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Ein großer Erfolg also?

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Die Statistik brachte es an den Tag: Die Beschäftigung, die in Österreich jahrelang stagniert hatte, bekam 1971 wieder kräftige, neue Impulse: im Jahre 1965 gab es in Österreich 2,381.000 unselbständige Beschäftigte, 1970 waren es 2,387.000. Die Zunahme in fünf Jahren betrug sage und schreibe 6000 Personen oder 0,25 Prozent. Dagegen ging es im abgelaufenen Jahr steil bergauf. Gab es im Oktober 1970 erst 2,444.000 Beschäftigte, waren es ein Jahr später bereits 2,510.000. Der Anstieg in einem einzigen Jahr: 56.000 Personen.

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Die Statistik brachte es an den Tag: Die Beschäftigung, die in Österreich jahrelang stagniert hatte, bekam 1971 wieder kräftige, neue Impulse: im Jahre 1965 gab es in Österreich 2,381.000 unselbständige Beschäftigte, 1970 waren es 2,387.000. Die Zunahme in fünf Jahren betrug sage und schreibe 6000 Personen oder 0,25 Prozent. Dagegen ging es im abgelaufenen Jahr steil bergauf. Gab es im Oktober 1970 erst 2,444.000 Beschäftigte, waren es ein Jahr später bereits 2,510.000. Der Anstieg in einem einzigen Jahr: 56.000 Personen.

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Wer nicht der Faszination statistischer Kurven erliegt und nicht auf jede Aufwärtsbewegung mechanisch positiv reagiert, urteilt weniger vorschnell. In den dreißiger Jahren, als die Arbeitslosen vor den Fabriken Schlange standen, wäre die Schaffung neuer Arbeitsplätze die dringendste Aufgabe der Wirtschaftspolitik und der beste Beweis für die Tüchtigkeit einer Regierung gewesen. In einer Depression Arbeitsplätze zu schaffen, war auch gar nicht so leicht; in der Hochkonjunktur dagegen gehört nicht viel dazu. Es fragt sich aber, ob die Steigerung des Arbeitsplatzangebotes in einer ohnehin schon vollbeschäftigten Wirtschaft überhaupt erstrebenswert ist.

Die „Stagnation“ der Beschäftigung zwischen 1965 und 1970 war nicht die Folge eines Mangels an Arbeitsplätzen, sondern eines gleichbleibenden, zum Teil sogar schrumpfenden Arbeitskröfteangebots. Der Eintritt geburtenschwacher Jahrgänge ins Berufsalter, die wachsende Zahl der Frühpensionisten, die verlängerten Ausbildungszeiten für Jugendliche, aber auch die Abwanderung ins Ausland, vor allem in die Schweiz und nach Deutschland, und schließlich die neuerliche Arbeitszeitverkürzung zehrten am österreichischen Arbeitskräftepotential.

Der Ausfall konnte nur zum Teil aus inländischen Reserven, insbesondere durch in andere Berufe überwechselnde Landwirte, gedeckt werden. Um den Stand der Arbeitskräfte zu halten oder geringfügig zu erhöhen, war daher eine immer stärkere Beschäftigung von Ausländern notwendig.

Freilich gibt es in Österreich eine sich zäh haltenden Restarbeitslosigkeit. Sie konnte trotz der Anspannung auf dem Arbeitsmarkt bis heute nicht beseitigt werden. Von 1965 (65.500 Personen) bis 1970 (59.300) konnte sie zwar geringfügig gesenkt werden, im Beschäftigungsrekordjahr 1971 stieg sie hingegen sogar um ungefähr 1000 Personen im voraussichtlichen Jahresdurchschnitt an.

Während also mehr und mehr Ausländer ins Land strömten, nahm die inländische Arbeitslosigkeit sogar zu. Dies ist aber, entgegen dem

Anschein, kein Argument gegen die Ausländerbeschäftigung, sondern nur ein Beweis dafür, daß die Restarbeitslosigkeit sehr spezielle und differenzierte Gründe hat und mit den konventionellen Methoden der Arbeitsbeschaffung einfach nicht zu beseitigen ist.

Nun ist gegen die Ausländerbe-schäftigung nichts einzuwenden, und nichts wäre in der Situation Österreichs falscher, als diese durch gesetzliche Hindernisse oder auch „nur“ durch behördliche Schikane zu hintertreiben. Wir sollten vielmehr den

Gastarbeitern, zumeist fleißige und anständige Menschen, dankbar sein, daß sie dort bei uns einspringen, wo bei uns Not am Mann ist.

Dennoch — und das hat nicht im entferntesten mit Xenophobie zu tun — darf die Ausländerbeschäftigung nie Selbstzweck werden. Wir müssen im Auge behalten, daß sie in einem ziemlich dicht besiedelten Land wie Österreich nur eine Notlösung sein kann.

Eine Wirtschaftspolitik, die in Zeiten der Vollbeschäftigung auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze abgestellt wird, ist daher purer Nonsens. Das heißt nicht, daß wir ohne Rücksicht auf die wirtschaftlichen Gegebenheiten die Grenzen für ausländische Arbeiter sperren sollen; dies bedeutete, das Pferd am Schwanz aufzäumen und würde die Situation noch verschlimmern. Vielmehr kommt es darauf an, unter diesen Umständen eine echte Strukturpolitik zu betreiben, die zwar höherwertige, auf keinen Fall aber mehr Arbeitsplätze anstrebt. Nicht dadurch, daß man einen bestehenden Bedarf abwürgt, kann man solche Probleme lösen, sondern nur dadurch, daß man einen nicht oder nur sehr schwer zu befriedigenden Bedarf nicht mutwillig schafft.

Genau das ist aber in Österreich im Vorjahr, allen Warnungen zum Trotz, geschehen, und das gleiche strebt die Wirtschaftspolitik der Regierung offenbar auch für dieses Jahr an. Die Arbeitsmarktvorschau 1972 des Instituts für Wirtschaftsforschung (die den tatsächlichen Bedarf an Arbeitskräften erfahrungsgemäß meist noch unterschätzt) spricht von einem neuerlichen Mehrbedarf von 41.000 Beschäftigten in diesem Jahr, von denen mindestens wieder 21.000 aus dem Ausland werden kommen müssen, zusätzlich zu den bereits im Land befindlichen Gastarbeitern. Es ist vor allem die Investitions- und Beschäftigungspolitik der öffentlichen Hand, die diese Entwicklung in Gang setzt, denn trotz neuerlicher Arbeitszeitverkürzung nimmt das Wirtschaftsforschungsinstitut an, daß der Arbeitskräftebedarf der Industrie global nicht steigen wird.

Der Preis, den wir dafür bezahlen, ist die Inflation, denn die ständige Anspannung auf dem Arbeitsmarkt ist zwar nicht der einzige, wohl aber einer der gewichtigsten Gründe für die permanente Teuerung. Hierin kommt der Schildbürgerstreich unserer derzeitigen expansiven Wirtschaftspolitik zum Ausdruck: um den Preis der Inflation werden Arbeitsplätze geschaffen, die wir gar nicht brauchen; um sie einigermaßen zu besetzen, müssen wir unter großen Schwierigkeiten Kräfte aus dem-Ausland heranholen. Unter diesen Voraussetzungen eine expansive Beschäftigungspolitik auch noch als Erfolg zu feiern, ist einigermaßen kühn.

Damit soll keineswegs einem „Gesundschrumpfen“, einem brutalen Abdrosseln der Konjunktur das Wort geredet werden. Es können vielmehr durchaus schon in diesem Jahr konjunkturbelebende Maßnahmen notwendig werden. Aber die Konjunkturimpulse müßten so gegeben werden, daß mit einem möglichst geringen Mehrbedarf an Arbeitskräften ein möglichst großer Wachstumseffekt In bezug auf das Nationalprodukt erzielt wird. Das heißt, daß die Produktivität und die Konkurrenzfähigkeit mit dem Ausland gesteigert werden soll, und daß die wirtschaftspolitischen Maßnahmen in diese Richtung gesteuert werden müssen. Die Impulse ausgerechnet den arbeitsintensiven Branchen zu geben, ist das Verkehrteste, was geschehen kann.

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