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Der Mohr kann gehen?

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In unserer Wirtschaft kriselt es. Was liegt näher, als Sündenböcke zu suchen. Und überall steigt man über den niedrigsten Zaun: Die Gastarbeiter sind schuld, wären die Lösung. Würde man sie heimschicken, wären wir die Probleme los.

Der Fremden- und insbesondere der Gastarbeiterhaß wird geschürt. Noch hält sich der Unmut und daraus entspringende Äußerungen und Handlungen in Grenzen. Aber der Funke glimmt. Die Gefahr ist latent.

Was hat zu dem Problem geführt? Unsere Wirtschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr positiv entwickelt. Überdurchschnittliche Wachstumsraten haben in den letzten Jahren viele Probleme verdeckt, oft auch ihre Lösung verzögert oder verhindert. Um den gesteigerten Arbeitskräftebedarf decken zu können, waren Gastarbeiter notwendig. Sie kamen in großer Zahl und waren — zumindest als Arbeitskräfte — sehr willkommen.

Viele von ihnen sind nun inzwischen zehn und 15 Jahre hier. Ihre Kinder sind hier aufgewachsen, teilweise hier geboren, sprechen kaum noch die Muttersprache und kennen ihr Heimatland nur noch vom Urlaub her, den sie dort verbringen, in dem sie sich aber nicht (mehr) heimisch fühlen.

So sagen manche, insbesondere türkische Eltern, daß sie ihrer Kinder wegen gar nicht mehr zurückkehren können. Auch sie selbst stehen vor dem Dilemma, in der Heimat fremd und in der Fremde nicht heimisch geworden zu sein. Die Kinder dagegen, speziell wenn sie Kindergarten und/ oder Schulzeit schon hier verbracht haben, fühlen sich bei uns mehr daheim als im Herkunftsland.

Gastarbeiterprobleme gibt es' seit es Gastarbeiter gibt. Am Anfang standen Sprach- und Verständigungsprobleme, dann entstanden Wohnungs-, Schul- und Kindergartenprobleme, schließlich religiöse und politische Probleme — zuletzt auch Arbeitsprobleme. Und nun auch das Problem der Ablehnung durch die heimische Bevölkerung, das der Meinung entspringt, die derzeitigen wirtschaftlichen Probleme könnten wir mit den Gastarbeitern los werden.

Hier wird Ursache”mit Wirkung verwechselt. Nicht die Gastarbeiter haben die schlechte wirtschaftliche bzw. Arbeitsmarktsituation bewirkt, vielmehr hat die schlechte wirtschaftliche Situation dem Gastarbeiterproblem eine neue Facette gegeben. Aus ehedem gern in Anspruch genommenen Lückenbüßern am Arbeitsmarkt wurden unerwünschte

Konkurrenten um die knapper gewordenen Arbeitsplätze.

Man sieht in den Gastarbeitern die Sündenböcke für die steigende Arbeitslosigkeit. Wenn aber irgendwo ein Gastarbeiter einen Arbeitsplatz räumt, ist es kaum möglich einen heimischen Bewerber dafür zu finden. Es gibt auch in unserem Land nicht wenige freie Arbeitsplätze, die Gastarbeiter gerne einnehmen würden, die von heimischen Arbeitskräften aber (noch) abgelehnt werden.

Es können also nicht die Gastarbeiter für die jetzigen Probleme verantwortlich gemacnt werden.

Vielmehr muß man um der Objektivität willen gerade jetzt darauf hinweisen, daß die Wohlstandsvermehrung in unserem Lande nie in diesem Ausmaß möglich gewesen wäre, wenn nicht neben den heimischen Arbeitnehmern viele Gastarbeiter in unserer Wirtschaft mitgearbeitet und größtenteils Arbeiten verrichtet hätten, die die österreichischen Arbeitskollegen bald nicht mehr verrichten wollten.

Diese Aspekte der Gastarbeiterbeschäftigung müssen gerade jetzt erwähnt werden, ohne die speziellen Probleme, die aus der Gastarbeiterbeschäftigung erwachsen, zu verniedlichen.

Wenn auch nicht alles voraussehbar war, eines müßte uns doch klar sein: daß diese Arbeitnehmer und ihre Familienmitglieder Menschen mit gleichen Menschenrechten und dem gleichen Anspruch auf Respektierung ihres Menschseins und ihrer Eigenart sind, denen wir sowohl die Möglichkeit der Integration eröffnen als auch die einer späteren Rückkehr in ihr Herkunftsland offen lassen müssen.

Wir haben sie gerufen und ihre Dienste in Anspruch genommen. Es wäre unmenschlich, sie nun einfach abschieben zu wollen, was, so weit es die wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Probleme anlangt, nur sehr beschränkt möglich wäre. Untersuchungen beweisen, daß unser Spielraum sehr eng ist: Die überwiegende Zahl an Gastarbeitern ist für das Funktionieren unserer Wirtschaft auch heute noch nötig.

Gerade in schwierigen Zeiten muß daran erinnert werden, daß wir die Gastarbeiter in guten Zeiten gerufen und sie dazu beigetragen haben, daß die Zeiten noch besser geworden sind.

Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan.

Darum dürfen wir an ihm nicht schuldig werden. Sowohl in der christlichen Soziallehre als auch in den verschiedenen Parteiprogrammen ist von internationaler Solidarität die Rede. Sie darf nicht nur in guten Zeiten verkündet werden, sondern muß sich in harten Zeiten bewähren.

Der Autor ist Präsident der Arbeiterkammer für Vorarlberg.

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