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Trampelpfade mutig verlassen

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Das Risiko, trotz eines absolvierten Universitätsstudiums auch arbeitslos zu werden, wächst. Der Einstieg ins Erwerbsleben erweist sich zunehmend als Nadelöhr, vielen Jungakademikern gelingt er überhaupt nur mehr über Projektarbeiten oder befristete Verträge. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen.

Läßt sich da guten Gewissens noch ein „sicheres Studium" empfehlen?

„Nein", sagt klipp und klar Bertram Schütz, Pressesprecher der Osterreichischen Hochschülerschaft. „Die Zeiten sind vorbei, wo man einfach drauflos studieren konnte und dann diesen oder jenen Job auch tatsächlich bekam."

Irene Dyk, Linzer Soziologie-Professorin, sieht überhaupt wenig Sinn darin, eine bestimmte Studienrichtung zu favorisieren beziehungsweise davon abzuraten. Denn auch vor einigen Jahren hieß es zum Beispiel, ein Jusstudium biete schlechte Chancen: „Als dann österreichweit Umweltschutzgesetze vollzogen werden mußten, gab es plötzlich einen Engpaß an guten Juristen!", erinnert sich Dyk.

Ahnlich ist die Situation heute: durch EU-Beitritt, zunehmende In-ternationalisierung und Globalisierung der Wirtschaft suchen viele Unternehmer flexible, lernfähige Akademiker. Sie müssen allerdings die Bereitschaft und Fähigkeit haben, sich mit neuen Materien und Arbeitsfeldern auseinanderzusetzen. Da haben Sozial- und Geisteswissenschafter ebenso gute Chancen wie Juristen, berichtet Bertram Schütz über seine Erfahrungen mit Managern und Wirtschaftsbossen.

Durch die Europäisierung der Märkte haben auch Versicherungsgesellschaften wieder großen Bedarf an Versicherungsmathematikern, um nur ein Beispiel zu nennen.

Papierqualifikationen wie gute i A Noten oder ein Studium in Rekordzeit reichen im Kampf um gute und interessante Jobs allerdings nicht mehr aus. Zusatzqualifikationen wie Berufspraxis, Erfahrung im Umgang mit Menschen, Leistungsbereitschaft, persönliche Belastbarkeit, Fähigkeit zu komplexem Denken und methodisches Arbeiten sind gefragt. (Eine gute Portion I lausverstand wird übrigens von den Betrieben wieder sehr geschätzt!)

Mit Auslandserfahrungen erhoffen sich viele zu Recht bessere Chancen bei der Jobsuche (Seite 3 und 4). Die Praxis zeigt, daß Unternehmen diese Bereiteehaft der Studenten, über den eigenen Tellerrand zu schauen, bei der Jojergabe auch honorieren.., Denn wer ms Ausland geht, muß in der Begel lernen, sich durchzubeißen, auf eigenen Beinen zu stehen und sich mit außergewöhnlichen Verhältnissen auseinanderzusetzen.

Arbeitgeber schauen heute wesentlich genauer hin, wen sie sich ins Haus holen. Auch Jungakademiker müssen daher erst einmal Profil zeigen und ihre Tauglichkeit für die berufliche Praxis beweisen. Das irritiert und frustriert viele, kommen die meisten doch vollbepackt mit viel (meist theoretischem) Wissen und entsprechendem Selbstbewußtsein; aber auch mit teilweise falschen oder fixierten Erwartungen.

Als die Schlüsselqualifikationen schlechthin gelten allerdings „Eigeninitiative" und „Selbständigkeit": Michael Katzensteiner, Bil-dungs- und Berufsberater an der Universität Linz, empfiehlt, schon während des Studiums immer wieder „probeweise in die Zukunft zu schauen" und sich ein vorläufiges Berufsziel zu suchen. Das schärfe den Blick für Veränderungen und neue Perspektiven. „Man muß heute", so der Experte, „einen beträchtlichen individuellen Beitrag zu seinen Berufschancen leisten." Dazu gehöre es, sich selbst Perspektiven zu schaffen. Wer sich schon während des Studiums sein Qualifikationsprofil zurechtbastelt, ist viel besser auf den Arbeitsmarkt vorbereitet. Soziologin Dyk ergänzt: Die jungen Menschen müssen sich aus den konventionellen Ausbildungs- und Berufsschemata lösen. Sie plädiert ebenfalls dafür, nicht nur einfach „brav vor sich hinzustudieren". Mit etwas Phantasie läßt sich mit jedem, auch mit einem als aussichtslos geltenden Modestudium viel anfangen.

Dyk erläuterte das am Beispiel einer Soziologie-Studentin, die später gerne mit behinderten Menschen arbeiten möchte. Das Mädchen beißt sich bereits neben dem Studium durch eine Therapieausbildung und versucht außerdem, sich mit Hilfe von Ferialjobs noch Kenntnisse in Öffentlichkeitsarbeit anzueignen. Das verschafft ihr eine Bandbreite an Möglichkeiten, in ihrem Bereich auch tatsächlich Fuß zu fassen. Selbst wenn sie nicht gleich nach dem Studium direkt in der Betreuung arbeiten kann, so hat sie noch immer die Chance, einer entsprechenden Organisation ihre Fähigkeiten für Öffentlichkeitsarbeit anzubieten, bis sich etwas Passendes findet. Wer heute seinen Fuß während des Studiums nicht in mindestens „drei, vier Berufsfeldern hat, ist selbst schuld, wenn er später Schwierigkeiten hat", konstatiert die Linzer Soziologin trocken.

In den Bereichen Gesundheit, So-ziales, Beratung und Umwelt entstehen ganz neue Bedürfnisse und damit auch neue Arbeitsmöglichkeiten, schlägt Herbert Böhm, Vorstandsmitglied des Arbeitsmarktservice (AMS) in Wien in dieselbe Kerbe: „Viele Berufseinsteiger werden sich sogar erst um ihre Fähigkeiten herum einen Arbeitsplatz kreieren und damit ein gänzlich neues Berufsfeld schaffen müssen." Durch die großen technisch-organisatorischen Umbrüche suchen Firmen neues, innovatives Know-how von außen.

Als „Geheimtip", um flexibler L A auf neue Entwicklungen zu reagieren, gilt das „Studium irreguläre", also ein Studium, das man sich selbst nach bestimmten Kriterien zusammenstellt (wird auch meist genehmigt). Von dieser Möglichkeit machen erst wenige Studenten Gebrauch, sagt ÖH-Pressesprecher Schütz. „Wirtschaft und Jus" ist bereits gängige Alternative, als interessant gilt „Management und Kultur", ebenso die Kombination „Umwelt und Medizin". Das wichtigste ist, nicht nur ein einziges Kernfach zu beherrschen, sondern auch eine Ahnung von Zusammenhängen zu bekommen. Denn - die Zukunft gehört denen, die umfassend und in Alternativen denken können.

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