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Vom Werden und Wirken einer Jungbauernschule

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Dieses stand als Voraussetzung vor uns, als wir's begannen: daß diese Schule vor dem bestehen sollte, was als tiefes Erlebnis uns zuteil wurde, da wir in den Bombennächten oder unter dem Artilleriegedröhne uns zusammenkauerten, oder verlassen waren in der eisigen Öde des Ostens, in der furchtbaren Masse der Gefangenschaft; daß unsere Schule versuchen mußte, die Kluft zu schließen zwischen dem, was unsre hochentwickelte Forschung weiß und unsre in der Karrnerlast täglichen Robots versinkende landwirtschaftliche, Praxis übt; daß unsre Schule jenem Kern des Volkes zu dem gebührenden Selbstbewußtsein verhelfen müßte, der er, trotz größter Ansprüche, die an ihn gestellt werden, immer noch Zweiter zu sein wähnt; schließlich, daß diese Schule das reinste, was unser Jahrhundert an geistiger Strömung hervorgebracht hat, das Ethos der Jugendbewegung aus den Jahren um den ersten Weltkrieg, für das Jungbauerntum zu leben hatte.

Eine große und schöne Aufgabe war uns gestellt: auf dem 700 Jahre alten Schloß Thum im Lavanttale, in dem sich Romanik, Gotik und Renaissance prachtvoll mischen, inmitten eines paradiesischen Landstriches und für einen Volksteil, der weithin ob seiner besonderen Herzinnigkeit bekannt ist, eine Lehr- und Heimstätte für Bauernburschen und -mäd-chen der besten Jahre zwischen 18 und 25 zu schaffen.

Wir übernahmen auch ein Erb e; eine seit Jahrzehnten bestehende Schultradition, Verpflichtungen an Vorgänger und Vorbilder, Verpflichtungen gegenüber den im bäuerlichen Alltag schwer schaffenden Menschen um uns. Wir übernahmen als Erbe manche Beschwerde und Benommenheit aus dieser Tradition und dieser Umwelt, wie sie nur im Alltag erst zur Geltung kommt. Und übernahmen das schöne Schloß vom Schwall des Krieges überflutet mit Umsiedlern und Einquai-tierungen und manchem, das Krieg und Zusammenbruch zerbrochen hatte an Materiellem und Seelischem.

Aber dann kamen sie, die ersten Thürner Burschen, kamen zum Teil im Soldatenrock und der eine und andere Lehrer hatte ihn nicht lange vorher abgelegt. Dann saßen wir in den kalten Schulzimmem, aßen die auch auf dem Lande schmalen Rationen; des Nachts huschelten sie sich in die Decken, während ihr Atem eisgrau in den eiskalten Raum ging; sie räumten Schutt weg, gingen Holz Schlägern, fuhren, um Kartoffel zu bitten, nach Hause — und saßen doch immer gespannt vor des Lehrers sie mächtig bedrängenden Worten von landwirtschaftlichen Fortschritt, bäuerlicher Verselbständigung und neuem Anfang.

Da war der unbändig große Lehrstoff, von den Grundfächem Rechnen und Sprachlehre, Heimatkunde beginnend, über die Physik, Chemie, Biologie und Physiologie zur Ackerbaulehre und Tierzucht, zur Pflanzenbaulehre und Fütterungskunde, über die Volkswirtschaftslehre zur Betriebslehre und Buchführung, zur Tierheilkunde, Forstwirtschaftslehre und Maschinenkunde und was der vielen Fächer mehr waren. Gewiß hatte es einmal erprobte Lehrpläne gegeben, aber wer wollte leugnen, daß an diesen manches der Zeit entsprechend abgeändert werden mußte; es gab keine Bücher, kaum Hefte, in die man hätte mitschreiben können, was der Lehrer vortrug. Und so war es ein erstes, Texte zu beschaffen, und manche Nächte gingen auf diese Arbeit auf. Es wurde bald klar, daß es ein für allemal vorbei war mit dem bloßen Kreideunterricht an der Tafel, und das erst recht an der Landwirtschaftsschule. Zeigen, vorweisen, handanlegen lassen, aber immer wieder nur so viel, als mit dem Handanlegen ein Verstehen erlernt werden kann. Und so haben wir auch dies begonnen, Le h r m i 11 e 1, Demonstrationseinrichtungen zu schaffen. Haben uns den Kopf reichlich zerbrochen, was denn alles demonstriert werden könnte, und sind dabei inne geworden, daß solcher Möglichkeiten tatsächlich zahllose sind, wenn man's erst einmal begann. So haben wir unseren Burschen Texte an die Hand gegeben und sie dadurch frei gemacht, unseren Vortrag und Vorweisen besser zuzuhören, haben das Wechselgespräch vom Zaun gebrochen; Unterrichtsstunden lösten wir in Ubungsstunden auf, Vorweisungen an der Tafel in Begehungen an Ort und Stelle, Prüfungen in Versammlungsreden und Debatten; und mit der Zeit schien es, als ob es derart gelänge, mehr Stoff in kürzerer Zeit zum Verständnis zu bringen.

Wir waren immer der Meinung, daß unser Landwirtschaftswissen ein unteilbares Wissen ist; nicht ein kleinerer Pflanzenbau für den Winterschüler, ein größerer für den Hochschüler, weil man die richtige Kultur einer Pflanze immer nur ganz wiedergeben kann. Aber wir wußten, daß, wenn man dem Winterschüler das ungeteilte Landwirtschaftswissen beibringen wollte, man immer nur den Kern der Sache so bringen durfte, daß das Verständnis gefördert und doch nirgends die Theorie um der Spekulation willen gepflegt wird. Aus diesem Bestreben, das Wesentliche mit geringstem Aufwand zu sagen, entstanden unsere Texte nach Art von Faustregeln, unsere Lehrmittel, wie etwa das „Thürner Düngungsspiel“, das „Thürner Wiesenspiel“, entstanden unsere maschinenkundlichen Übungen und unsere Lehrwerkstätte, unsere Tiervorführungen, aber auch unsere „Lebende Pflanzenbaulehre“, das Lehrfeld unserer Schule, und unser „Versuchsring Lavanttal“ mit seinen dreißig großangelegten Feldversuchen inmitten der bäuerlichen Praxis, ein unübertreffliches Lehr- und Demonstrationsmittel. Wir haben die Lehrfahrt zum wesentlichen Bestandteil des Unterrichtes werden lassen, haben darauf gesehen, daß unsere Burschenschaft über Fachversammlungen, an denen sie teilzunehmen hatte, Bericht und Kritik zu geben imstande war, wir legten ihnen ein Dutzend Fachzeitschriften ständig vor die Nase. Und wir haben sie die sogenannten „Gesellenstücke“ machen lassen, der eine ein Pferdehalfter, der andere einen Kreissägetisch, der dritte das Modell einer Reautschnig-Aufstallung, der vierte Strohmatten für das Mistbeet, der fünfte eine Bodenkarte und so vieles andere. Auch dies schien, wie manches unseres Beginnens, zunächst ein Wagnis, aber am Ende war's doch ein Gelingen, das dazu geführt hat, unseren Burschen Verstehen und Handanlegen zu lehren, und was müßte der Bauer nicht mehr pflegen als das Verstehen und Handanlegen.

So ist aus dem Ersten, noch Ungewissen in Hunger und Kälte und Dunkel der Nachkriegszeit mit der Jugend, die uns anvertraut war und die nach soviel Vernichtung und Zusammenbruch, nach soviel Bedrängnis und an den Rand des Lebensgedrängtseins auch uns, um soviel Ältere, mächtig jung erfüllte, so ist unser Thürn geworden und braucht sich heute wirklich nicht beklagen, daß ihm nicht von nah und fern die beste Jugend zueilte.

Und doch ist's nicht dies allein, das unsere Schule, „unser Thürn“, werden ließ, das unserer Schule den Ruf eingetragen hat, ihren eigenen, einen besonderen Geist zu besitzen, den Geist unserer „Thürner Gemeinde“, unseres demokratischen Beisammenseins, unseres soldatisch pflichtbewußten und dennoch von jungbewegter Kameradschaftlichkeit getragenen Zusammenstehens.

Audi dieses kam so von selbst: als es g zweckmäßig erschien, Belange der Schülerschaft m i t der Schülerschaft zu überlegen. Sie wählte aus sich heraus eine Führung, und je nachdem sie eine tüchtige, aufgabenbewußte wählte oder nicht, geriet ihre Vertretung zum Vorteil aller Und so wurden sie selbstbewußt, stark, und sollten sie denn nicht stark werden, diese junge Menschen?

Es bot ihr der Verein „Die Thürner“ auch den „Apparat“ für die Gestaltung von Fest und Feiern; und Feste feierte man bei uns, wenn man in den sauren Wochen fleißig gewesen war. Dann strahlt unser Haus, das wir aus dem Dunkel der Nachkriegszeit mit geringen Mitteln zu einem freundlichen Heim zu machen vermochten. Dann strahlt unsere Burschenschaft und Mädchenschar — denn som-mersüber sind gleich im ersten Thürner Jahr auch die ersten Thürnerinnen eingezogen und haben mit Hand angelegt, daß aus Schutt eine Schule wurde-

Der Glaube, daß Stählung von Körper und Willen vom jungen Menschen gefordert werden muß, ist es auch, der uns die Einrichtung des Werkstudenten auch hier einführen ließ. Vor allem die verantwortungsbewußt getane Arbeit adelt den Menschen; und so sind unsere Wer k-schüler die Ersten unter ihren Kameraden und an Stelle eines Hauswartes, versehen sie — dadurch ihr Studium verdienend — tägliche Kleinarbeiten.

Am freundlichsten ist es in unserem Thürn, wenn des Sommers linde Luft weht und der Mädchen helle Schar das weiße Schloß erfüllt. So vielseitig der Beruf des Bauern, so vielseitig die Aufgaben der modernen Bäuerin. Diese alle, wie sie ihr im Kochen und Nähert, im wohlorganisierten Haushaltführen und in der Kleinkinderbetreuung, mit dem Gemüsebau und der Kleintierhaltung gestellt werden, all dies in fünf kurzen Monaten nicht oberflächlich, sondern verständnisvoll geübt zu haben, verlangt ' festen Willen bei den Schülerinnen und klare Planung der Lehrerinnen. Ist's bei den Burschen das Studieren, das wir durch Übung veranschaulichen, so ist's bei den Mädchen das üben, das wir durch den Unterricht verstehen lehren. Früher beginnt ihr Taglauf, emsig in Arbeit und nicht weniger aufmerksam beim mannigfachen Unterricht; und doch sind es die Mädchen, die abends und immer wieder noch ein Lied auf den Lippen haben und das Haus mit Schmuck erfüllen und ihrem ureigensten Wesen eine Ehre machen.

Wir aber glauben dann, dem “gerecht geworden zu sein, was wir als Voraussetzung sahen: die tief erlebten Tage in Front und Kriegsgefangenschaft, die Verpflichtung um den ersten Stand unseres Volkes, «und das Wissen, daß uns eine Erneuerug des Lebens nur aus geistigseelischem Bereiche kommen kann.

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