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Die Schwarzhaarigen mit Handikap

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Auf der einen Seite steht der Plan, die Zahl der Gastarbeiter in Österreich um 20 Prozent zu drosseln, was kaum der Zuwachsrate eines Jahres entspricht und in jenen Wirtschaftszweigen, die besonders stark von Gastarbeitern abhängig sind, trotzdem einen Schock auslöste.

Auf der anderen Seite steht die Erkenntnis, daß die hochindustrialisierten Staaten Westeuropas ihre volkswirtschaftlichen Zuwachsraten, ja ihren gegenwärtigen Lebensstandard ohne Gastarbeiter weder in unmittelbarer noch in etwas fernerer Zukunft halten können.

Bisher wurde das Gastarbeiterproblem von der österreichischen (und europäischen) Öffentlichkeit nur in seiner vordergründigsten Dimension zur Kenntnis genommen — nämlich aus der Perspektive einer eingesessenen Bevölkerung, die auf Schritt und Tritt mit Fremdlingen zusammentrifft, deren Wichtigkeit man rein theoretisch zur Kenntnis nimmt, was aber die Unlustgefühle bei den täglichen Begegnungen mit ihnen kaum mildert. Doch der Grat zwischen der Hoffnung, die Gastarbeiter eines Tages, wenn man sie nicht mehr braucht, wieder loszuwerden, und der Angst, man könnte sie verlieren, bevor es soweit ist, wird immer schmäler. Je stärker sich die Einsicht durchsetzt, daß Mitteleuropas Industrienationen mit den Problemen, die durch den Import der Arbeitskraft entstehen, lange Zeit werden leben müssen und hoffen müssen, daß es so ist, um so mehr Facetten bekommt das Gastarbeiterproblem — und auf desto höherem Niveau wird es behandelt.

Zwei Untersuchungen aus jüngster Zeit liegen bereits auf dieser Linie. Im Europa-Verlag erschien, gemeinsam mit dem österreichischen Wirtschaftsverlag, die vom Arbeitskreis für ökonomische und Soziologische Studien herausgegebene Studie ^Gastarbeiter — wirtschaftliche und soziale Herausforderung“, die Vereinigung für politische Bildung — politische Akademie sammelte „Daten — Fakten — Argumente“.

Hier können nur einige der behandelten Gesichtspunkte angedeutet werden. So scheint es etwa eine Tatsache zu sein, daß die im Vergleich zu Österreich wesentlich „entwik-keltere“ Bundesrepublik auch bereits wesentlich stärker von 1 ihren Gastarbeltern abhängig ist, daß aber auch deren Integration dort weiter fortgeschritten ist. Wie diese Integration sich weiterentwickeln wird, vermag heute niemand zu sagen, es ist von zu vielen Faktoren abhängig. So ist es etwa eine Illusion, zu glauben, daß stets die Industrieländer, die Gastarbeiter importieren, das letzte Wort über deren Zahl werden sprechen können. Die Aufnahmeländer ,können die Gastarbeiterzahlen zwar plafonieren — aber der Gast-■•arbeiter, heute allenthalben wie ein Mittelding zwischen Haustier und beliebig produzierbarem Wirtschaftsgut behandelt, steht keines-

wegs in unbegrenzter Zahl zur Verfügung.

Der Übergang von einer Volkswirtschaft mit Arbeitskräfteüberschuß zu einer mit Arbeitskräftemangel könnte da und dort schneller vonstatten gehen, als es selbst einem Schwarzbach lieb sein kann. Mitteleuropas Industrien — nebst dem tertiären Sektor — konnten einige Jahrzehnte von der Mechanisierung und Rationalisierung der Landwirtschaft zehren, durch die kontinuierlich Arbeitskräfte freigesetzt wurden — als dieser Prozeß beendet war, begann der Import der Arbeitskräfte. Was sich heute abspielt, ist genau derselbe Vorgang im internationalen Maßstab. Denn die Industriestaaten importieren nicht ausgebildete Industriearbeiter, die in den eigenen Ländern, in Jugoslawien ebenso wie in Griechenland oder der Türkei, dringend benötigt werden, sondern großteils die durch die auch dort voranschreitende Umwälzung der Landwirtschaft freigesetzte Landbevölkerung.

Die „Spenderländer“ sehen das sehr gerne — sie hoffen, ihre arbeitslosen Landarbeiter als Hilfsarbeiter fortschicken und als erfahrene Industriearbeiter wieder heimholen zu können. Selbstverständlich werden auch in zwanzig oder dreißig Jahren Gastarbeiter zur Verfügung stehen — aber kaum mehr aus Jugoslawien, von wo nicht weniger als 77 Prozent aller in Österreich tätigen Gastarbeiter kommen, und wohl auch nicht mehr aus der Türkei.

Die Arbeitskreisstudie registriert als historische Eigenart der heutigen Gastarbeiterströme, daß diese, im Gegensatz etwa zu der Masseneinwanderung nach Wien um die Jahrhundertwende, nur noch als zeitweise Aushilfskraft gesehen werden. Dabei ist keineswegs nur eine gewisse Fremdenfeindlichkeit in den Aufnahmeländern daran schuld, daß die Einbürgerung nicht forciert wird — fast ebenso dürfte dabei dfie - Angst ins Gewicht fallen, die Regierungen der Heimatländer zu verschrecken, die auch dann, wenn sie darum kämpfen, ihre Geburtenüberschüsse unter Kontrolle zu bringen, an einem solchen Aderlaß keineswegs interessiert sind. (So vermerkt die Studie der Politischen Akademie, wie leicht legale Gastarbeiter durch Maßnahmen ihrer Heimatländer zu illegalen Gastarbeitern gemacht werden können, wenn etwa die Türkei, die an Lehrermangel leidet, ausgebildete Lehrer nach Hause ruft und sich, wenn sie nicht zurückkommen, dagegen wehrt, daß sie im zwischenstaatlich ausgemachten Kontingent berücksichtigt werden.) Die Arbeitskreisstudie sieht die gegenwärtigen Probleme für charakteristisch für eine Anfangsstufe an, der nach allen historischen Erfahrungen eine massenhafte Eingliederung der Zu Wanderer folgen müßte — fraglich aber ist, ob es auch diesmal so kommt: „Die historischen Erfahrungen müssen nicht mehr schlüssig sein. Die modernen Verkehrsmittel

erlauben eine Mobilität, die zu vollkommen neuen Lebensformen führen kann. Es ist also durchaus, auch damit zu rechnen, daß es auf lange Frist eine Rotation von Gastarbeitern geben wird oder eine neue Art von Pendelwanderung zwischen Wohnsitzländern und Arbeitsländern.“

Die Interessengegensätze zwischen den Sozialpartnern werden In dieser Publikation eher vorsichtig beurteilt: Zwar kann ein höheres Angebot an Arbeitskräften das Lohnniveau drücken und dadurch auch notwendige Rationalisierungen verzögern, während eine Verknappung der Arbeitskraft das Lohnniveau steigert und Rationalisierungen erzwingt, die auf lange Frist volkswirtschaftliche Vorteile bringen,

doch liegen die innerhalb eines gewissen Spielraumes verschiedenen Interessen der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite nicht allzu weit auseinander: „Ein stärkeres Abweichen von einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt bringt nicht nur so schwerwiegende gesamtwirtschaftliche Folgen (in bezug auf Wachstums- und Inflationsrate), daß die Interessen der ganzen Nation hier wieder konform laufen, sondern Intensiviert auch auf der betrieblichen Ebene die Schwierigkeiten so sehr, daß ein gemeinsames Interesse der Arbeitgeber wie Arbeitnehmer besteht, eine günstigere Balance anzustreben.“

Mitte 1973 waren bereits 3.8 Prozent aller unselbständig Erwerbstätigen in Österreich Ausländer. Dabei bestätigten IFES- und Fessel-Umfragen deutsche Erfahrungen mit

Gastarbeitern, die immerhin so sind, daß von den Betrieben, die bereits Gastarbeiter beschäftigen, 21 Prozent ihre Gastarbeiterquote steigern und nur 9 Prozent eher weniger Gastarbeiter als bisher beschäftigen wollen. Negative Erfahrungen gehen meist auf Fehler und mangelnde Erfahrung der Betriebsführung zurück. Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen ledigen Gastarbeitern, die ebenso mobil wie unbeständig sind, sich leicht zu „Dummheiten“ verführen, aber auch leicht integrieren lassen, Verheirateten mit Familie in der Heimat, die rasch Geld verdienen wollen und daher sehr arbeitswillig, ja „arbeitswütig“, sparsam und lediglich auf langen Urlaub erpicht sind (typische „Urlaubsüber-zieher“) und sich jeder stärkeren In-

tegration versperren, und schließlich Verheirateten mit Familie in Österreich. Diese Gruppe ist am stabilsten und neigt zu Anpassung und Eingliederung, Kinder im Schulalter fördern die Integration der ganzen Familie durch rasches Erlernen der deutschen Sprache und engere Kontakte zu Österreichern. Während sich die Ehefrauen selbst ausgezeichneter Arbeiter, wenn sie ebenfalls in den Betrieb aufgenommen werden, mitunter schwer einfügen (weil sie noch nie in der Industrie gearbeitet haben), sind nachwachsende Jugendliche aus gut integrierten Gastarbeiterfamilien fast immer sehr gute Arbeitskräfte.

Die Autoren der Studie „Gastarbeiter“ empfehlen den Betrieben, eine gewisse Linie bezüglich der Struktur ihrer ausländischen Mitarbeiter einzuhalten und die Rekrutie-

ning nicht dem Zufall zu überlassen. Manche Betriebe erreichen durch kluge Auswahl, daß die Fluktuationsrate ihrer Gastarbeiter nur unwesentlich über der ihrer österreichischen Mitarbeiter liegt.

Nationale Eigentümlichkeiten sind zu beachten: Während Türken und Jugoslawen fast nie in Streit geraten, unterscheidet sich ihr Lebensstil sehr stark — gemeinsames Wohnen ist nicht günstig. „Auf keinen Fall kann man einen Jugoslawen zum Vorgesetzten eines Türken machen: Die Türken empfinden sich vor allem, gegenüber den Jugoslawen aus den südlichen Landesteilen als kulturell höherstehend und sind besonders empfindlich gegen soziale Mißachtung (was sie andererseits die Autorität österreichischer Vorgesetzter stärker achten läßt).“ Zwischen den jugoslawischen Volksgruppen bestehen zum Teil sehr starke Spannungen (vor allem zwischen Kroaten und Serben), alle übrigen Volksgruppen distanzieren sich von Mazedoniern und Montenegrinern, totale Underdogs sind die Zigeuner, gegen die alle ein starkes Vorurteil haben. Gelegentlich wurden gute Arbeitskräfte von anderen jugoslawischen Gastarbeitern „hinausgebissen“,, nur weil sie Zigeuner waren.

Die höchsten Gastarbeiterquoten werden heute im Gastgewerbe mit bis zu 50 bis 80 Prozent, in der Textil- und . Bekleidungsindustrie mit 40 bis 60 und im Baugewerbe mit 40 bis 55 Prozent registriert. Wobei, als „Unternehmensstrategien“, dem „Durchschleusen“ kurzfristig beschäftiger Hilfskräfte mit hoher Fluktuation und geringen Aufwendungen für Einschulung die „betriebliche Integration“ mit aufwendiger Ausbildung und Bemühungen, die Gastarbeiter länger im Betrieb zu halten, gegenübersteht. Unter 233 Betrieben mit Gastarljeitern hielt jeweils ein Drittel die eine oder die; andere Methode für günstiger, während sich ein weiteres Drittel für eine Mischform entschied. In jedem Fall ist die Einschulung ein kritischer Zeitabschnitt. Mangelhafte oder fehlende Einschulung führt bei Gastarbeitern mit besonderer Si-

cherheit zu schlechten Arbeitsleistungen. Auch bei Leuten, die mit dem besten Willen kommen und gute Mitarbeiter werden können.

Zweifellos ist unter den Gastarbeitern ein hoher Prozentsatz von Menschen, die, durch Herkunft, Ausbildung und vor allem Sprachschranken gehandikapt, ihr Leistungspotential nur zu einem sehr geringen Teil nutzen können — die sich gezwungenermaßen weit unter ihrem Wert verkaufen. In Volkswirtschaften, die nichts mehr im Überfluß haben, und unter dem Damoklesschwert der Rohstoff- und Treibstoffverknappung leben,

scheint heute die importierte ungelernte Arbeltskraft oft der letzte, in unbegrenzter Menge verfügbare Produktionsfaktor zu nein. Noch. Aber wie lange?

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