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Die Arbeitsplatzvermehrung

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Welcher Vorwurf auch immer gegen ihre Wirtschaftspolitik erhoben wird, die Regierung kontert ihn mit dem Hinweis auf die Vollbeschäftigung, die heute in Österreich Rekordhöhen erreicht hat, wobei Jahr für Jahr die Anzahl der Arbeitsplätze weiter vermehrt wurde. Bereits im letzten Wahlkampf spielte das Argument der Arbeitsplatzvermehrung eine entscheidende Rolle. Die sprunghafte Zunahme des Beschäftigtenstandes auch schon unter dem ersten Kabinett Kreisky ließ sich statistisch belegen, und die Opposition — selbst fasziniert von der Idee einer unbegrenzt steigenden Beschäftigung — suchte vergebens nach Gegenargumenten.

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Welcher Vorwurf auch immer gegen ihre Wirtschaftspolitik erhoben wird, die Regierung kontert ihn mit dem Hinweis auf die Vollbeschäftigung, die heute in Österreich Rekordhöhen erreicht hat, wobei Jahr für Jahr die Anzahl der Arbeitsplätze weiter vermehrt wurde. Bereits im letzten Wahlkampf spielte das Argument der Arbeitsplatzvermehrung eine entscheidende Rolle. Die sprunghafte Zunahme des Beschäftigtenstandes auch schon unter dem ersten Kabinett Kreisky ließ sich statistisch belegen, und die Opposition — selbst fasziniert von der Idee einer unbegrenzt steigenden Beschäftigung — suchte vergebens nach Gegenargumenten.

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Dabei lagen diese auf der Straße und harrten vergeblich darauf, aufgegriffen zu werden: Während der Massenarbeitslosigkeit in den dreißiger Jahren wäre es höchste wirtschaftliche Tugend gewesen, neue Arbeitsplätze zu schaffen. In der Zeit der Vollbeschäftigung das gleiche zu tun, ist Unsinn. Die Folgen sind auch nicht ausgeblieben: Die enormen Inflationsraten von heute sind nicht zuletzt der Preis der absurden Arbeitsbeschaffung für nicht vorhandene Arbeitskräfte.

Dieser Vorwurf geht selbstverständlich nicht an die Unternehmen — ob verstaatlicht oder privat —, die ihre Marktchancen wahrnahmen und dementsprechend expandierten. Das ist ihr Recht, ja ihre Pflicht; sie wären überfordert, legte man ihnen auf, statt Geschäftspolitik Konjunkturpolitik zu betreiben. Die Schuld liegt vielmehr bei der Wirtschaftspolitik der öffentlichen Hand, deren Aufgabe es gewesen wäre, ausgleichend zu wirken, statt anzuheizen.

Der Hinweis auf die Restarbeitslosigkeit — die übrigens seit Jahren hinter dem Angebot an offenen Stellen zurückbleibt — ist kein Gegenargument. Die Restarbeitslosigkeit, die zweifellos ein echtes soziales

Problem darstellt, bedarf sehr speziischer Maßnahmen und kann nichl mit der konventionellen Methode der Konjunkturanheizung bekämpf' werden.

Der beste Beweis dafür ist die Entwicklung in den letzten Jahren rrotz einer Arbeitsplatzvermehrung iie weit über die anfänglich vorhan-lene Restarbeitslosigkeit hinausging, tonnte diese nur teilweise eingeschränkt werden, wogegen für die Masse der neuen Arbeitsplätze Aus-änder ins Land geholt werden muß-;en. Vom sozialen Standpunkt wai iaher die Beschäftigungspolitik dei letzten Jahre ein Schlag ins Wasser

Es ist keine Kunst, in einer vollbeschäftigtem Wirtschaft die Arbeits-Dlätze zu vermehren, insbesondere iann, wenn die Regierung in Sacher 3eldwertstabilität die Zügel schleifen läßt. Viel schwerer zu beantwor-«n ist die Frage, wie auf die Dauet ier künstlich erzeugte Hunger dei (Virtschaft nach Arbeitskräften gestillt werden soll, und wie die durcr iie ständige Vermehrung der Gastarbeiter progressiv zunehmenden In-Erastrukturprobleme zu lösen seien

Man lese aus diesen Bemerkunger licht ein „Vorurteil“ gegen Gastarbeiter heraus. Es handelt sich vielmehr um die simple Feststellung, daß es eine kritische Grenze gibt, von der an die Nachteile der Gastarbeiterbeschäftigung deren Vorteile überwiegen. Die Schwierigkeiten, mit denen heute die Schweiz zu kämpfen hat, sind nicht zuletzt auf den jahrelangen allzu ungezügelten „Import“ von Arbeitskräften zurückzuführen.

Eine solche Fehlentwicklung ist aber vernünftigerweise nicht dadurch zu zügeln, daß man die Einstellung ausländischer Arbeitskräfte unterbindet oder erschwert, sondern mir dadurch, daß die staatliche Wirtschaftspolitik auf eine weitere Konjunkfeuranheizung, insbesondere in arbeitsintensiven Branchen, verzichtet. Die Gefahr besteht nämlich nicht zuletzt darin, daß durch die Konjunkturankurbelung schließlich eine Automatik in Gang gesetzt wird, die geradezu zu einer Krebswucherung der Arbeitsplätze, zu einer ständigen Beschleunigung des Kräftebedarfs führt.

Wie akut diese Gefahr für Österreich schon ist, zeigt ein Blick in die Statistik: Nach einem durchschnittlichen Zuwachs der Beschäftigung in den sechziger Jahren um weniger als 1 Prozent pro Jahr, beschleunigte sich dieser in den Jahren 1970 bis 1972 dank dem kräftigen Zustrom von Gastarbeitern auf 2 Prozent. Im ersten Quartal 1973 stieg der Vor-jahresabstand sogar auf 3,5 Prozent und im April und Mai auf nicht weniger als 4 Prozent, was die höchste Zuwachsrate der Nachkriegszeit darstellt. Damit wurde in diesem Jahr ein Beschäftigtenrekord von 2,6 Millionen Unselbständigen erreicht.

Von den rund 105.000 Arbeitnehmern, die zwischen Mai 1972 und Mai 1973 zusätzlich beschäftigt wurden, waren 45.000 Männer und 60.000 Frauen (unter ihnen allerdings sehr viele Halbtagsbeschäftigte). Nicht weniger als 26.500 Männer und 15.500 Frauen kamen zusätzlich aus dem Ausland. Dennoch konnte der Arbeitskräftebedarf der österreichischen Wirtschaft nicht gedeckt werden, und die Zahl der offenen Stellen war Ende Mai mit 74.000 um 10 Prozent höher als ein Jahr vorher.

Es zeugt von einer gefährlichen Fehleinschätzung der Situation, wenn gegenwärtig die Vermehrung der Arbeitsplätze noch immer als Erfolg der Wirtschaftspolitik angesehen wird. Unser heutiges Problem heißt Inflation. Sich angesichts der rapiden Geldentwerbung einerseits und des ausgetrockneten Arbeitsmarktes anderseits der Arbeitsplatzvermehrung zu rühmen, erinnert an den ominösen Dr. Eisenbart, der bekanntlich darauf stolz war, die Lahmen sehen und die Blinden gehen zu machen. Heute sind die Eisenbärte Konjunkturpolitiker geworden und treiben ihr Unwesen in der Wirtschaft.

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