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Der Arbeiter in Südtirol

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Bis zum Jahre 1962 waren Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne und mangelhafte Versicherung die schwerwiegendsten Probleme der Südtiroler Arbeiterschaft. Inzwischen haben sich aber die Schwerpunkte verlagert. Obwohl auch heute das Versicherungsproblem noch nicht restlos gelöst ist und die Nettolöhne der einzelnen Wirtschaftszweige in verschiedenen Talschaften und Betrieben noch unter dem Durchschnitt der Nettolöhne unserer Nachbarländer liegen, herrscht in Südtirol praktisch Vollbeschäftigung. In allen Zweigen der Wirtschaft fehlen Arbeitskräfte.

Nach Eignung und Neigung

Die Betreuung des Südtiroler Arbeiters hat sich bisher auf die Arbeitsplatzbeschaffung konzentriert, da bis vor kurzer Zeit sehr viele Südtiroler tatsächlich gezwungen waren, aus Mangel an Arbeitsplätzen ins Ausland abzuwandern. Durch die starke Abwanderung wurden vor allem die jungen Arbeitskräfte dezimiert. Wenn man heute von „Vollbeschäftigung“ sprechen kann, so nicht zuletzt deshalb, weil neben dem Bemühen der öffentlichen Hand um die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen und einer abnehmenden Unterwanderung aus dem Süden gerade die eben erwähnte Abwanderung (zirka 8000 Südtiroler sollen sich zur Zeit im Ausland befinden) zur frühzeitigen Erreichung dieses Zustandes beigetragen hat.

Die Anspannung des Arbeitsmarktes läßt nun in der Betreuung der Arbeiterschaft völlig neue Gesichtspunkte zutage treten. Vor allem besteht nicht mehr die akute Notwendigkeit, dem Arbeiter einfach wahllos zu einem Arbeitsplatz zu verhelfen. Es geht vielmehr schon um die Überlegung, welche Beschäftigung sich für eine Arbeitskraft besonders eignet („Der richtige Mann an den richtigen Platz“), welcher Beruf eine gute Aufstiegsmöglichkeit und eine sichere Existenz bietet und an welchem Arbeitsplatz eiij gutes Betriebsklima vorhanden ist

Die Aufgabe der Arbeiterbetreuung besteht also nicht mehr in einer reinen Arbeitsplatzbeschaffung, sondern in einer Berücksichtigung der persönlichen Eignung und Neigung des Arbeiters unter Beachtung der realen Existenzmöglichkeiten. Ebenso muß die Ausbildung von dem Leitgedanken getragen sein, entwicklungsfähigen und existenzsicheren Berufen den Vorrang einzuräumen; denn Lehrlinge für Berufe auszubilden, die in den nächsten Jahren zurückgehen und nicht ausreichende Löhne einbringen werden, hikße sie zu zwingen, nach bestandener Lehre ins Ausland abzuwandern.

Per Bedarf an Facharbeitern ist heute in Südtirol größer denn je. Freilich besteht auch in jedem Beruf ein Mangel an Hilfsarbeitern; in manchen Sparten sind kaum mehr welche zu finden. Trotz dieses Mangels an Hilfsarbeitern ist darauf zu achten, daß nur ein möglichst kleiner Teil der Arbeiterschaft auf der Hilfsarbeiterstufe stehen bleibt. Wenn nämlich die Weiterentwicklung auf wirtschaftlicher Ebene in Südtirol vorangetrieben werden soll, müssen wir alles daran setzen, daß die Durchschnittsbildung um ein Bedeutendes erweitert wird. Einer der wichtigsten Maßstäbe, an dem gemessen werden kahn, ob wir uns als Volk in Südtirol behaupten, ist: In welchem Ausmaß stehen uns Leute zur Verfügung, die auf Grund ihrer Ausbildung und Fähigkeit in der Lage sind, führende Stellen einzunehmen?

Mehr Berufsausbildung!

Der Grund dafür, daß die Durchschnittsbildung der Südtiroler

Arbeiter niedriger ist als die des Schweizers, des Österreichers oder des Deutschen, liegt nicht zuletzt auch darin, daß in Südtirol neben der ordentlichen Berufsausbildung zu wenig gute, gediegene Möglichkeiten zur fachlichen Weiterbildung in der Freizeit vorhanden sind. Leider ziehen auch viele Arbeiter eine Liftboy- oder Hilfsarbeiterstelle einer Lehrstelle vor, weil sie für ihre Ausbildung keine Opfer mehr bringen und gleich verdienen wollen.

Vom Auswanderungsstopp zur Rückwanderung

Die Betreuung des Arbeiters hat sich in den letzen Jahren sehr stark auf die Verhinderung der Abwanderung konzentriert. Auch hier muß ein Schritt weiter getan werden. Die im Ausland lebenden Südtiroler sollen nach Möglichkeit erfaßt und — soweit sie gut ausgebildet sind — wieder in die heimische Wirtschaft eingegliedert werden. Eine solche Aktion kann allerdings nur dann mit Erfolg durchgeführt werden, wenn einige grundlegende soziale Mißstände beseitigt werden. Leider kommt es in Südtirol noch vor, daß die Sozialabgaben nicht immer den Reallöhnen entsprechen. Hier ist eine dringende Aufklärungsarbeit notwendig. Einerseits muß dem

Arbeitnehmer gesagt werden, daß die Sozialabgaben, die der Unternehmer für ihn bezahlt, ein Bestandteil seines Lohnes sind. Ferner, daß eine Lohnerhöhung bei nur teilweiser Sozialversicherung eine falsche Vortäuschung ist. Wenn nämlich nur ein Bruchteil des Lohnes angemeldet wird, so erhält der Arbeiter in seinen alten Tagen die Mindestrente von 12.000 Lire; würde er mit seinem vollen Verdienst gemeldet, nehmen wir an, mit 60.000 Lire pro Monat, so könnte er bis 70 Prozent des letzten Lohnes, das heißt 42.000 Lire als Altersrente erhalten. Dem Unternehmer muß gesagt werden, daß bei nicht voller Versicherung in Zukunft erhöhte Gelder für Altersheime, außerordentliche Fürsorgerenten und so weiter verwendet werden müssen und anderseits diese ungerechte Versicherungsmethode ein zügiger Slogan des radikalen Arbeiterflügels für politische Propaganda ist.

Eine Entwicklung, der in Zukunft ein besonderes Augenmerk geschenkt werden soll, besteht im Mündigwerden des Arbeitnehmers. Bisher hat es dem Arbeiter genügt, eine Beschäftigung zu finden. Heute will er durch seine Tätigkeit befriedigt werden. Die Welt ist kleiner geworden, und jeder Arbeiter lernt andere Arbeitsweisen, andere Arbeitsvorgänge und oft auch ein gutes Betriebsklima kennen, das er an seinem Arbeitsplatz in der Heimat nicht mehr missen möchte. Mit dem Mündigwerden des Arbeiters ist nun aber auch die große Gefahr der Radikalisierung verbunden. Dem Arbeiter die Mitbestimmung und Mitverantwortung im Betrieb auf die Dauer vorenthalten, hieße ihn sozialistischen und kommunistischen Organisationen in die Hände treiben. In Zukunft muß daher sowohl auf dem Gebiet der kulturellen Hebung des Arbeiterstandes wie auch auf dem Gebiete der ideologischen Orientierung und Festigung intensiv gearbeitet werden.

Zusammenfassend: Dem Süd tiroler Arbeiter kann in mancher Hinsicht wohl auch noch wirtschaftlich und materiell geholfen werden. Das Hauptgewicht der Betreuung des Arbeitnehmers hat sich jedoch auf das Kulturelle, auf die richtige Führung und Schulung sowie auf die Überlassung der Mitverantwortung im Betrieb verlagert. Wesentlich bleibt jedoch, auch durch die Tat unserer Arbeiterschaft zu beweisen, daß die christliche Soziallehre nicht eine theoretische Phrase ist. Der Arbeiter muß wieder so weit gebracht werden, daß er sich des Vertrauens seines Arbeitgebers würdig erweist, nicht mehr aus Angst oder Sorge um seinen Arbeitsplatz, sondern aus Überzeugung, daß das hohe Gut der christlichen Soziallehre auch dem Arbeiterstand die größten Vorteile bringt

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