der Devisentransaktionen, Steuererleichterungen, Gratisgrundstücke und so fort. Eine Erweiterung der industriellen Kapazitäten bedingt aber auch den optimistischen Glauben an das Vorhandensein von Absatzmärkten, was angesichts der weltweiten Rezession mehr als problematisch erscheint.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung