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Psychologie und Volkswirtschaft

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Seit zwei bis drei Jahrzehnten hat sich im Wirtschaftsleben die Praxis eingebürgert, bei der Auslese der Arbeiter und Angestellten psychologische Verfahren anzuwenden. Ihre typische Ausprägung fanden diese in der sogenannten „P s y c h o t e c h-n i k“, von der ein kleines Teilgebiet die Eignungspsychologie, Bedeutung gewann. Seit jeher — auch heute noch — wird die Ausbildung in einem Beruf, ob handwerklichen oder industriellen, einfachen oder „höheren“, gewöhnlich von Schulzeugnissen und Aufnahmsprüfungen abhängig gemacht, also von einem Nachweis besti nm-ter Kenntnisse. Die tägliche Erfahrung lehrt jedoch, daß Kenntnisse, so wichtig sie sind, nicht immer den' richtigen Maßstab für ein erfolgreiches Wirken im Leben darstellen. Immer stärker setzte sich die Erkenntnis durch, daß den natürlichen A n-lagen des einzelnen mindestens die gleiche Bedeutung für sein erfolgreiches Wirken im Leben zukommt wie den Kenntnissen. Die Untersuchung der Begabung, der Eignung ist Aufgabe der Psychologie und wurde vor allem in den Berufsberatungsstellen der Arbeitsämter systematisch gepflegt und allmählich ausgebaut.

Zwei Fehler hat man mit Recht der „Psychotechnik“ zum Vorwurfe gemacht: erstens wurde sie vielfach von Leuten ausgeübt, die vielleicht gute Praktiker, Techniker, Ingenieure waren, jedoch keine Psychologen, bestenfalls angelernte „Psychotechniker“; zweitens hatte sich die Psychotechnik auf die Feststellung einzelner geistiger Eigenschaften verlegt und übersehen, daß jemand ein tüchtiger Fachmann, ein Könner auf seinem Gebiete nicht deskalb wurde, weil er diese oder jene Einzelfähigkeit besaß, sondern weil der ganze Mensch, die gesamte Persönlichkeit mit allen ihren Begabungen und Kenntnissen, aber auch mit allen Willensund Gemütskräften einem bestimmten Ziel zustrebte. Solange diese „Psychotechniker“ am Werke waten, konnte man daher keinen Fortschritt in der angewandten Psychologie erhoffen. Erst als nach und nach richtige Psychologen die Führung in der praktischen Anwendung der Psychologie übernahmen, wurden die Methoden wissenschaftlich einwandfrei weiter entwickelt. Der Weg führte über die Einbeziehung der Typenlehren zum stärkeren Einbau der Charakterkunde und schließlich zur Verwertung biologisener und entwicklungspsychologischer Erkenntnisse. Der Fortschritt kann aber nur gehalten werden, wenn die angewandte Psychologie nicht wieder den berufenen Händen entgleitet. Wie man betriebsärztliche Untersuchungen nicht von Sanitätsgehilfen durchführen läßt, sondern selbstverständlich nur von Ärzten, erfordert auch die Wirtschaftspsychologie den voll ausgebildeten Fachmann.

Heute stehen wir vor einer ähnlichen Gefahr wie damals, als die „Psychotechnik“ blühte. Die Umwälzungen, die Leiden und Sorgen der letzten Jahre haben die Menschen unsicher, viele sogar haltlos gemacht. Die Erfahrungen seither konnten noch nicht darnach sein, um allen unter den fürchterlichen Heimsuchungen erschütterten Herzen schon ihr Selbstbewußtsein und das Vertrauen in die eigene Kraft wieder zu geben. Daher beobachten wir da und dort eine Art Flucht aus derWirk-1 i c h k e i t, aus den harten Anforderungen des Lebens unserer Tage. Diese Erscheinung machen sich • pseudowissenschaftlichen Einrichtungen zunutze, die in unverantwortlicher Weise den Menschen eine Zukunft aach ihren Wunschträumen vorlügen: W aÄi rsagerei, Chiromant i k und Astrologie nehmen in gewissen Volksschichten leider zu. Wie Pilze nach einem warmen Sommerregen schießen diese Einrichtungen aus dem Boden und machen sich die seelische Not der Mitbürger und ihre Leichtgläubigkeit zunutze. Sollte Österreich nicht auch dem Beispiele der Staaten folgen„ die Kartenaufschlagen , Handlesen und Astro-lbgie für Zwecke der Schicksalsvorhersage verboten und unter Strafe gestellt haben? Ohne die wissenschaftliche Bedeutung der Graphologie herabzusetzen, sollte auch überlegt werden, wie man ihren Mißbrauch zur Zukunftsdeutung verhindern könnte. Diese Irrwege mußten genannt und damit von unserer Betracht ng ausgeschieden werden, mit der sie im Grunde nichts gemein haben.

Die Wirtschaftspsychologie erschöpfte sich, man muß fast sagen, in der Anwendung der Eignungsprüfungen. Nur wenige Großbetriebe führten auch die Schulung und Ausbildung ihres Berufsnachwuch-s e s nach psychologischen Methoden durch. Für diesen Zweig sollten die Kammern, Innungen und Schulbehörden ein größeres Interesse zeigen, je dringender die Heranbildung gut qualifizierter Facharbeiter und eines hochstehenden technischen Personals durch die beruflichen Fachschulen sich erweist. Es scheint, daß die Unterrichtsverwaltung sich hier mit begrüßenswerten Absichten trägt. Die Voraussetzung wäre freilich eine entsprechende psychologische Schulung der Fachschullehrer und Werkmeister. Die Ausbildung unserer Ingenieure an den technischen Hochschulen Österreichs bleibt in dieser Hinsicht gegenüber anderen Ländern noch zurück.

Über das Problem der Ausbildung hinaus eröffnet sich aber der Wirtschaftspsycho-logic ein weites Feld, das selbst in interessierten Fachkreisen oft kaum dem Namen nach bekannt ist. Wer denkt etwa daran, daß das Aufblühen einei Industrie sehr stark von den psychischen Eigenheiten des Volksstammes abhängig, ist, in dessen Raum sich diese Industrie niedergelassen hat? Daß die Feineisen- und Uhrenindustrie im schwäbisch-alemanischen Gebiet, die Schwerindustrie mehr in Westfalen-Rheinland beheimatet ist, hängt nicht allein mit dem Vorkommen der Rohstoffe (vor allem der Kohle) zusammen. Die beiden Volksstämme weisen seelische Eigenheiten auf, die ein Aufblühen der verschiedenen Industriearten unterstützten. In Westfalen sitzt ein schwerer und zäher Volksstamm, der Südwestdeutsche dagegen ist leichter, wendiger und hat gute Anlagen für feine Handarbeit. Dann haben Binnenwanderungen eingesetzt, die Menschen in diese Gebiete führten, die die notwendigen seelischen Voraussetzungen für die geforderten Arbeiten mitbrachten. Diese Zusammenhänge dürfen aber von einer zentralen Planungsstelle nicht mehr übersehen werden Gerade das österreichische Volk ist sehr stark spezialisiert und weist die vielfältigsten Sonderbegabungen auf. Vielfach sind sogar einzelne Talschaften in den Alpenländern begabungsmäßig unerwartet stark verschieden. Bei der Verlegung und Entwicklung bestimmter Industrien werden künftig auch die begabungsmäßigen Anlagen der Bei völkerung zu prüfen sein, um Fehlleitungen des so kostbar gewordenen Kapitals zu vermeiden. Daß die Neigungen, Geschmacksrichtungen usw. der Völker, denen wir unsere Waren zum Kaufe anbieten, gründlich gekannt sein wollen, soll das Geschäft einträglich sein, ist bekannt, ist aber im Grunde nicht auch hier eine systematische wirtschaftspsychologische Durchforsche ng der erwünschten oder in Betracht komn- n-den. Absatzgebiete eine fast unentbehrliche Voraussetzung eines gewinnbringenden Außenhandels?

Wir begnügen uns mit diesen paar Andeutungen, um mit der Darstellung der sich öffnenden Möglichkeiten nicht uferlos zu werden. Möge den Berufenen die rechtzeitige Vorsorge gelingen!

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