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Vergrößerungswahn mit dem Handwerk

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Eine Überprüfung der heute gebräuchlichen wirtschaftlichen Schlagworte würde in vielen Fällen eine erstaunliche Hohlheit zutage fördern — erstaunlich deswegen, weil gar nicht zu begreifen ist, wie angesichts der Härte wirtschaftlicher Realitäten sich eine solche wortreiche und gedankenarme Dunstglocke über dem wirtschaftlichen Geschehen ausbreiten kann. Der Leere der Phraseologie steht auf der anderen Seite die Kritiklosigkeit gegenüber, mit der diese Slogans aufgenommen und hartnäckig bewahrt werden. Eines der Modeworte heißt Fusion. Wir sind heute im Zeichen dieses Schlagworts auf dem besten Weg, einer Vergrößerungspsychose zu erliegen, die in manchen Sektoren sich nahezu einer Panikstimmung nähert. Wenn über Strukturprobleme geredet wird, scheint es gar keine Möglichkeit mehr zu geben, über die Berechtigung des kleinen Unternehmens zu debattieren. Der Stab ist gebrochen, der Kleine hat zu verschwinden. Und das geschieht bei uns in einer Zeit, in der man zum Beispiel im hochindustrialisierten Schweden Einmannbetriebe als letzten Entwicklungsstand der Automatisierung vorführt und in den USA die Wiederkehr des Bantambetriebs, also des Zwergunternehmens, statistisch nachweist. Ja noch mehr: Eine der ersten wirtschaftspolitischen Aktionen der Nixon-Administration war die Mobilisierung der Antitrustgesetzgebung gegen die Fusionswelle, insbesondere gegen die sogenannten Konglomeratfusionen, das heißt die Zusammenfassung und, das Aufkaufen verschiedenartigster Unternehmen durch eine potente Finanzierungsgesellschaft. Man bezeichnet in den USA das Überborden der Fusionspolitik als moralisch und gesellschaftlich schädlich — eine interessante Begründung, wenn man ihr die Hektik gegenüberhält, mit der man in Österreich zur Zeit alles Heil von der Betriebsvergrößerung erwartet.

Hat dser kleine Betrieb, insbesondere der kleine Handwerker, in der Zeit der technischen Mammutorganisationen wirklich keine Existenzberechtigung mehr? Wir wollen in der Antwort auf diese im Grunde überflüssige Frage gar nicht erörtern, daß seit 1900 einige hundert neue Handwerksformen entstanden sind, denn diese Tatsache wird immer lüieder hervorgehoben, ohne anscheinend die Vergrößerungshysteriker überzeugen zu können, obwohl der Automechaniker ein sehr vielbegehrtes Beispiel liefert. Aber es verschwinden gar nicht einmal die scheinbar untergehenden Handwerksformen wirklich, sie kommen vielmehr in neuem Gewand munter und sehr lebenslustig neuerlich zum Vorschein. Der Flickschuster ist im Aussterben, aber das Schuhseruice ist im Kommen, beim Flickschneider erleben wir genau den gleichen Wandel, wie überhaupt in den Serviceberufen sehr viel Wiedergeburt von altem Handwerk zu finden ist, so zum Beispiel in der ganzen Andenkenproduktion für den Fremdenverkehr. Halten wir uns zur richtigen Abschätzung der Faktoren einmal die elementare Tatsache vor Augen, daß die europäische Industrie als Stammindustrie der ganzen Welt auf dem Fundament des Handwerks und der aus ihm hervorgegangenen und ihm gleichzustellenden Facharbeiterschaft beruht. Der Facharbeiter ist der Unteroffizier der modernen Wirtschaft. Mit Hilfsarbeitern und Anlernlingen läßt sich keine industrielle und technische Wirtschaft auf die Dauer führen. Der bloß auf den Handgriff angeschulte Arbeiter ist nicht imstande, mit den Schwierigkeiten und Tücken des technischen Apparats fertigzu-werden, das vermag nur der umfassend geschulte Facharbeiter und der ihm ausbildungsmäßig gleichwertige Handwerker. Das Fehlen solcher Kräfte verursacht weithin die Leistungsmängel der außereuropäischen Wirtschaften, weshalb man dort den europäischen Meister zu engagieren sucht oder die eigenen Leute zur Ausbildung nach Europa schickt. Bei uns hingegen geht man den entgegengesetzten Weg, man wertet den Facharbeiter ab, indem man ihm die begehrte Facharbeiterqualifikation verwehrt oder, sofern er selbständiger Handwerksunternehmer ist, das Lebensrecht wegen seiner Kleinheit absprechen will. Mit einer falschen Auffassung von Automation und Wissenschaft neigt man überhaupt zu einer Abwertung der handwerklichen „Technologie“, des handwerklichen Erfahrungsschatzes und der wirtschaftlichen Funktion der manuellen Geschicklichkeit. Was man jedoch auf diese Weise bei der vorderen Tür der Wirtschaft hinauswirft, holt man bei der Hintertür wieder herein. Die zu einem riese-gen Umfang angewachsene Do-it-yourself-Bewegung und die Pfusch-und Schwarzarbeit sind nichts anderes als Surrogate der aus den normalen Wirtschaftsstrukturen verdrängten handwerklichen Funktionen einschließlich der unternehmerischen Seiten des selbständigen Handwerks. Auch im Raum der heutigen technisierten Wirtschaft sind eben die Möglichkeiten keineswegs unendlich. Das Fazit sind nur Wiederholungen.

Die handwerkliche Geschicklichkeit ist auch heute weder zu entbehren noch auszuschalten. Im Gegenteil: Das Wunder der Computer und der integrierten Schaltkreise zeigt, daß gerade in der höchsten Technik genauso wie bisher der universell ausgebildete Facharbeiter die Leistung entscheidet. Deshalb sind die Forderungen nach der Züchtung von mehr Akademikern an Stelle von manuell tüchtigen Handwerkern gänzlich abwegig. Man schafft damit nur ein Proletariat drittklassiger Intellektueller statt einer Elite erstklassiger Produktionskräfte.

Die wachsend) Bedeutung von hochqualifizierten Fertigungsbranchen für Kleinstaaten wie Österreich beweist am besten, daß man die handwerkliche Leistung nicht dem Hobby und dem Pfusch überlassen und den Kleinbetrieb mit seiner schöpferischen Unternehmertätigkeit nicht dem Moloch der Riesenkonzerne opfern darf. Dazu kommt, daß heute der Nebenberuf für die Landwirtschaft zum unentbehrlichen Mittel für die Erhaltung ihrer Funktionen wird, die weit über das hinausgehen, was sich der Laie darunter vorstellt. Die Beseitigung der Landwirtschaft zum Beispiel in den engen Alpentälern infolge ausreichender Lebensmöglichkeiten würde dort nicht nur Wasserhaushalt, Klima usw. zerstören, sondern auch dem lebensnotwendigen Fremdenverkehr und sogar der Industrialisierung die Daseinsmöglichkeiten wegnehmen — die Ansiedlung von Hoteldörfern zum Beispiel am landwirtschafts- und gewerbeleeren Raum hat sich fast immer als Totgeburt erwiesen. Der handwerkliche Zweitberuf der Landwirtschaft und umgekehrt ist daher ein echtes wirtschaftliches Strukturelement, ohne das das Bergland überhaupt nicht bestehen kann. Der ehemalige Landwirtschaftsminister Thoma, der zugleich Landwirt und gelernter Seilermeister war, ist ein echtes Symbol der österreichischen bzw. der alpinen Wirtschaftsordnung gewesen. Man wird sich künftighin an solchen Beispielen aus dter Wirklichkeit orientieren müssen, wenn man der österreichischen Wirtschaft reale Zukunftschancen eröffnen will.

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