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Arbeitskraft maßgefertigt

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Der Anteil an ungelernten Arbeitskräften ist derzeit unter den Langzeitarbeitslosen besonders hoch. Andererseits stehen viele Firmen vor dem Problem, Facharbeiter für bestimmte Arbeiten kaum auftreiben zu können.

Der Wiener Handelskammerpräsident Karl Dittrich zählt 700 Betriebe allein in der Bundeshauptstadt, denen es an jungen Facharbeitern mangelt. Bei einer Umfrage unter burgenländischen

Gewerbetreibenden sprechen 39 Prozent von einem akuten Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften. Ein Vorarlberger Firmenchef stellt in Zeitungsartikel unermüd- ■ lieh seine fünfzig „zur Beseitigung von Kapazitätsengpässen“ geleasten Mitarbeiter heraus.

Den Bürger wundert's: Rund 206.000 arbeitslose Menschen und es mangelt trotzdem an Fachkräften?

Tatsächlich stehen österreichweit rund 16.000 Stellen für qualifizierte Arbeiter offen. 30.000 Menschen mit abgeschlossener Lehre, die Bauarbeiter ausgenommen, müssen aber „stempeln“ gehen.

„Die Erfordernisse sind in den letzten Jahren einfach enorm gestiegen“, versucht Franz Gundak-ker, oberster Arbeitsmarktbeobachter beim Landesarbeitsamt Niederösterreich, diese merkwürdige Diskrepanz aufzulösen. „Immer mehr Leute fallen dem Selektionsprozeß der Betriebe zum Opfer. Wo früher ein Hauptschüler genügte, tut man's nicht mehr unter einem Handelsschulabschluß. Und ohne Praxis geht sowieso nichts mehr.“

Die Firmen suchen zunehmend Arbeitskräfte, die über mehr Kenntnisse als „nur“ einen entsprechenden Lehrabschluß verfügen. Sie suchen aber meist die ideale Besetzung für einen bestimmten Arbeitsplatz. Und die läßt sich inmitten eines Strukturwandels nicht so leicht finden. Daher macht sich unter den Unternehmern zusehends die Vorstellung breit, für bestimmte Berufsanforderungen gäbe es eben kein geeignetes Angebot an Arbeitskräften.

In der Praxis sieht das so aus, daß plötzlich ganz spezielle Anlagemonteure gesucht werden, wo es doch noch gar keine entsprechenden Absolventen gibt. Da muß ein LKW-Fahrer plötzlich Kenntnisse im Zollrecht haben. Ganz abgesehen von Wünschen nach Ausbildung in der Mikro-

elektronik, moderner Bürotechnik etc.

Zur Behebung solcher Defizite ziehen Bundeswirtschaftskammer und Arbeitsmarktverwaltung an einem Strang: Aus- und Weiterbildungskurse, Maßnahmen zur Erhöhung der beruflichen und geographischen Mobilität, Beratung für zukunftsorientierte und gegen geschlechtsspezifische Lehrstellenauswahl werden großgeschrieben.

In Niederösterreich beispielsweise stieg die Zahl der Facharbeiter-Weiterbildungskurse in den letzten vier Jahren von 80 auf 270. Insgesamt fördert die Arbeitsmarktverwaltung derzeit über 1.000 Kurse mit 20.000 Teilnehmern durch vollständiges Ubernehmen der Kosten. Weitere 500 Kurse mit knapp 5.000 Wissensdurstigen werden durch Zuschüsse unterstützt. Die unvermeidlichen Dissonanzen dabei: Die Unternehmer singen das Ur-alt-Lied vom fehlenden Arbeitswillen; besonders Kleinbetriebe haben aber erfahrungsgemäß noch immer Berührungsängste mit dem Arbeitsamt.

Die Gegenseite greift einmal mehr auf die historischen Ursachen des von ihr naturgemäß als nicht so drastisch angesehenen Facharbeitermangels zurück: Jahrzehntelang habe die Wirtschaft überaus stark nach ungelernten Hilfskräften verlangt. Franz Gundacker bringt das Problem auf einen Nenner: „Die Firmen bilden einfach keine geeigneten Leute mehr selbst aus.“

Sieht man sich die Lehrabschlußprüfungen zum Beispiel bei den Kfz-Mechaniker-Lehr-lingen im Gewerbe und in der Industrie an, so erhärtet sich zumindest im Gewerbebereich der Verdacht eines selbstverschuldeten Defizits an qualifiziertem Nachwuchs. Bei der Meisterprüfung fällt jeder vierte Kfz-Mechani-ker-Lehrling durch, im Industriebereich scheitern nur halb so viele. Am deutlichsten zeigen sich die Mängel innerhalb der Ausbildung auch im allzu häufigen Zwang zur Verrichtung berufsfremder Tätigkeiten.

Einig sind sich alle von Arbeitsmarktsorgen geplagten Interessenvertreter bei den Zukunftsperspektiven: Vorbei ist endgültig die Zeit, wo ein Teenager einen Beruf erlernte, den er so und nicht viel anders bis zu seiner Pensionierung ausüben konnte.

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