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Wir riefen Arbeiter - Menschen kamen
Jedesmal, wenn ich mich für die Gastarbeiter engagiere - alle ausländischen Arbeitnehmer sind Mitgliederder Arbeiterkammer und haben einen Anspruch, von ihr vertreten zu werden -, erhalte ich Briefe und Anrufe mit Vorwürfen. Trotzdem erachte ich es als wichtig, für Gerechtigkeit und Menschlichkeit für die Gastarbeiter und ihre Angehörigen einzutreten. Wenn wir sie nicht in eine Verbitterung treiben wollen, aus der vielleicht auch einmal A uflehnung werden • könnte, müssen wie uns mit ihnen zusammen bemühen, ihre Probleme menschlich zu lösen.
Jedesmal, wenn ich mich für die Gastarbeiter engagiere - alle ausländischen Arbeitnehmer sind Mitgliederder Arbeiterkammer und haben einen Anspruch, von ihr vertreten zu werden -, erhalte ich Briefe und Anrufe mit Vorwürfen. Trotzdem erachte ich es als wichtig, für Gerechtigkeit und Menschlichkeit für die Gastarbeiter und ihre Angehörigen einzutreten. Wenn wir sie nicht in eine Verbitterung treiben wollen, aus der vielleicht auch einmal A uflehnung werden • könnte, müssen wie uns mit ihnen zusammen bemühen, ihre Probleme menschlich zu lösen.
Aus jüngst veröffentlichten Zahlen des Sozialministeriums geht hervor, daß im österreichischen Durchschnitt 6,3 Prozent aller Beschäftigten Gastarbeiter sind. In Vorarlberg sind es knapp 18 Prozent. Bei einer kürzlich von einem Vorarlberger Unternehmen durchgeführten Ehrung von langjährigen Mitarbeitern wurden 83 Beschäftigte für zehnjährige Betriebszugehörigkeit geehrt. 52 davon waren Gastarbeiter!
Aus diesen Beispielen wird deutlich, daß Vorarlberg überdurchschnittlich viele Gastarbeiter hat und sehr viele Gastarbeiter schon sehr lange im Lande sind. In vielen Fällen trifft die Bezeichnung „Gastarbeiter“ nicht mehr auf die Realität zu. Während ein Wesensmerkmal des wirklichen „Gast“-arbeiters die begrenzte Aufenthaltsdauer im Lande ist, beabsichtigen sehr viele dieser Arbeitnehmer, nicht mehr in ihre Herkunftsländer zurückzukehren.
Vielfach ist es Ihnen, wenn die Eltern auch zurückkehren wollten, wegen ih
rer Kinder, besonders wenn diese schon älter sind, gar nicht mehr möglich. Die Kinder sprechen besser Deutsch als Türkisch oder Jugoslawisch und lehnen es ab, den zur Selbstverständlichkeit gewordenen höheren Lebensstandard mit dem teilweise deutlich niedrigeren des Heimatlandes ihrer Eltern zu vertauschen. Zudem haben sie vielfach etliche Schuljahre, nicht selten die gesetzlich vorgeschriebene Schulpflicht von neun Jahren zur Gänze hier absolviert.
Auch die politische Situation bildet speziell bei den türkischen Gastarbeitern einen Grund, daß die früher meist vorhandene Absicht, zurückzukehren, vorerst nicht mehr verfolgt wird. Je länger aber Gastarbeiter hier sind, um so mehr neigen sie erfahrungsgemäß dazu, für immer hier zu bleiben.
Damit sind aber die Probleme, die die Gastarbeiterbeschäftigung mit sich bringt, nicht nur um vieles größer geworden, sondern haben sich auch ganz neue Probleme ergeben. Fast bin ich versucht zu sagen, die Probleme sind
uns, ohne daß von einem Verschulden oder Versäumnis einer Seite gesprochen werden könnte, über den Kopf gewachsen.
Es sind vor allem Angehörige zweier Nationen, die den Großteil der Gastarbeiter stellen: Jugoslawen und Türken. Dabei muß nicht nur die Zahl der Arbeitskräfte aus diesen Ländern berücksichtigt werden, sondern auch die ihrer Angehörigen. Ende September 1980ar- beiteten in Vorarlberg 9.570 jugoslawische Staatsangehörige, insgesamt aber waren 13.997 im Lande. Bei den Türken betrug die Zahl der im Arbeitsprozeß Stehenden 7.925, der im Lande lebenden türkischen Staatsangehörigen aber 14.223. Somit beträgt also der Koeffizient Arbeitnehmer zu Gesamtzahl der Staatsangehörigen bei den Jugoslawen 1,4, bei den Türken 1,9. Die türkischen Gastarbeiter haben wesentlich mehr Familienangehörige, die nicht im Arbeitsprozeß stehen, vor allem Kinder.
Lange Zeit war die Einreise von Familienangehörigen ohne größere Schwierigkeiten möglich. Auch die Ar-’ beitsbewilligung war zunächst kurzfristig, später nach einer vom Landesarbeitsamt verordneten Wartefrist zu bekommen. Als offenbar wurde, daß dadurch die Ausländerzahl, besondersjene der türkischen Staatsbürger, rasch anstieg, entschlossen sich die Sicherheitsbehörden sowie das Landesarbeitsamt zu drastischen Maßnahmen. Neue Einreisevisa und neue Arbeitsbewilligungen werden (von wenigen Ausnahmen abgesehen) nicht mehr erteilt. Damit wurde das rapide Ansteigen der ausländischen Bevölkerungsgruppen in Vorarlberg gebremst, ja sogar ein Rückgang erzielt: die Zahl der Jugoslawen sank 1980 von 14.470 auf 13.770, also um rund 700 Personen. Die Zahl der türkischen Staatsbürger in Vorarlberg erhöhte sich von Jahresanfang bis Jahresende 1980 von 13.640 auf 13.900, also um 260. Von Müttern mit türkischer Staatsbürgerschaft wurden rund 600 Kinder geboren (Jugoslawen: 400). Unter Berücksichtigung der Einbürgerungen (Staatsbürgerschaftsverleihungen) er-, gibt sich für 1980 bei den Jugoslawen eine Nettoabwanderung von rund 1200 und bei den Türken von rund 300 Personen.
Es wäre jedoch weit gefehlt, zu glauben, daß damit das Gastarbeiter- und Ausländerproblem in Vorarlberg gelöst sei.
Die Festlegung einer Höchstzahl von ausländischen Arbeitskräften (20.931), auf die sich die zuständigen Stellen bei einer Besprechung im Sozialministerium einigten, führte dazu, daß einige hundert jugoslawische und türkische Schulabgänger (von Vorarlberger Schulen), obwohl genügend Arbeitsplätze vorhanden waren, keine Arbeits
bewilligung erhielten und zum Nichtstun verurteilt waren. Daß dies unter anderem auch vom sicherheitspolitischen Standpunkt aus bedenklich ist, liegt auf der Hand.
Der Einreisestop unterband abrupt die bis dahin tolerierte Familienzusammenführung. Um die krassesten Auswirkungen zu mildern, wird für ein Familienmitglied dann die Einreise gestattet, wenn es als letztes und einziges im Ausland lebt. Sind beispielsweise noch zwei Kinder in der Türkei, wird der Aufenthalt verweigert.
Schwierigkeiten und Unsicherheiten ergeben sich für die Gastarbeiter vor allem aus der abrupten Unterbindung der Einreise und den immer wieder erfolgenden Änderungen der Richtlinien. Die Gastarbeiter werden dadurch vor Situationen gestellt, mit denen sie zuvor nicht rechnen konnten und fühlen sich der -Willkür der österreichischen Behörden ausgesetzt, wobei eine besondere Problematik darin liegt, daß die hiesige Situation für die gesamtösterreichische völlig untypisch ist, die Kompetenzen für die Regelung aber beim Bund liegen.
Große Probleme und berechtigte Unzufriedenheit der Gastarbeiter ergeben sich auf dem Wohnungssektor. Obwohl der Arbeitgeber (laut Ausländerbeschäftigungsgesetz) für eine ortsübliche Wohnung zu sorgen hätte, sind die Wohnverhältnisse teilweise katastrophal und die Mieten oft überhöht. Es soll allerdings nicht verschwiegen werden, daß einige Betriebe vorbildliche Gastarbeiterwohnungen und -heime errichtet haben.
Im schulischen Bereich gibt es Klassen, in denen die Gastarbeiterkinder überwiegen und dadurch ein geordneter Unterricht und entsprechender schulischer Fortgang auch der einheimischen Kinder gefährdet ist. Dies trotz Förderunterricht in Deutsch. Die Gastarbeiterkinder erhalten daneben Zusatzunterricht in ihrer Muttersprache, was oft zu einer Überforderung führt.
Besonders bei den türkischen Gast
arbeitern bildet auch das Religionsbekenntnis ein Problem. Mit Recht verlangen sie die Möglichkeit, ihre Religion ausüben zu können und entsprechende Gebetsräume.
Damit sind nur einige Probleme angerissen. Insgesamt dürfte das Gastarbeiterproblem in Vorarlberg den Kulminationspunkt noch nicht erreicht haben. Die größten Probleme liegen noch vor uns.
Es ist auch völlig unmöglich, all die Probleme, die mit der Einwanderung so vieler Menschen aus anderen, teilweise in Kultur und Mentalität doch sehr verschiedenen Völkern entstanden sind, kurzfristig zu lösen.
Eines aber scheint mir dringend erforderlich: daß alle befaßten Stellen enger Zusammenarbeiten und sich um menschliche Lösungen bemühen. Wegen der höhen Zahl der Gastarbeiter und der Notwendigkeit, diese im Interesse der heimischen Bevölkerung, aber auch der jetzt hier lebenden Gastarbeiter und ihrer Angehörigen nicht weiter ansteigen zu lassen, sind Härten unvermeidlich. Gerade deshalb muß den Gastarbeitern gesagt werden, warum diese für sie oft unverständlichen Maßnahmen notwendig sind.
Auch die Gemeinden können und dürfen die Gastarbeiter auf Dauer nicht unbeachtet lassen. Kontakt und Aufklärung gerade im Bereich der Gemeinden, eventuell in Zusammenarbeit mit den Betrieben, der Arbeitsmarktver
waltung, den Sicherheitsbehörden und den Interessenvertretungen, werden notwendig sein, um bei den Gastarbeitern nicht den Eindruck zu verstärken, Unterprivilegierte und Ausgestoßene zu sein.
„Arbeitskräfte haben wir gerufen, Menschen sind gekommen.“ Wir können ihnen auf Dauer nicht elementarste Grundrechte vorenthalten. So ist es ei- ' ner Gesellschaft, die dem Anspruch, menschlich zu sein, genügen will, unwürdig, Menschen als Arbeitskräfte zu holen, ihnen aber beispielsweise die Familienzusammenführung (wenn die Mehrzahl der Familienmitglieder schon hier lebt) zu verwehren. Das Gastarbeiterproblem in Vorarlberg ist längst über die ökonomische und arbeitsmarktpolitische Dimension hinausgewachsen. Es ist vor allem ein soziales und humanes Problem.
Der Autor ist Präsident der Arbeiterkammer für Vorarlberg
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