6606370-1954_21_09.jpg
Digital In Arbeit

Enge und Not des „ungelernten“ Arbeiters

Werbung
Werbung
Werbung

Wer heute neuzeitlich geführte Betriebe besucht, wird immer wieder feststellen müssen, daß die Zahl der ungelernten, also der Hilfsarbeiter, auffallend gering ist und daß diese nur noch für dife einfachsten, z. B. für die Reinigungsarbeiten, verwendet werden. An den Maschinen stehen ausschließlich Facharbeiter, zumindest gut angelernte, die eine gründliche Schulung genossen haben.

Die Ursache ist klar. Der steigende Wettbewerb, die höheren Ansprüche an die Güte und Gleichmäßigkeit der Erzeugnisse, die notwendige Ausnützung und Wartung der kostspieligen Maschinen und die hohen Löhne und Nebenausgaben, die nur bei guten Leistuqgen wirtschaftlich tragbar sind, verlangen gebieterisch die Verwendung qualifizierter Arbeitskräfte.

Dies gilt für alle Industrien, aber auch für die Landwirtschaft. Die Not an Arbeitskräften, die steigende Verwendung von Maschinen1 und die höheren materiellen Ansprüche der Landarbeiter, die mit Recht die volle Gleichstellung mit den Industriearbeitern verlangen, erfordern möglichst gut ausgebildete Helfer. Die Einführung . einer Lehrzeit und die Bemühungen um bessere fachliche Ausbildung des Landarbeiters entsprechen diesen Forderungen, und man kann allenthalben feststellen, daß .zugleich mit dem Rückgang der Zahl der bedächtig über das Feld schreitenden Zugochsen, deren’ Tagesleistung in keinem Verhältnis zu ihrer Anschaffung steht, auch ein Rückgang der ungelernten Landarbeiter vor sich geht. (In jüngster Zeit ergeben sich bereits in den im Landarbeitergesetz vorgesehenen Schlichtungsausschüssen erhebliche Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Lohnansprüche der „nicht vollwertigen Arbeitskräfte“.)

Diese Entwicklung hemmt aus den gleichen

1 Selbst im Kleinbetrieb nimmt die Verwendung der Landmaschinen zu: So erfuhr in Westdeutschland die’ Zahl der :in den weniger als zehn Hektar umfassenden Betrieben verwendeten Traktoren innerhalb des Jahres 1952 eine Steigerung um 59,3 Prozent!

Die 6000 Sägewerke Oesterreichs beschäftigen neben 23.100 Arbeitern nur 237 Lehrlinge.

Die „Alpine" bildet zur Zeit in acht Werkschulen 972 Lehrlinge aus.

Gründen auch die Verwendung von Kindern, ja auch von Lehrlingen, da auch für diese im neuzeitlichen Betrieb mit seinen hohen Anforderungen immer geringere Betätigungsmöglichkeit besteht2. Dadurch wird aber bedauerlicherweise die Heranbildung eines fachlich hochwertigen Nachwuchses wesentlich erschwert. Große Industriebetriebe suchen diese Schwierigkeiten mit Erfolg dadurch zu überbrücken, daß sie Jugendliche nach einer sehr strengen Auslese in fabrikseigene Fachschulen aufnehmen, dort unter Anleitung der besten Ingenieure und Meister planmäßig ausbilden und nach zweijähriger Schulungszeit der Reihe nach in den einzelnen Abteilungen zu weiterer Ausbildung einsetzen — erst dann werden sie als vollwertige Facharbeiter eingestellt3.

Diese Art der Schulung beschränkt sich aber nur auf wenige tausend Lehrlinge. Alle übrigen Jugendlichen müssen, wenn sie das

Glück haben, eine Lehrstelle zu finden (im

August 1953 waren bei den Arbeitsämtern

17.026 Lehrstellensuchende, aber nur 4584

offene Lehrstellen gemeldet), mit dem vorlieb nehmen, was der Meister weitergeben kann und will — oder eben als ungelernte Arbeiter den Kampf ums tägliche Brot aufnehmen.

Die Schwierigkeiten, in dieser Berufsgruppe eine entsprechende Dauerstellung zu finden, werden ständig größer, denn sie erhält fortlaufend Nachwuchs aus den Kreisen der Schulentlassenen und der landflüchtigen Bauernkinder, während sich die Arbeitsmöglichkeiten ständig verringern.

Eine, fühlbare Erleichterung kann in erster Linie durch eine bestmögliche Ausbildung aller Kinder in den Volks-, Haupt- und Fortbildungsschulen erreicht werden.’ Jeder, der einen gründlichen Unterricht genossen’ hat, dessen Denken auf gelockert wurde, in dem der Sinn für das Neue, Bessere und natürlich auch für das Gute geweckt wurde, wird sich in allen Lebenslagen bewähren und dadurch auch leichter zum Facharbeiter vorrücken. Nur der gründlich Geschulte — was auch in einer zweitklassigen Volksschule geschehen kann — wird selbst bei eintönigir Arbeit nicht zum seelenlosen Automaten Werden und den Sinn für die Weiterentwicklung bewahren. Man vergesse nie, daß auch die beste, in der Handhabung, einfachste Maschine wertlos ist, wenn sie nicht mit Verständnis und Einfühlungsvermögen behandelt wird, mit einer Einstellung, die in der Schule entwickelt werden muß!

Größte Bedeutung kommt auch der richtigen Berufswahl, der gründlichen Beratung und der richtigen Lenkung der Schulentlassenen zu. Junge Menschen, die erst spät ihre Ungeeignetheit für den vorschnell gewählten Beruf entdecken, werden meist auch im neuen Beruf scheitern und schließlich zum Hilfsarbeiter ohne Fachkenntnisse und Wertung herabsinken.

Auch die gebesserte Lage des Landarbeiters und neue Erwerbsmöglichkeiten für jene Bauernkinder, die keinen Hof übernehmen können, werden diese davon abhalten, mit unbekannten Zielen das heimische Dorf zu verlassen, und damit die Zahl der ungelernten Arbeiter verringern.

Das Schicksal des ungelernte Arbeiters wird .zusehends schwieriger. Es wird immer vordringlicher, sich seiner anzunehmen und seiner Not zu steuern.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung