6865400-1978_01_04.jpg
Digital In Arbeit

Man rief Arbeitskräfte und Menschen kamen

Werbung
Werbung
Werbung

Seit September nimmt die Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zum Vorjahr wieder zu. Im November betrug die Arbeitslosenrate bereits 2,2 Prozent. Gegenüber dem gleichen Voijah-resmonat gab es um 4900 Arbeitslose mehr (rund 10 Prozent). Besonders stark hat die Jugendarbeitslosigkeit zugenommen, die bereits im Oktober um 15,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr höher war. Im neuen Jahr rechnet die Regierung mit einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit

Unter den Rezepten, die Sozialminister Weissenberg dem österreichischen Arbeitsmarkt verordnen möchte, nimmt die Reduktion der Ausländerbeschäftigimg einen prominenten Platz ein. Im ersten Moment scheint dies ein probates Mittel zu sein. Im Oktober standen 48.700 Arbeitslosen (um 2900 mehr als im gleichen Vörjahres-monat) nicht weniger als 196.800 ausländische Arbeitskräfte (um 9200 mehr) gegenüber.

Was klingt plausibler als der Vorschlag, Ausländer im Ausmaß der inländischen Arbeitslosenziffer heimzuschicken und die freiwerdenden Posten mit Inländern zu, besetzen? So und nicht anders war es ja auch gemeint, als in der Hochkonjunktur gewissermaßen eine Arbeitsplatzreserve geschaffen und mit Ausländern besetzt wurde. Sie sollten den Inländern die Plätze für Krisenzeiten warmhalten.

Aber bedauerlicherweise geht die Milchmädchenrechnung unserer Arbeitsmarktpolitiker nicht auf. Da ist zunächst einmal das Problem der Gastarbeiter selbst. Der Schweizer Autor Max Frisch hat es lapidar in den Satz komprimiert: „Man rief Arbeitskräfte, und Menschen kamen.“

Ist es sozial zu verantworten, Menschen, die hoffnungsvoll nach Österreich gekommen sind, ausgerechnet jetzt, da die Arbeitsplätze international rar und gerade in ihren Herkunftsländern noch rarer als bisher werden, kurzerhand nach H4use zu schicken? Sicherlich, es war von Anfang an so gedacht, aber erst jetzt, wo es soweit ist, sieht man die menschlichen Härten.

Allerdings darf man die Angelegenheit auch wieder nicht in unzulässiger Form dramatisieren. Lediglich ein Bruchteil der Gastarbeiter hat an einen permanenten Aufenthalt in Österreich gedacht. Die meisten wollten nur eine Zeitlang gut verdienen, um sich daheim besser auszustatten. Viele haben inzwischen in ihren Herkunftsländern Eigentumswohnungen angeschafft, Mobiliar hinbefördert oder Töchter ausgestattet Der Nachteil einer mehrjährigen Ausgliederung aus dem Arbeitsprozeß ihrer Staaten wird über kurz oder lang durch den Vorteil der besseren, in Österreich erworbenen Ausbildung kompensiert werden.

Eine andere Frage ist allerdings, ob wir Österreicher ohne Gastarbeiter auskommen. Daß auch 1977 - einem Jahr der zunehmenden Inländerarbeitslosigkeit und der mühsamen Arbeitsplatzschaffung sowie des Eintritts geburtenstarker Jahrgänge in das Berufsalter - die Ausländerbeschäftigung neuerlich gegenüber dem Vorjahr zugenommen hat - im August sogar noch um 15.900 Personen -, müßte eigentlich nachdenklich machen.

Der Grund ist, daß die inländischen Arbeitslosen entweder nicht imstande oder nicht bereit sind, die Arbeitsplätze der Ausländer zu übernehmen, ja daß infolge der durchaus nicht problemkonformen Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahmen der Regierung noch immer neue Arbeitsplätze entstehen, welche nur Ausländer zu übernehmen bereit sind.

Unser prekärstes Problem sind nämlich die inländischen „Gastarbeiter“ - diejenigen, welche infolge der Arbeitskräfteknappheit in der Hochkonjunkturin besser dotierte, komfortablere und sozial angesehenere Arbeitsplätze aufgestiegen sind und nunmehr nicht auf ihren früheren Status zurückwollen. Dazu kommt noch, daß auch und gerade die in der Anspruchsgesellschaft groß gewordenen Jugendlichen keine „Ausländerarbeiten“ übernehmen wollen. Anderseits aber gehen durch den Konjunkturrückgang in erster Linie „bessere“ Arbeitsplätze wieder verloren, während die Ausländer vielfach konjunkturunabhängige Positionen ausfüllen.

In vielen Fällen sind die Arbeitslosen schön allein deswegen nicht bereit, angebotene Arbeitsplätze zu übernehmen, weil die laufende Arbeitslosenunterstützung, die von ihrem letzten Verdienst berechnet wird, höher oder zumindest gleich hoch ist wie die Entlohnung an den schlechter qualifizierten freiwerdenden Posten.

Dies alles ist menschlich nur allzu verständlich und stellt das fatale Erbe einer unüberlegten Wirtschaftspolitik dar; es ist auch die Konsequenz einer konfusen Bildungspolitik, welche die höhere Schulbildung auf Kosten der manuellen Berufe forciert hat, ohne nach der Struktur des Arbeitsmarktes zu fragen. Derartige Probleme lassen sich nicht damit lösen, daß man die Ausländer kurzerhand nach Hause schickt Sicherlich kann es sich kein Staat auf Dauer weder finanziell noch psychologisch, noch politisch leisten, einer zunehmenden Inländerzahl Arbeitslosenunterstützung zu zahlen, auf der anderen Seite aber gezwungen zu sein, für offene Stellen Ausländer zu holen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung